Archiv für den Monat: März 2012

Zwischen Terrorhysterie und Hoffnungslosigkeit

Aktuelle Unsicherheiten und uralte Ängste

Anwalt und Autor Georg M. Oswald verwendet in seinen Romanen häufiger Krimi- oder Thrillerelemente. Mit »Unter Feinden« legt er nun erstmals einen tatsächlichen Thriller vor. München im Februar, die Situation ist angespannt, denn in wenigen Tagen soll die internationale Sicherheitskonferenz stattfinden. Gerüchte über einen bevorstehenden Terroranschlag heizen die Stimmung an und verschärfen die Kontrollmaßnahmen zusätzlich. Die Polizisten Diller und Kessel observieren eine Wohnung im sozial brenzligen Münchner Westend, in der eine Terrorzelle vermutet wird. Als der heroinabhängige Kessel eine kurze Abwesenheit seines Kollegen nutzen will, um von einer Gruppe Jugendlicher Stoff zu kaufen, endet dies in einem Gewaltausbruch. Diller und Kessel können zwar fliehen, doch sie überfahren dabei einen der Jugendlichen. Dies führt in den folgenden Stunden zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Plünderungen – Szenen, die man eher mit London oder Paris in Verbindung bringt, aber nicht mit dem beschaulichen München.

Kessel saß zwar am Steuer des Fluchtautos, doch Diller versucht, seinen langjährigen Freund und Kollegen zu decken und ihrer beider Rolle bei den Aufständen zu vertuschen. Während Familienvater Diller so immer tiefer in ein moralisches Dilemma rutscht, das ihn nicht nur seinen Beruf kosten könnte, macht sich Kessel durch seine Sucht erpress- und manipulierbar. Die Eskalation ist vorgezeichnet.

Oswald beschreibt in nüchternen Worten die herunter- gekommenen Seiten Münchens, das bedrohliche Brodeln unter der sauberen bürgerlichen Oberfläche. Um diese Fassade aufrechtzuhalten, wird – nicht nur zur Sicherheitskonferenz – die Kontrolle auf technischer wie sozialer Ebene immer schärfer. Innere wie äußere Überwachung sind der Preis für die brüchige Illusion von Sicherheit. Gegen Ende wird es zwar ein wenig naiv, doch ist Oswald mit »Unter Feinden« nicht nur spannender, sondern auch kluger kleiner Thriller über Terrorangst und gesellschaftliche Verunsicherung gelungen.

Heimtücke unter Brüdern

Auch Yves Raveys Roman »Bruderliebe« spielt mit Unsicherheiten. In einer Winternacht trifft sich Max mit seinem älteren Bruder Jerry in einem kleinen grenznahen Ort in der Schweiz, um ihn nach Frankreich zu schmuggeln. Jerry, der in Afghanistan gekämpft hat und dort immer noch lebt, soll dem Buchhalter Max, helfen, die Tochter seines Chefs zu entführen und eine halbe Million Euro zu erpressen. Ein einfacher Plan, eine todsichere Sache, eigentlich.

Die Brüder haben sich seit zwanzig Jahren nicht gesehen, doch es dauert nur Minuten, bis sie wieder in alte Rollenmuster und Geschwisterrivalitäten verfallen. Dies sorgt für zusätzliche Spannung in einer explosiven Situation – in der jeder seine eigenen Pläne verfolgt. Beide Brüder spielen nicht nur ihr eigenes, schwer durchschaubares Spiel, sondern haben auch keinerlei Skrupel, den anderen auszuhebeln. So ist »Bruderliebe« ein kleiner, sehr schön dreckiger Roman voller Heimtücke.

Wegführer in die Hölle

Donald Ray Pollocks Romandebüt »Das Handwerk des Teufels« spielt im heruntergekommenen Niemandsland des Mittleren Westens in der Zeitspanne zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg, eine Zeit der Gewalt und des Fanatismus, im Großen wie im Kleinen. Kriegs- veteran Willard Russel versucht verzweifelt, den Krebstod seiner Frau mit bizarren Opfer- ritualen aufzuhalten, sein Sohn Arvin lernt währenddessen, dass es Sühne nur gibt, wenn man selbst dafür sorgt, und bringt Jahre später den Pfarrer um, der seine Pflegeschwester missbraucht und in den Selbstmord getrieben hat. Die Mutter dieser Pflegetochter ist von ihrem Mann erstochen worden, einem vollkommen durchgeknallten Laienpriester, der überzeugt war, Tote zum Leben erwecken zu können. Ein korrupter Sheriff hält sich mit Auftragsmorden für den lokalen Unterweltboss über Wasser; seine Schwester fährt gemeinsam mit ihrem Mann die Landstraßen ab, um Tramper aufzusammeln, sie zu ermorden und zu fotografieren.

Die Welt, die Pollock zeichnet – geradlinig und glasklar – ist die Hölle auf Erden. Die Menschen sind auf der Suche nach Erlösung, und die einzige Antwort, die ihnen zur Verfügung steht, ist Gewalt. »Das Handwerk des Teufels« ist ohne jede Hoffnung, verstörend, tief beeindruckend und grandios geschrieben.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Georg M. Oswald: Unter Feinden
Piper 2012
HC, 256 Seiten, 18,99 Euro
ISBN: 978-3492053839
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch (hier klicken)

Yves Ravey: Bruderliebe
Aus dem Französischen von Angela Wicharz-Lindner
Verlag Antje Kunstmann 2012
HC, 112 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-88897-750-3
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind 2012
HC, 302 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-935890-85-4

Diese Besprechung ist zuerst erschienen
in der Frankfurter Neuen Presse.


Sadismus vor Idylle

Im norwegischen Bodø wird ein Mann halbtot im eiskalten Meer angekettet aufgefunden. Wenig später kann gerade noch rechtzeitig ein zweiter Mann gerettet werden, den jemand an einen Heizstrahler gefesselt hat. 300 Kilometer nördlich spült das Nordmeer jahrzehntealte Porzellanpuppen an den Strand, kurz darauf gibt es hier die erste Frauenleiche, die natürlich nicht die letzte bleibt. Und selbstverständlich hängen all diese Fälle in irgendeiner Weise zusammen. »Der Mahlstrom« (auch im Original schlicht »Mahl- strømmen«) von Frode Granhus bietet sadistische Gewalttaten in idyllischer Landschaft – und eine hanebüchene Story: schwer überkonstruiert, reichlich brutal und enorm unglaubwürdig; zudem streckenweise ziemlich schwülstig geschrieben.

Der Mahlstrom, ein Gezeitenstrom mit starken Wasserwirbel, hoch oben im Norden zwischen den norwegischen Lofoten, soll offenbar als Sinnbild für den Sog der Gewalt stehen: Gewalt zeugt Gewalt, scheint Granhus demonstrieren zu wollen, denn seine Täter waren früher Opfer, die Stafette des Sadismus wird vom Vater an den Sohn weitergereicht, gern auch mit Unterstützung des Stiefvaters oder der gefühlskalten Mutter (die wiederum ein Opfer von Gewalt ist). Auf diese Weise schafft es Granhus, über die Generationen hinweg auf 383 Seiten eine Menge sinnfreie Brutalität unterzubringen. Vor allem aber belegt Granhus eines: dass in seinem Buch Gewalt schlicht um der Gewalt willen geschildert wird – effektvoll ausgemalt und mit halbherziger Empörung angeprangert, um eine abstruse Story zusammenzuhalten.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Frode Granhus: Der Mahlstrom
(Mahlstrømmen, 2010)
Aus dem Norwegischen von Wibke Kuhn
btb 2012
Tb., 383 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-442-74315-5
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch-Download (hier klicken)

Diese Besprechung ist zuerst erschienen im CrimeMag.