Archiv für den Monat: März 2017

Mobbing, Paranoia und Mord

Mit »Gefrorener Schrei« legt Tana French ihren sechsten Krimi um die Mordkommission in Dublin vor. Wie schon zuvor steht auch diesmal jemand von den Ermittlern im Mittelpunkt, der beziehungsweise die schon in einem der vorherigen Bände eine Nebenrolle spielte: Detective Antoinette Conway. Und wie zuvor ist die Perspektive strikt die der Hauptperson: der Leser sieht das Geschehen ausschließlich durch ihre Augen und ist stets auf dem gleichen Stand wie sie.

Trotz ihres zauberhaften Namens ist Antoinette Conway alles andere als eine zauberhafte Person: Sie ist bissig, streitsüchtig, misstrauisch und kommt nur schwer zurecht mit ihren Kollegen, die sie mobben: Jemand hat in ihren Spint gepinkelt, Unterlagen verschwinden, Informationen werden ihr vorenthalten. Lediglich ihrem Partner Stephen Moran scheint sie trauen zu können. Weil sie und Moran die jüngsten im Dezernat sind – oder vielleicht auch weil ihr Vorgesetzter sie aus der Abteilung drängen möchte –, müssen die beiden Detectives die Nachtschichten und die langweiligen Fälle übernehmen.

So offenbar auch diesmal: Eine junge Frau wird tot in ihrem Apartment aufgefunden, vermutlich eine Beziehungstat. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden. Doch bald zeigen sich unter der glatten Oberfläche Risse und der Fall beginnt andere Dimensionen anzunehmen.

Tana French nimmt sich in ihrem Kriminalromanen viel Zeit, den Figuren näher zu kommen. Action, weitere Leichen oder viel Blut sucht man hier vergeblich. Stattdessen entwickelt sich das Geschehen in langen intensiven Verhörszenen, in denen die Oberfläche nach und nach abgetragen wird, bis erste Risse auftreten, durch die die tatsächlichen Hintergründe sickern. Dabei unterläuft French gekonnt allfällige Konventionen. Das ist hochspannend, intelligent und sensibel gemacht mit gutem Gespür für Stimmungen und Nuancen.

Winter is coming

Durch puren Zufall ist Isaac Sidel, der Bürgermeister-Sheriff von New York mit der Glock im Hosenbund, Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Per Dekrete hat er in der Anfangszeit versucht, die Armut abzuschaffen. Das hat ihn in die Isolation getrieben: Seine Stabschefin führt nun die Geschäfte, Sidel selbst ist so unbeliebt bei seiner Partei (den Demokraten), den Wählern, den Lobbyisten, den Wirtschaftsbossen und Verbrechern, dass eine internationale Prämie um seinen Tod ausgesetzt wurde.

»Winterwarnung«, Jerome Charyns zwölfter Band um den Law-and-Order-Mann aus der Lower East Side, den man auch ohne Kenntnisse der vorherigen Bände lesen kann, ist mit seinem absonderlichen US-Präsidenten brandaktuell, obwohl schon 2015 geschrieben und 1989 spielend. Zu jener Zeit beginnt es durch Gorbatschows Glasnost und Perestroika hinter dem Eisernen Vorhang zu brodeln. Mit Devisenfälschungen versuchen Sauber- und Unsaubermänner wie -frauen verschiedene Staaten zu stärken oder zu destabilisieren. Eine besondere Rolle spielt deshalb ein geheimnisvoller Meisterfälscher, dessen Macht und Imperium langsam auseinanderbrechen. Es ist das Ende der Ideologien und der Aufstieg des Raubtierkapitalismus. Und mittendrin der pingpongspielende US-Präsident, der »Spinoza mit Haarausfall«, der »Großmeister des Chaos«.

Abgedreht, surreal-halluzinatorisch und sprunghaft, aber gleichzeitig von glasklarer und bezwingender Logik, gesättigt mit zahllosen politischen, literarischen und filmischen Anspielungen wildert sich Jerome Charyn quer durch die US-amerikanische und deutsch-polnisch-russische Geschichte, schickt seine Hauptfigur von Camp David bis nach Theresienstadt und lässt sie auf den Spuren Kafkas beziehungsweise auf denen von Kafkas Schwester wandeln, der Roman selbst ist konsequenterweise angemessen kafkaesk. Ein sehr spezielles, auf eigene Art wunderbares Lesevergnügen mit eigenwilligem Humor.

Mord, Erpressung und absurde Diskussionen

Als »Roman mit Mörder« bezeichnet der Steidl Verlag elegant den Roman »Bogmail« von Patrick McGinley und trifft damit ins Schwarze. »Krimi« wäre zu schlicht für diesen schönen Roman, einfach »Roman« wäre zu wenig. Denn es gibt einen Mord, der mühsam vertuscht wird, eine danach einsetzende Erpressung und eine Ermittlung; diese Geschehnisse treiben die Handlung durchaus voran, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Denn eigentlich steht etwas anders im Mittelpunkt: die Sinn- und Sexkrisen alternder Männer.

Das klingt jetzt erst mal nicht besonders verlockend. Denn warum sollte man einen Roman lesen, der sich mit Männerproblemen in einer Männerwelt rumschlägt. Aber Patrick McGinley schreibt so charmant verschroben, dabei so barock und wortgewaltig, dass man gern in diese Welt aus absurden Diskussionen und seltsamen Leidenschaften folgt.

Zentrum ist Tim Roartys ländlicher Pub in der irischen Grafschaft Donegal, eine verräucherte Höhle, an dessen Tresen »ohne den Vorzug wissenschaftlicher Kenntnisse«, wie McGinley schreibt, über das Leben, Fischfang und Tierzucht herzerwärmend obszön diskutiert wird. 1978 in England erstmals erschienen, galt der Roman als pornografisch und beleidigend gegenüber der irischen Landbevölkerung; aus heutiger Sicht hingegen ist er warmherzig mit schrägem Humor, ein bisschen tragisch und wundervoll verplaudert.

Kirsten Reimers

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Tana French: Gefrorener Schrei
(The Trespasser, 2016)
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Scherz 2016
kart., 653 Seiten, 16,99 Euro
ISBN 978-3-651-02447-2
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Jerome Charyn: Winterwarnung
(Winter Warning, 2016)
Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Schulz
Diaphanes 2017
geb., 327 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-03734-648-8
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Patrick McGinley: Bogmail. Roman mit Mörder
(Bogmail, 1978)
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Steidl 2016
geb., 336 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-95829-208-6
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 Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse