Archiv für den Monat: September 2011

Der beschädigte Ermittler

Drei Kriminalromane mit beeindruckenden Detektiven, die alles andere als Helden sind

Michael Robothams Serienheld ist Joe O’Loughlin: Psychologieprofessor im englischen Städtchen Bath, geschieden, Vater zweier Töchter und seit einigen Jahren an Parkinson leidend. Von Zeit zu Zeit wird er von der Polizei zu Fällen herangezogen, doch dieses Mal ist es persönlicher: Die vierzehnjährige Sienna, beste Freundin seiner ältesten Tochter, steht eines Abends blutüberströmt vor der Haustür der O’Loughlins. Ihr Vater liegt mit durchtrennter Halsschlagader in ihrem Zimmer, und Sienna kann sich an nichts erinnern. Das Mädchen wird des Mordes an ihrem Vater angeklagt. Doch ist sie wirklich schuldig? Joe O’Loughlin hat große Zweifel und beginnt mit Hilfe des ehemaligen Detective Inspector Vincent Ruiz zu ermitteln. Gemeinsam kommen sie einer erschreckenden Wahrheit auf die Spur.

Der ganz große Pluspunkt des Psychothrillers »Todeswunsch« von Michael Robotham ist seine Hauptfigur: Durch die Parkinson-Erkrankung ist O’Loughlin sehr verletzlich. Sein Geist funktioniert klar und unbestechlich, doch seinen Körper hat er zeitweise nicht unter Kontrolle. Mit teils beißendem Sarkasmus versucht O’Loughlin damit zurechtzukommen. Die Unbeholfenheit des Psychologen und seine Wut auf »Mr. Parkinson«, der sich in seinem Körper ausbreitet, ist dabei ebenso spürbar wie die Ohnmacht und der verzweifelte Kampf um jeden guten Tag. Das macht diesen Krimi von Michael Robotham – trotz des etwas reißerischen Falls – intensiv und beeindruckend.

Leben, morden, sterben?

Auch der Ermittler des schwedischen Autors Leif GW Perssons kämpft mit seinem Körper: Ein Schlaganfall hat den ehemaligen Chef des Reichskriminalamtes Lars Martin Johansson niedergestreckt. Der rechte Arm ist ohne Gefühl, das rechte Bein ohne Kraft, die rechte Gesichtshälfte ohne Mimik. Noch während er im Krankenhaus liegt, berichtet ihm seine Ärztin von einem fünfundzwanzig Jahre zurückliegenden Fall: Ein neunjähriges Mädchen wurde vergewaltigt und erwürgt. Die Ärztin hat nun in der Hinterlassenschaft ihres Vaters einen vagen Hinweis gefunden und bittet Johansson – den Mann, der vor seinem Herzinfarkt berühmt war für seine Fähigkeit, um die Ecke zu denken -, den Mörder zu finden. Unbeweglich, eingeschränkt, zunächst vom Krankenhausbett und dann überwiegend vom Sofa aus beginnt der pensionierte Polizist zu ermitteln.

Schritt für Schritt nähert sich Johansson der Wahrheit, und Stück für Stück erkämpft sich der bärbeißige Genussmensch sein Leben zurück – und immer wieder steht er vor der Frage, was er tun soll, wenn er sein Ziel bzw. seine Ziele erreicht hat: Der Fall ist längst verjährt, sollte Johansson den Täter finden, hat er keinerlei rechtliche Handhabe – was soll er dann unternehmen? Und ist das neue Leben, das sich ihm eröffnet, wirklich das Leben, das er führen will? »Der sterbende Detektiv« ist eine intelligente und bissig-witzige, im Unterstrom leicht melancholische Hommage an die Figur des genialen Detektivs à la Sherlock Holmes, der vom Sessel aus seine Fälle löst – und zugleich etwas völlig anderes, Eigenes, Klarsichtiges.

Mieses Karma

Leonid McGill hingegen kämpft nicht um seinen Körper, sondern um seine Seele. Der New Yorker Privatdetektiv – und neuester Serienheld von Walter Mosley – war jahrelang für die Mafia tätig, doch nun versucht er einen Neuanfang: Ein anderes Leben will er führen, ein besserer Mensch möchte er werden. Doch das ist natürlich nicht so einfach, denn seine Vergangenheit, die Mafia und die Verdorbenheit der Welt holen ihn immer wieder ein.

Ganz im Stil der alten Privatdetektivkrimis schlägt sich McGill in »Manhattan Karma«, dem aktuellen Buch von Walter Mosley, durch eine dunkle gewalttätige Metropole, die regiert wird von Habgier, Hass und Verkommenheit. So sehr dies an die Romane von Dashiell Hammett oder Raymond Chandler erinnern mag: Mosleys Krimi spielt im New York des Jahres 2008. Mit seinem lakonischen Nicht-Helden, der um ein moralisch gutes Leben ringt und alte Schuld abzutragen versucht, gelingt Mosley ein Brückenschlag zwischen dem klassischen PI-Krimi und der Gegenwart.

Kirsten Reimers

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Michael Robotham: Todeswunsch
(Bleed For Me, 2010)
Aus dem Englischen von Kristian Lutze
Goldmann 2011
geb., 510 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-442-31249-8
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Leif GW Persson: Der sterbende Detektiv
(Den döende detektiven, 2010)
Aus dem Schwedischen von
Lotta Rüegger und Holger Wolandt
btb 2011
Tb., 541 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-442-75307-9
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Walter Mosley: Manhattan Karma
(The Long Fall, 2010)
Aus dem Englischen von Kristian Lutze
Suhrkamp 2011
Tb., 389 Seiten, 9,95 Euro
ISBN 978-3-518-46255-3

Diese Besprechung ist erstmals erschienen
in der Frankfurter Neuen Presse.


Verschwurbelte Rachestockungen

Vor fünfzehn Jahren verschwand an einem heißen Sommertag in Florenz ein siebenjähriges Mädchen. Eine Woche später wurde es gefunden: missbraucht und ermordet. In der Gegenwart gibt es an einem kalten Dezemberwochenende ein blutiges Nachspiel.

Christobel Kents Buch lässt sich – trotz des abschreckenden Auf- klebers »Toskanakrimi« auf dem Cover – zunächst recht gut an: Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Figuren, die glaubwürdig und recht lebendig agieren, etwas kopflastig vielleicht, aber das passt gut in sich zusammen. Auch die Sprache ist angenehm: gewählt, fein, unaufdringlich, klar. Natürlich: Florenz frei vom Klischee zu zeichnen, ist kaum mehr möglich, aber Kent bekommt es hin, die Stadt nicht nur als hübsche Kulisse, sondern als vielschichtigen Lebensraum unterschiedlichster Figuren zu schildern.

Simulierte Spannung

Das funktioniert über Dreiviertel des Buches alles ganz prima. Aber irgendwann muss die Autorin dann ja auch mal auf den Punkt kommen, schließlich soll es hier um Rache gehen – »A Florentine Revenge« verspricht schon der Originaltitel. Und da zerreißt es das Buch dann: Einerseits wird die Handlung auf einmal hektisch: Gab es anfangs nur zwei Erzählperspektiven, kommen nun immer mehr dazu; kurze Szenen mit dramatischen Cliffhangern häufen sich, um sich dann aber andererseits mit verschwurbelten Reflexionen über Leben, Liebe und den Tod abzuwechseln – simulierte Spannung, die durch die verzagt grübelnde Innenschau von Figuren satt ausgebremst wird. Dazwischen aussagenschwangere Dialoge, deren gekünstelte Ausdrucksweise nicht wie ein wirklich bewusst gewähltes Stilmittel wirkt. Auch die Übersetzung, die anfangs so sorgfältig war, wird nun auf einmal schludrig und uneben: Was da steht, weicht fingerdick von dem ab, was passen könnte.

Und am Ende wird – trotz böser Kindheitstraumata, die natürlich nicht fehlen dürfen – alles wieder gut: endlich strahlender Frühling im lichtdurchfluteten Florenz, alle dunklen Schatten erfolgreich vertrieben. Endlich Postkartenkulisse, klebrig süße, verschwollen langweilige.

Kirsten Reimers

Christobel Kent: Blutrache
(A Florentine Revenge, 2006)
Aus dem Englischen von
Tanja Handels und Ursula Wulfekamp
DuMont Buchverlag: Köln 2011
Tb., 397 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-8321-6145-3

Diese Besprechung ist erstmals
erschienen im Crimemag.


Tatenlose Voyeure?

Zwei Bücher zu einem Verbrechen

Am 13. März 1964 wurde die 28-jährige Catherine Genovese, Kitty genannt, in Kew Gardens, einem beschaulich-bürgerlichen Teil des New Yorker Stadtbezirks Queens, nachts zwischen drei und vier Uhr überfallen, vergewaltigt und schließlich erstochen. Ihre Qual dauerte über eine halbe Stunde; mehrfach rief sie um Hilfe, doch niemand reagierte – obwohl es mindestens zwölf Augen- bzw. Ohrenzeugen gab. »Bystander-Effect« wird dieses Phänomen genannt – oder seit 1964 – Genovese-Syndrom. Schon damals nicht neu und auch heute keine Seltenheit. Zwei Bücher, die (zufällig?) zeitgleich bei uns in zwei verschiedenen Verlagen erschienen sind, nähern sich auf je unterschiedliche Weise diesem tatsächlich geschehenen Mord.

Tödliches Wegschauen

Didier Decoin hält sich in »Der Tod der Kitty Genovese« recht eng an die Fakten. Er lässt überwiegend einen fiktiven Nachbarn berichten (»Das Wort hat Nathan Koschel«), der erst nach der Tatnacht nach Hause kommt und nun über den (historischen) Journalisten Martin Gans- berg sowie während der Gerichtsverhandlung die Einzelheiten des Mordes erfährt. Mit Nathan Koschel ist man als Leser Beobachter des Prozesses und der Zeugen. Dadurch bleibt stets eine wachsame Distanz, die weder ins Voyeuristische noch in moralisierende Betroffenheitsduselei abgleitet. An keiner Stelle versucht Decoin, das Verhalten des Täters oder die Tatenlosigkeit der Zeugen zu erklären. Er beobachtet, er beschreibt, aber er wertet nicht. Lediglich an einigen wenigen Stellen wird es etwas rührselig, wenn Decoins Erzähler überlegt, was Kitty Genovese sich wohl vom Leben gewünscht hätte – doch das passt zur Figur des etwas ältlichen Nathan Koschel und tritt nur punktuell auf.

Sehr viel nachhaltiger beeindruckt die distanzierte Art, wie Decoin sich dem Geschehen nähert. Für ihn war es kein Einzelfall von überraschender Ignoranz und individuellem Augenschließen. Im Nachwort verweist Decoin auf die sozialpsychologischen Studien von Stanley Milgram, Bibb Latané und John M. Darley, die zu dem Ergebnis kommen, dass Menschen in Notsituationen immer dann tatenlos bleiben, wenn weitere Menschen anwesend sind – die Verantwortung wird weggeschoben: Einer von den anderen wird sich schon kümmern. Täter wie Zeugen sind einander in ihrer Kälte, ihrer Unfähigkeit, Mitgefühl mit dem Opfer zu entwickeln, sehr ähnlich.

Zu beschäftigt für den Tod

Ganz anders dagegen bei Ryan David Jahn. Er schaut in seinem Buch »Ein Akt der Gewalt« in seine Figuren hinein, er ist ihnen nah, kennt ihre Gefühle und Gedanken, spürt ihren Ängsten und Verunsicherungen nach. Anders als Decoin verfremdet Jahn die Figuren ein wenig: Kitty Genovese heißt bei ihm Katrina Marino, und sie ist auch nicht lesbisch. Der Täter ist nicht wie in der Realität ein Schwarzer – unauffälliger Angestellter und Familienvater -, sondern ein Weißer, noch dazu grobschlächtig mit verstopften Gesichtsporen. Vor allem aber gibt Jahn den Augen- und Ohrenzeugen Namen, Gesichter und Geschichten. Er schildert, was ihnen in dieser Nacht widerfährt – denn seine Zeugen erleben ihre eigenen Dramen, während Katrina vor ihren Fenstern vergewaltigt und erstochen wird: Da brechen Ehen auseinander, Sterbehilfe wird geleistet, Homosexualität wird bekannt, ein Sohn fasst den Entschluss, als Soldat nach Vietnam zu gehen, ein korrupter Polizist vertuscht ein Verbrechen, das er begangen hat.

Es ist ein Blick in die US-amerikanische Mittelschicht Mitte der sechziger Jahre, die in Bewegung gerät und ihre Ankerpunkte verliert: neue Freiräume, die auch neue Unsicherheiten mit sich bringen, Prüderie neben sexueller Freizügigkeit, alte Zwänge und tief verwurzelte Vorurteile, Rassenhass und Chauvinismus. Die Zeugen erleben derart lebensumbrechende Gefühlsstürme, dass ihnen kaum Platz bleibt, das Geschehen vor ihren Fenster zu registrieren. Und letztlich ist auch Katrina Marino nur eine von mehreren, deren Leben in dieser Nacht eine radikale Wende nimmt.

Ein komplett anderer Ansatz als bei Decoin also. Und mit einer versöhnlichen Geste am Ende. Es scheint, als hätte es der Autor – dieses Buch ist Jahns Debüt – nicht ertragen, dass Menschen so kalt und ignorant sein können, es scheint, als hätte er unbedingt Erklärungen und Entschuldigungen für ihre Tatenlosigkeit finden müssen. Und dank eines fürsorglichen Sympathieträgers, der nur leider zu spät kommt (weil der korrupte Cop ihn unschuldig verhaftet hat), legt man als Leser das Buch mit der trügerischen Gewissheit aus der Hand: Letztlich ist der Mensch an sich doch gut – wenn ich nachts um Hilfe schreie, wird schon einer die Polizei rufen. Und das macht diesen Roman im Vergleich zu dem von Decoin banal, feige und verlogen.

Kirsten Reimers

Didier Decoin: Der Tod der Kitty Genovese
Aus dem Französischen von Bettina Bach
Arche Literatur Verlag 2011
geb., 160 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-7160-2660-1

Ryan David Jahn: Ein Akt der Gewalt
Aus dem Englischen von Teja Schwaner
Heyne Verlag 2011
geb., 269 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-453-26679-7
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Diese Besprechung ist erstmals
erschienen auf satt.org


Mord, Korruption und Geisterwelten

Schottland, USA, Laos: drei ungleiche Schauplätze für drei hervorragende Krimis

Detective Sergeant Logan McRae kommt einfach nicht auf die Füße: Er trinkt zu viel, stößt Kollegen, Vorgesetzte und Freundin vor den Kopf und vermasselt viel zu viel. Da ist es nicht gerade aufbauend, dass McRae der Truppe zugeteilt wird, die Richard Knox im Blick behalten soll: Knox saß sechs Jahre wegen Vergewaltigung alter Männer im Gefängnis und will sich nun in Aberdeen niederlassen. Nicht nur die Bevölkerung läuft dagegen Sturm, auch das organisierte Verbrechen hat ein Auge auf Knox geworfen. Eine explosive Mischung.

In seinem sechsten Roman um den glücklosen DS McRae gelingt Stuart MacBride erneut das Kunststück, einen spannenden Polizeikrimi zu schreiben und ihn gleichzeitig parodistisch perfekt zu unterlaufen. MacBride führt dabei nicht einfach seine Masche fort, sondern er lässt seinen Figuren Platz, sich zu entwickeln. So bleiben seine Krimis brillant: witzig und zunehmend düsterer und gemeiner. Grandios.

Bestechlichkeit und Machmissbrauch

Auch Sara Paretsky setzt ihre langjährige Krimiheldin wieder souverän auf Verbrechen an: Eher widerwillig übernimmt die Chicagoer Privatdetektivin V. I. Warshawski diesen Fall: Sie soll einen Mann suchen, von dem seit über vierzig Jahren jede Spur fehlt. Die Erfolgsaus- sichten sind gering, die Bezahlung schlecht. Als Warshawskis Cousine Petra verschwindet, konzentriert sich die schlagfertige Ermittlerin beunruhigt auf diese Familienangelegenheit und stößt dabei auf ein komplexes Geflecht aus Korruption, Macht- missbrauch und Mord. Und sie muss feststellen, dass ihre engsten Verwandten darin verwickelt sind.

Sara Paretskys neuer Roman »Hardball« steht wie ihre bisherigen ganz in der Tradition der Hard-boiled-Krimis. Gekonnt spannt sie den Bogen von der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King Ende der sechziger Jahre bis in die Gegenwart eines Staates, in dem der Krieg gegen den Terror und der Hinweis auf die nationale Sicherheit obskuren Regierungsorganisationen alles erlaubt. Paretsky gelingt ein nahezu klassischer Detektivroman – trocken, solide, schlagkräftig – und gleichzeitig ein Porträt der heutigen USA.

Verschwörungen und Geistertänze

Das Bild einer vollkommen anderen Gesellschaft zeichnet der aktuelle Krimi von Colin Cotterill: Auf dem Seziertisch von Dr. Siri, dem einzigen Pathologen von Laos, landet die Leiche eines Mannes, der von einem Laster überfahren wurde – angesichts des geringen Autoverkehrs in Laos ein ungewöhnliches Ereignis, doch eindeutig ein Unfall. Seltsam jedoch ist, dass der Mann einen Brief bei sich trug, der mit unsichtbarer Tinte geschrieben wurde, dabei war der Mann blind. Zusammen mit seiner wundervollen Assistentin Dtui, dem Polizisten Phosy und seinem alten Freund Civilai geht Dr. Siri diesem Rätsel nach und kommt einer staatsgefährdenden Verschwörung auf die Spur, die den Pathologen mehr angeht, als er ahnt.

Dr. Siri gehört zu den ungewöhnlichen Ermittlern der Krimiwelt: 73-jährig, stur, sarkastisch und politisch vollkommen desillusioniert, was im Laos Mitte der siebziger Jahre – zu dieser Zeit spielen die Romane Colin Cotterills – unter dem neuen kommunistischen Regime nicht einfach ist. Die Situation entspannt sich nicht dadurch, dass sich in Dr. Siri der Geist eines alten Schamanen häuslich eingerichtet hat. Mithilfe seines bewunderten Vorbilds Maigret löst Dr. Siri seine Fälle, die immer auch mit der wechselhaften Geschichte des Landes verbunden sind. Colin Cotterills Krimis um den einzigen laotischen Pathologen sind charmant versponnen und dunkel sarkastisch zugleich, ohne sich selbst allzu ernst zu nehmen. Eine wundervolle Mischung.

Kirsten Reimers

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Stuart MacBride: Dunkles Blut
(Dark Blood, 2010)
Aus dem Englischen von Andreas Jäger
Manhattan 2011
Tb, 572 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-442-54689-3
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Sara Paretsky: Hardball
(Hardball, 2009)
Aus dem Englischen von Monica Bachler
DuMont 2011
Tb., 508 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-8321-6160-6
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Colin Cotterill: Briefe an einen Blinden
(Anarchy and Old Dogs, 2008)
Aus dem Englischen von Thomas Mohr
Manhattan 2011
geb., 314 Seiten, 17,99 Euro
ISBN 978-3-442-54680-0
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Diese Besprechung ist erstmals erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse.


Spurensuche

Es beginnt unspektakulär: V. I. Warshawski übernimmt etwas widerwillig den Auftrag, einen Mann zu suchen, von dem seit über vierzig Jahren jede Spur fehlt. Wenig Aussicht auf Erfolg, geringe Bezahlung, mauernde Zeugen, misstrauische Klienten – nicht gerade die besten Voraussetzungen. Als Warshawskis junge Cousine Petra verschwindet (womöglich entführt wurde), konzentriert sich die Privatermittlerin weitaus stärker auf diese Familienangelegenheit. Sie stößt auf ein komplexes Geflecht aus Korruption und Machtmissbrauch und muss feststellen, dass ihre engsten Verwandten darin verwickelt sind.

Trägt das Konzept noch?

Natürlich hängen die Fälle zusammen, das gehört dazu und wundert niemanden. Weitaus gewichtiger ist die Frage, ob dieses Konzept von Krimi immer noch trägt. Paretsky bleibt nach wie vor der Hard-boiled-Tradition treu. Sie ist eine der wenigen Krimiautorinnen – vielleicht gar die einzige -, die ihre Ende der achtziger Jahre entworfene Heldin heute noch ins Rennen schickt: schlagfertig, unerschrocken, selbstbewusst, unabhängig. Und inzwischen rund fünfzig Jahre alt. Vor knapp fünfundzwanzig Jahren waren die vielen Privatermittlerinnen, die das Genre stürmten, eine Bereicherung für die Krimiwelt, ein Gegenentwurf zum hilflosen oder manipulativen Weibchen, das bis dahin die Hard-boiled-Krimis als sexy Deko schmückte.

Inzwischen ist die Welle deutlich abgeebbt, die meisten Detektivinnen haben ihre Ermittlungen eingestellt – und bei vielen ist das auch wirklich gut so: Nur wenige Figuren taugten wirklich als Alternative, in den meisten Fällen lief sich die Idee als Masche tot, und die Serienmörderwelle sowie die damit einhergehende Aufrüstung zur Hightechspurensicherung (DNA! CSI!!) verstärkte das generelle Glaubwürdigkeitsproblem der Privatermittler. (PI überzeugen eh nur bei emotional motivierten Morden im kleinen Kreis, doch das ist ein anderes Thema.)

Kein verschwurbelter Schnickschnack

Paretsky ist eine der wenigen Krimiautorinnen, die an diesem Konzept festhält – und bei ihr ist es sogar heute noch tragfähig. Das liegt zum einen daran, dass die Hauptfigur bei aller Unabhängigkeit nie als einsame Wölfin angelegt war, sondern sich immer in irgendeiner Form in soziale Netze eingebunden war (so lässt sich auch die Technologiefalle umgehen). Zudem verzichtet Paretsky auf Serienmörderschnickschnack: Die Fälle sind bodenständig und realistisch, meist beginnt es mit Versicherungsfällen oder – wie dieses Mal – der Suche nach vermissten Personen. Die Motive für Verbrechen sind keine ästhetisch verschwurbelten Konstrukte oder tausendfach wiedergekäute Missbrauchsgeschichten, sondern in politischen und sozialen Strukturen verankert: Gier, Macht, Geld, Hass – und damit verbunden: Korruption, Machtmissbrauch, Rassismus.

Vor allem aber gelingt Paretsky eines: gesellschaftliche Stimmungen und politische Verhältnisse im Alltagsleben aufzuzeigen. Wie nebenbei schafft sie es, in „Hardball“ einen Bogen von der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King bis in die Gegenwart zu schlagen und das Porträt eines Landes zu zeichnen, dessen Sozialsysteme am Boden liegen, weil alles Geld in den Krieg gegen den Terror gepumpt wird, und in dem der Hinweis auf die nationale Sicherheit obskuren Regierungsbehörden alles erlaubt – ein Staat auf dem Weg in die totale Überwachung. Und das tatsächlich nur nebenbei, denn der eigentliche Fall – na, lesen Sie lieber selbst.

Paretsky erfindet in „Hardball“ das Rad nicht neu, aber der Krimi ist glaubwürdig, solide und gut konstruiert, mit klarem, klugem Blick auf Verhältnisse und Zusammenhänge. Erneut zeigt Paretsky, warum sich Krimi prima dazu geeignet, Gegenwart und Gesellschaft zu skizzieren.

Kirsten Reimers

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Sara Paretsky: Hardball
(Hardball, 2009)
Deutsch von Monica Bachler
Köln: DuMont 2011
Tb., 508 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-8321-6160-6
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Diese Besprechung ist erstmals
erschienen im Crimemag.