Im Jahr 1943 hält es Fritz Kolbe nicht mehr aus: Er muss etwas gegen Hitler unternehmen. Als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes kommt er an streng geheime, höchst brisante Dokumente – und diese gibt er von nun weiter an den OSS, den Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der USA (und Vorläufer der CIA); darunter auch detaillierte Pläne der Wolfschanze, in der Hoffnung, dass die Amerikaner sie bombadieren und Hitler töten.
Unprätentiös und unaufdringlich nimmt sich Andreas Kollender in »Kolbe« der Geschichte des historischen Fritz Kolbe an, der in den letzten Kriegsjahren unentgeltlich als Agent für die Amerikaner ein Doppelleben führte. In einer Mischung aus Fakten und Fiktion schildert Kollender, wie aus zähneknirschendem, lähmenden Unbehagen aktiver Widerstand gegen das Naziregime wird – begleitet von Ängsten, Zweifeln und Hoffnung.
Kollender macht es sich nicht einfach, seine Figuren sind vielschichtig gezeichnet und handeln aus unterschiedlichsten Motiven – ganz gleich, auf welcher Seite sie stehen. Schlichte, beruhigende Antworten gibt es nicht, eindimensionale Helden erst recht nicht. Ein berührender Roman über Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten, über Mut, Feigheit, Verrat, Egoismus, Freundschaft und Liebe, geschrieben in einer fast schwerelosen Eleganz.
Tödliche Gegensätze
In Windhoek, Namibia, wird die Ehefrau des deutschen Botschafters entführt, als sie unterwegs ist mit einem kleinen Herero-Jungen, den das Paar adoptieren möchte. Zeitgleich wird in Freiburg im Breisgau das Grab ihres Großvaters geschändet, der als Mediziner, Anthropologe und »Rassenhygeniker« als Wegbereiter der nationalsozialistischen Rassentheorien gilt (und eine historische Figur ist). Parallel dazu fliegt eine Delegation von Hereros und Namas nach Berlin, um in der Charité Schädel ihrer Vorfahren entgegenzunehmen, die während der Kolonialzeit für Sammlungen und Museen in Namibia entwendet wurden – eine Veranstaltung, auf die ein Attentat geplant ist.
»Der lange Schatten« ist Bernhard Jaumanns dritter Kriminalroman um die namibische Polizistin Clemencia Garisis, die inzwischen selbstständig als Sicherheitsexpertin tätig ist. Jaumann, der selbst in Namibia lebte, verzichtet auf jegliche Folklore. Ihm geht es um die tatsächlichen Lebensbedingungen, die soziale Zerklüftungen, die ethnische Zersplitterung Namibias, das Aufeinandertreffen von Partikularinteressen, die die Stabilität des Landes ebenso untergraben wie die Korruption in Politik und Verwaltung – und um die Frage, wie weit man gehen darf in der Verfolgung idealistischer Ziele, im Kleinen wie im Großen. Dies geschieht unter anderem vor dem Hintergrund des brutalen Niederschlags des Aufstandes von Hereros und Namas 1904 durch die deutsche Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika, der erst in diesem Sommer von der Bundesregierung als Völkermord anerkannt wurde.
Bernhard Jaumann schreibt unaufgeregt, stilistisch versiert, ohne Klischees, Bitterkeit, Betroffenheitsgestus und unnötige Provokationen. Das macht ihn zu einem der Besten des Genres.
Swinging, killing London
London Ende der sechziger Jahre – eine Gesellschaft im Umbruch: Hippies, Gurus, Künstler und die Abkehr von bürgerlichen Moralvorstellungen auf der einen Seite, Spießer und Kleingeister auf der anderen – und dann noch Macho-Polizisten, die sich als die »Kings of London« fühlen. William Shaw zeichnet in seinem gleichnamigen Kriminalroman eine Stadt, in der die unterschiedlichsten Kulturen aufeinander- und sich gegenseitig abstoßen. Dazwischen Detective Seargent Cathal Breen, eher zurückhaltend, etwas verklemmt, der gemeinsam mit seiner selbstbewussten und deutlich aufgeschlosseneren Kollegin Tozer den Mord an einem Politikersohn aufklären soll, der nicht ganz den Ansprüchen seines Vater entsprach.
Shaw, Musikjournalist und Kenner von Pop- und Subkulturen, setzt trotz schillernder Kulisse auf zurückhaltende Töne, unaufdringlich und glaubwürdig agieren seine Charaktere, die sehr menschlich gezeichnet sind. Sein London ist bunt und quirlig – aber auch verklemmt, kleingeistig und durchsetzt von einem Sexismus, der heute richtig wehtut. Alles in allem eine überzeugende Mischung aus Zeitporträt und Kriminalroman.
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Andreas Kollender: Kolbe
Pendragon 2015
kart., 446 Seiten, 16,99 Euro
ISBN 978-3-86532-489-4
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Bernhard Jaumann: Der lange Schatten
Kindler 2015
geb., 317 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-463-40648-0
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William Shaw: Kings of London
(House of Knives, 2013)
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Suhrkamp 2015
kart., 471 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-518-46610-0
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse