Vor zweiundzwanzig Jahren hat Frank Mackey den »Faithful Place« (so auch der Originaltitel des Romans) hinter sich gelassen – und mit ihm eine raue und trostlose Jugend in einem Dubliner Arbeiterviertel in den achtziger Jahren. Weil eine Frauenleiche in einem alten Abbruchhaus ent- deckt wird, kehrt er in sein altes Viertel zurück. Handelt es sich bei der Leiche um Rosie, seine Jugendliebe? Eigentlich hatte sie gemeinsam mit ihm weggehen wollen, damals vor zweiund- zwanzig Jahren, doch sie war nicht am vereinbarten Treffpunkt erschienen.
Mackey muss sich nicht nur seinen alten Träumen und verletzten Gefühlen stellen, sondern auch seiner Familie, die er nicht mehr gesehen hat, seit er weggegangen war. Für sie ist er ein Verräter, denn er hat sie nicht nur im Stich gelassen, sondern sogar die Seiten gewechselt: Heute ist Mackey Undercover-Ermittler bei der Dubliner Polizei.
Auch in ihrem dritten Buch lässt sich Tana French viel Zeit in der Ausgestaltung der Figuren, die Intensität, mit der ihr das gelingt, ist eine ihrer ganz großen Stärken. Der Krimistrang ist kaum mehr als ein roter Faden, der das Geschehen zusammenhält, im Mittelpunkt aber stehen die Menschen und ihren Beziehungen zueinander. French lotet mit feinem Gespür das komplexe Geflecht der streng katholischen, armen Familie aus: der Vater ein Säufer und Schläger, die Mutter zutiefst verbittert, die Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein in Hassliebe, Eifersucht, Verehrung und Verachtung miteinander verbunden. Geplatzte Träume, Lebenslügen und tiefe Enttäuschungen – die tragische Tat, die daraus resultiert, scheint vollkommen unausweichlich.
Trotz der etwas unbeholfenen Übersetzung ist »Sterbenskalt« ein beeindruckend intensiver Roman, der gefangen nimmt.
Frank Allcroft ist berühmt für seine schlechten Witze. Allabendlich moderiert er bei einem Lokalsender in Birmingham die Nachrichtensendung: ein Mann, der nicht in ein Loch in seinem Garten gefallen ist, landesweite Steak-&Kidney-Pie-Wettbewerbe oder das neue Löschauto der Feuerwehr. Die schalen Kalauer, die Frank in seine Überleitungen einbaut, denkt er sich nicht etwa selbst aus, sondern er kauft sie beim ältlichen Witzeautor Cyril – allerdings nicht wegen deren Qualität, sondern weil Cyril schon für Franks Vorgänger und Mentor Phil Smethway geschrieben hat. Frank tut dies aus einem Gefühl der Loyalität heraus, denn das ist einer der Grundzüge Franks: Er fühlt sich verantwortlich, Vergangenes zu bewahren und Erinnerungen wachzuhalten.
Darin unterscheidet er sich grundsätzlich von seinem verstorbenen Vater, einem berühmten Architekten. Der strebte Zeit seines Lebens danach, die Zukunft zu gestalten – so sehr, dass er kaum die Gegenwart wahrnahm. Franks Mutter hingegen hat weder Interesse an der Zukunft, noch kann sie der Gegenwart oder der Vergangenheit etwas abgewinnen. Ganz anders Phil: Bis zu seinem etwas eigenartigen Unfalltod vor sechs Monaten versuchte er stets, sich selbst immer wieder neu zu erfinden und mit der Zeit zu gehen – trotz seines recht hohen Alters.
»Es kann nicht alles weg sein. Irgendwas bleibt immer«
Ganz besonders liegen Frank die einsam Verstorbenen am Herzen: Vor ihren Wohnungen legt er Blumen nieder, oder er besucht ihre Beerdigung. So wird er auch auf Michael Church aufmerksam. Wie sich herausstellt, war Michael ein langjähriger Freund von Phil – was aber schwer vorstellbar scheint: Der glamouröse Fernsehmoderator, der im fortgeschrittenen Alter den Sprung ist überregionale Fernsehen schaffte und dort mit über 70 Jahren durch eine Samstagabendshow führte, und der unscheinbare Mann, der allein auf einer Parkbank starb? Frank geht dieser Freundschaft nach und kommt dabei nicht nur hinter das Geheimnis von Phils Tod.
»Der vierte Versuch« ist kein Krimi, auch wenn er gern so verortet wird. Wie in Catherine O’Flynns wunderbaren Debüt »Was mit Kate geschah« geht es auch in diesem Roman um das Verschwinden: um das Altern und Erodieren von Menschen, Gebäuden, Städten und Wirtschaftsstrukturen. Mit leiser, aber punktgenauer Ironie, klugem Blick für Zusammenhänge und unsentimentaler Wärme schildert O’Flynn die höchst unterschiedlichen Versuche von Gemeinden und Individuen, irgendwie mit diesem Prozess umzugehen, sich gegen ihn zu wehren und Spuren zu hinterlassen. Herausgekommen ist ein unaufdringlicher und sehr intelligenter Roman über das, was bleibt, wenn etwas verschwindet.
Vor 50 Jahren, am 7. Januar 1961, lief im britischen Fernsehen die allererste Folge von »The Avengers« (Die Rächer) – »Hot Snow« hieß sie. Im Mittelpunkt stand der Arzt Dr. Keel (gespielt von Ian Hendry), dessen Verlobte ermordet wurde. Keel schwor Rache – daraus erklärt sich der etwas blasse Originaltitel, der für die gesamte Serie beibehalten wurde – und traf im Zuge seiner Ermittlungen auf den Agenten John Steed (Patrick Macnee), mit dessen Hilfe er das Verbrechen aufklärte. »Hot Snow« lief nie im deutschen Fernsehen wie auch die meisten weiteren Folgen dieser ersten Staffel. Heute sind die meisten von ihnen verschollen.
Auf arte wurde im vergangenen Dezember die wenigen erhaltenen Folgen gezeigt, derzeit läuft die zweite und bald die dritte Staffel in deutscher Erstausstrahlung.
Dr. Keel wurde schon bald durch eine Frau ersetzt. Zunächst war es die Jazz-Sängerin Venus Smith (Julie Stevens), wenig später dann folgte Cathy Gale, eigentlich Dr. Catherine Gale, eine abenteuerlustige und sehr coole Anthropologin, gespielt von Honor Blackman. Sie war die erste starke Frau der Serie und prägte das selbstbewusste Auftreten ihrer Nachfolgerinnen – na ja, wenn man von Tara King (Linda Thorson) einmal absieht.
»Mrs. Peel, we’re needed!«
Das verbindende Element aller Staffeln ist der stilvolle Gentleman John Steed, stets gespielt von Patrick Macnee. Und die bekannteste Frau an seiner Seite war natürlich die nicht minder elegante und schlagfertige Mrs. Emma Peel, verkörpert von Diana Rigg. Nicht ganz so bekannt ist, dass Rigg erst die zweite Mrs. Peel war. Zunächst hatte Elizabeth Sheperd die Rolle bekommen, es wurden auch einige wenige Folgen mit ihr gedreht – und dann ersetzte man sie aus welchen Gründen auch immer durch Diana Rigg. Die Szenen mit Sheperd wurden mit Rigg nachgedreht und zum Teil einfach in die alten Aufnahmen hineingeschnitten.
Mitunter ist das sogar zu erkennen – in welchen Folgen und warum, erfährt man in der Gesamtedition von »Mit Schirm, Charme und Melone«. Für sie wurden die 2009 und 2010 erschienen vier Editionen zusammengefasst und durch eine Bonus-DVD ergänzt. Wobei »Gesamtedition« relativ zu verstehen ist: Sie beginnt mit Staffel vier aus dem Jahr 1965, dem ersten Auftreten von Mrs. Peel also. Bleibt zu hoffen, dass zumindest Staffel zwei und drei bald ebenfalls erhältlich sind.
Dafür sind aber in der »Gesamtedition« sämtliche Folgen von »The Avengers« und »The New Avengers« (aus den siebziger Jahren) komplett, ungekürzt und zum Teil remastert vorhanden – Bild- und Tonqualität sind wirklich beeindruckend. Für die Neuausgabe wurde die Schwarzweiß-Staffel mit Emma Peel nochmals überarbeitet, sodass Ton und Bild im Vergleich zur Edition 1 von 2009 deutlich besser sind.
Anleitung zur Nerdiness
Zusätzlich zu den 109 Folgen auf 36 DVDs gibt es nicht nur eine Bonus-DVD mit bislang unveröffentlichtem Filmmaterial, sondern über alle DVDs quer verstreut rund 14 Stunden Extras: Interviews, Originaltrailer, Originalwerbeunterbrechungen, die je nach Ausstrahlungsländern unterschiedlichen Vor- und Abspänne, Fotogalerien, Skriptbücher und Zeitungsartikel als Pdfs und und und. Nicht alles überzeugend, nicht alles wirklich relevant, aber viel, richtig viel. Das beigelegte Booklet mit kurzen Informationen zu den einzelnen Agenten (! nicht Schauspieler) und knappen Inhaltsangaben zu den einzelnen Folgen haben übrigens sehr liebevoll Michael Köhler und Winfried Secker zusammengestellt, die seit Jahren den legendären »Emma-Peel-Abend« im Kino Malsehn in Frankfurt bestreiten.
Die Staffeln mit Diana Rigg als Emma Peel werden von Oliver Kalkofe und dem Schauspieler Wolfgang Bahro – wohl am bekanntesten durch seine Rolle als Jo Gerner in »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« – eingeleitet und kommentiert. Beide bezeichnen sich als beinharte Fans – und beeindrucken tatsächlich durch eine enorme Menge an Wissen, besonders Kalkofe, der auch zu späteren Folgen Hintergrundinformationen beisteuert. Im ersten Moment wirken die Kommentare zwar etwas belanglos und mitunter unbeholfen dahingeplaudert – aber schon bald ist klar: Die beiden sind wahrhafte Nerds, die nicht nur ihre Leidenschaft für persönlichen Lieblingsfolgen begründet darlegen können, sondern viele Informationen zu Schauspielern und Gastdarstellern zusammentragen, eine Menge über die Hintergründe über die Produktion in den sechziger Jahren wissen und wirklich kenntnisreich auf Besonderheiten der einzelnen Folgen hinweisen können. Die Entwicklung, die diese wunderbar skurrile und für ihre Zeit innovative Serie genommen hat, wird dadurch umso sichtbarer.
Und wenn man keine Lust auf das Gequatsche hat, kann man die Kommentare auch einfach komplett weglassen und ganz einfach diese großartig überdrehte, skurril-futuristisch und äußerst kultivierte Serie genießen.
Mit Schirm, Charme und Melone. Gesamtedition
(The Avengers 1965-68 & The New Avengers, 1976-77)
Kinowelt: 18.11.2010
Box mit 37 DVDs, Lauflänge ca. 5.440 Minuten