Archiv für den Monat: Januar 2016

Mörderische Perfidie

Ein brutaler Mord in der Wüste nah der texanisch-mexikanischen Grenze, ein FBI-Agent, der wegen seines Wissens über Predator-Drohnen gekidnappt wurde und an ein Drogenkartell oder Al-Kaida verkauft werden soll, dazu mindestens ein psychopathischer Mörder, ein eiskalter russischer Pornoproduzent und mehrere Menschen, die Sheriff Hackberry Holland mit wenig angenehmen Kapiteln seiner Vergangenheit konfrontieren.

James Lee Burke fährt in »Glut und Asche« viel auf und scheut vor den großen Themen nicht zurück: Schuld und Sühne, Verzweiflung und Vergebung, Glaube und Entsetzen. Und das ist auch gut so. Sein aktueller Roman ist so eine Art Fortsetzung von »Regengötter« (Deutscher Krimipreis 2015), steht aber dennoch für sich allein. Wie schon zuvor gelingt es Burke, ein großes Szenario aufzubauen, zu schreiben wie im Breitbildformat – und zugleich die feinen, subtilen Töne zu treffen. Eine beeindruckende und fesselnde Verbindung von Western, Kriminalroman und Gesellschaftsporträt.

Eiskalter Showdown

Es hätte ein einfacher Job sein sollen: reingehen, Pokerrunde ausrauben, wieder rausgehen. Schnell, sicher, lukrativ. Für Crissa Stone, erfahrene Berufsverbrecherin, und ihre ebenso professionellen Komplizen Arbeitsalltag mit kalkulierbarem Risiko. Doch diesmal geht etwas schief: Jemand wird bei dem Überfall erschossen – ausgerechnet der Schwiegersohn eines Gangsterbosses. Dieser engagiert nun wiederum einen Killer, um Stone und ihre Kollegen auszuschalten. So sieht es zumindest auf den ersten Blick aus – doch die Lage der Dinge ist etwas komplexer. Und weit gefährlicher.

Mit Crissa Stone hat Wallace Stroby in seinem Roman »Kalter Schuss ins Herz« eine für Kriminalromane ungewöhnliche Figur geschaffen: Sie ist konsequent, eigenständig und selbstbestimmt, sie kann sich effektiv verteidigen und für sich selbst sorgen, ist aber keine zynische Einzelgängerin: Sie geht Bindungen ein und wird dadurch verletzlich. Gerade dies ist ihre große Stärke.

Lakonisch und ohne Umschweife erzählt, stilsicher von Alf Mayer übersetzt, ist »Kalter Schuss ins Herz« ein beeindruckender, spannungsreicher Krimi, der in Plot wie Figurenzeichnung überrascht und überzeugt.

Monster gebären Monster

Als Kind wurde Red Dock gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder in ein katholisches Waisenhaus gebracht – als Erwachsener rächt er sich perfide dafür. Sein Plan ist dunkel, heimtückisch komplex, auf lange Sicht ausgelegt und gut durchdacht. Was er jedoch nicht erwartet hat: Ein phantasiebegabter Serienkiller kreuzt seinen Weg – in mehr als einer Hinsicht.

Seamus Smyth’ Roman »Spielarten der Rache« ist eine wütende und düstere Anklage eines unmenschlichen Systems: Über Jahrzehnte hinweg misshandelten und missbrauchten katholische Mönche und Nonnen in Irland die ihnen anvertrauten Waisenkinder. Die Gesellschaft verschloss bewusst die Augen davor und begünstigte die Grausamkeiten durch Normen und Tabus. Erst seit den neunziger Jahren wird dies aufgearbeitet.

Smyths Protagonisten – der Roman ist aus verschiedenen Perspektiven geschrieben – sind das Ergebnis der Misshandlungen: zerstörte Seelen, besessen von Rache. Doch bei aller Wut und Schonungslosigkeit schreibt Smyth mit Selbstironie und makabrer Komik. Und das ist auch gut so.

Kirsten Reimers

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James Lee Burke: Glut und Asche
(Feast Day of Fools, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller
Heyne Hardcore 2015
kart., 699 Seiten, 17,99 Euro
ISBN 978-3-453-67680-0
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Wallace Stroby: Kalter Schuss ins Herz
(Cold Shot to the Heart, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Alf Mayer
Pendragon 2015
kart, 351 Seiten, 15,99 Euro
ISBN: 978-3-86532-487-0
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Seamus Smyth: Spielarten der Rache
(Red Dock, 2010)
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Pulp Master 2015
kart., 267 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-927734-61-6
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse


Tödliche Lebenslügen

So abgehalftert wie sein Kumpel Beale wird Alan Slater nicht enden, da ist er sich ganz sicher. Beide sind Vertreter für Doppelverglasungen, doch Beale ist auf dem Weg nach ganz unten, seit seine Ehe den Bach runter ist, er seine Zeit überwiegend mit Glücksspiel verbringt und seinen Job schleifen lässt. Alan hingegen hat alles im Griff: den Job, die Abschlüsse, die Ehe, die Geliebte. Er hat ein Auge auf Beale, wenn der sich wieder einmal zusäuft und dann aggressiv wird. Ihm, Alan, würde das nie passieren, weil er sich im Griff hat.

Ein Leben am Anschlag: nur der Abschluss zählt, die Konkurrenz schläft nicht – und unter den Kollegen preschen die Jungen, Hungrigen vor. Alan hält zahlreiche Bälle in der Luft, das erfordert Selbstbeherrschung und Kontrolle. Als Beale sich auf eine Pokerpartie einlässt, die vollkommen anders verläuft als geplant, und daraufhin seine Selbstüberschätzung implodiert, reißt dies auch Alan mit rein. Dessen fragiles Lebenskonstrukt bekommt Risse, die durch hohle Selbstmotivationsformeln, noch stärkere Kontrolle und noch mehr Alkohol nicht mehr zu kitten sind.

Ray Banks legt in seinem Krimidebüt »Dead Money« einen rabenschwarzen Roman über Lebenslügen, aggressive Leistungsfixierung und fatale Überheblichkeit vor. Und über Poker natürlich.

Abgrund der Sprachlosigkeit

Um Lebenslügen ganz anderer Art geht es in Friedrich Anis neuem Roman »Der namenlose Tag«, der den pensionierten Kriminalkommissar Jakob Franck als neue Hauptfigur einführt. Dieser wird kurze Zeit nach seinem Eintritt ins Rentnerleben gebeten, in einem alten Fall zu recherchieren: Vor zwanzig Jahren starb ein junges Mädchen – und der Vater kann bis heute nicht glauben, dass es sich um einen Selbstmord handelte. Franck, dem dieser Fall in Erinnerung geblieben ist, begibt sich auf die Suche.

Diese Suche ist ein Abtauchen in Seelenabgründe – Franck öffnet Türen in die Vergangenheit, hinter denen sich jedoch kein reißerisches Geheimnis, kein blutiges Verbrechen versteckt. Vielmehr ist es der traurige graue Alltag und das Unvermögen, über Gefühle und Wünsche zu sprechen. Mit großer Intensität und klugem Feingefühl zeichnet Ani die Welt einer Generation, die nie gelernt hat, über sich nachzudenken, die stets nur fleißig gearbeitet hat, ohne die generationenalten Lebensentwürfe zu hinterfragen. Einfache, unauffällige Menschen, die sich nie Träume oder ein Ausbrechen erlaubt haben, keine Wünsche nach einem anderen Leben.

Friedrich Ani macht die Einsamkeit sowie das Unglück, das aus dieser Sprachlosigkeit erwächst, fühlbar. Man möchte die Figuren schütteln und ihnen zurufen: Redet, macht den Mund auf, sagt, was ihr denkt und fühlt, worauf ihr hofft. Ein ganz wunderbarer Roman von großer Traurigkeit und zarter Leichtigkeit.

Brüll das Leben an!

Leider ein wenig in Vergessenheit geraten ist Léo Malet, einer der Begründer des französischen Polar. Umso höher ist es der Hamburger Edition Nautilus anzurechnen, dass sie zumindest Malets sogenannte »Schwarze Trilogie« verfügbar hält. Vor kurzem ist der erste Band erschienen: »Das Leben ist zum Kotzen«, eine überarbeitete Neuausgabe, ergänzt um ein unverzichtbares Nachwort des Krimiexperten Tobias Gohlis.

Malet, Surrealist und Anarchist, Chansonnier und Krimiautor, schrieb Anfang der 1940er Jahre zunächst unter englischem Pseudonym Hard-boiled-Kriminalromane im Stil von Dashiell Hammett und Raymond Chandler. Bekannt wurde er später mit seinen Romanen um den Privatdetektiv Nestor Burma, die zwar angelehnt an die angloamerikanische Tradition, aber dennoch völlig anders und durch und durch französisch waren. Dazwischen erschien die »Schwarze Trilogie«: Dunkler, verzweifelter, abgründiger als alles, was Malet vorher oder nachher verfasst hat.

»Das Leben ist zum Kotzen« ist geschrieben aus der Sicht eines gesellschaftlichen Außenseiters, der vom Revolutionär zum Verbrecher und Mörder wird – voller Wut und Frustration, Brutalität und Einfühlsamkeit; voller Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit, gepaart mit allesdurchdringenden Hass. Groß. Sehr, sehr groß.

Kirsten Reimers

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Ray Banks: Dead Money
(Dead Money, 2011)
Aus dem Englischen von Antje Maria Greisiger
Polar Verlag 2015
kart., 205 Seiten, 12,90 Euro
ISBN 978-3-945133-04-0
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Friedrich Ani: Der namenlose Tag
Suhrkamp 2015
geb., 299 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-518-42487-2
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Léo Malet: Das Leben ist zum Kotzen
(La vie est dégueulasse, 1948)
Aus dem Französischen von Sarah Baumfelder und Thomas Mittelstädt
Edition Nautilus 2015
kart., 159 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-89401-823-8

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse