Archiv für den Monat: März 2014

Mörderische Jagd nach Phantomen

Intelligente Spannung dank neuer Romane von Kate Atkinson, Friedrich Ani und Dominique Manotti

»Was wäre, wenn wir die Chance hätten, es noch einmal zu tun und noch einmal, bis wir es endlich richtig machen. Wäre das nicht wunderbar?«, fragt Edward, der Lieblingsbruder von Ursula Todd. Und genau diese Möglichkeit hat Ursula: Sie lebt ihr Leben immer und immer wieder. Immer wieder wird sie am 11. Februar 1910 während eines Schneesturms in der Nähe von London geboren. Immer wieder durchläuft sie verschie- dene Stationen ihres Lebens, mal bis in die sechziger Jahre hinein, mal nur wenige Jahre, mal bis in die zwanziger Jahre.

Mit jeder Wiedergeburt ändert sich etwas, sei es durch Zufall, sei es durch Ursulas Verhalten. Auf diese Weise durchlebt sie verschiedene Formen des Lebens: als unterwürfige Ehefrau, als selbstbewusste Geliebte, als berufstätige und sehr eigenständige Frau, als Mutter. Vage kann sie sich an ihre vorherigen Leben und die Erfahrungen erinnern – sie bestimmen ihre Entscheidungen im neuen Leben. Geht es Ursula anfangs darum, das eigene Leben zu retten, dann das der Familie, gehört zu ihren späteren Zielen, den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen zu verhindern – zum Beispiel, indem sie Hitler tötet. Aber wie weit unterliegt das Leben eigenen Entscheidungen, welche Rolle spielen Zufall oder Schicksal?

Kate Atkinsons Roman »Die Unvollendete« ist eine intelligente und gleichzeitig spannende Auseinandersetzung mit diesen Fragen.

Eine permanente untergründige Bedrohung

Die Journalistin Mia Bischof beauftragt die Detektei Liebergesell, ihren verschwundenen Freund Siegfried Denning zu finden. Doch sie bleibt seltsam vage, warum er verschwunden sein könnte. Zudem hat sie keinerlei Fotos von ihm. Süden und seine Kollegen scheinen ein Phantom zu suchen.

Dieser Eindruck verfestigt sich, als Spuren in die Neonaziszene Bayerns führen. War Denning darin aktiv? Doch es lässt sich nichts Konkretes finden über den Verschwundenen, keinerlei Hinweise, nicht einmal seine Wohnung gibt etwas über die Person, die dort lebt, preis. Als offenbar wird, dass auch das LKA und der Verfassungsschutz an dem verschollenen Denning interessiert sind, müssen die Mitarbeiter der Detektei feststellen, dass in diesem Fall sehr viel größere Untiefen und Gefahren drohen, als sie hätten ahnen können.

Friedrich Anis Roman »M« erwähnt an keiner Stelle die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), die aufgrund zahlloser Fehler der Polizei und der Geheimdienste so viele Jahre unaufgeklärt blieben. Doch er schildert die Atmosphäre, in der diese möglich waren. Der Roman lässt eine untergründiger Gefahr, eine permanente Bedrohung spüren, die lebensgefährlich und dennoch nicht richtig greifbar ist. Er beschreibt, wie rechtsradikale Auswüchse gedeckt oder gar toleriert werden – nicht nur innerhalb der Gesellschaft, sondern auch von staatlicher Seite, und wie durch fehlende Kommunikation und Kooperation zwischen Behörden die Aufklärung von Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund erschwert oder gar verhindert wird.

Dies geschieht in Friedrich Anis sehr eigener Art: immer nah an den Figuren, nie übereilt, selten geht es um die konkreten politischen Fragen, stets jedoch um die psychische Dimensionen, die tieferen Motive und die Folgen von Tod und Verlust.

Koks auf der Rennbahn

1989, während der Ostblock bröckelt und die Berliner Mauer fällt, kommt Commissaire Daquin von der Pariser Drogenfahndung mit seinem Team einem internationalen Drogenring im Pferdesportmilieu auf die Spur. Aber damit nicht genug: Versicherungsbetrug, Immobilienspekulationen, Insidergeschäfte an der Börse spielen mit hinein, Menschen sterben, Pferde brennen – und irgendwie hängt das alles mit dem Versicherungskonzern PAMA zusammen. Und die Politik hat auch ihre Finger drin.

Mit knapper, präziser Sprache und scharfem Witz schildert Dominique Manotti in »Zügellos«, ihrem schnellen Roman noir, die Umbrüche Ende der achtziger Jahre. Spannend, scharfzüngig und analytisch zugleich – grandios.

Kirsten Reimers

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Kate Atkinson: Die Unvollendete
(Life after Life, 2013)
Aus dem Englischen von Anette Grube
Droemer 2013
geb., 585 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-426-19981-7
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Friedrich Ani: M
Droemer 2013
geb., 365 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-426-19953-4
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Dominique Manotti: Zügellos
(À nos Chevaux!, 1997)
Aus dem Französischen von Andrea Stephani
Ariadne/Argument 2013
geb., 286 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-86754-193-0
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse