Archiv für den Monat: Januar 2012

Von tödlichen Geheimnissen und poetischer Grenzüberschreitung

So unterschiedlich wie eigen

Im Nachlass seines verstorbenen Vaters entdeckt Robert Lubisch das Foto einer unbekannten jungen Frau, aufgenommen in den frühen vierziger Jahren. Eine frühe Freundin? Vielleicht gar eine Geliebte? Aus Neugier – und in der Hoffnung, einen kleinen grauen Fleck auf der aufreizend weißen Weste des Vaters zu finden – beginnt Lubisch, ein wenig nachzuforschen, wer diese Frau gewesen sein mag. Die Recherchen führen ihn nach Kranenburg am Niederrhein und in die Zeit des Nationalsozialismus – und in ein Drama, das bis in die Gegenwart nachwirkt.

Mechthild Borrmann ist mit »Wer das Schweigen bricht« ein sehr ruhiger, nahgehender Kriminalroman über Jugend, Liebe und Zurückweisung gelungen, der seine Glaubwürdigkeit aus den sorgfältig gezeichneten Figuren und ihren Lebensumständen bezieht. Die Zeit des Nationalsozialismus ist dabei ebenso Bedingung für die geschilderten Ereignisse wie die Charaktere mit ihren unterschiedlichen Sehnsüchten und Ängsten, die hier aufeinander treffen.

Zwischen Melancholie und Verzweiflung

Kurz vor Weihnachten verschwindet der zehnjährige Adrian aus einem Kinderschutzhaus in München. Tabor Süden, früher Kriminalkommissar, heute Privatdetektiv, wird beauftragt, den Jungen zu suchen. Dank der SMS, die Adrian seiner besten Freundin Fanny schreibt, kommt Süden mit dem Jungen ins Gespräch. Nach und nach nähert er sich dem Leben des Kindes.

»Süden und die Schlüsselkinder« ist nach »Süden« der zweite Roman, in dem Friedrich Anis langjähriger Polizeiermittler Tabor Süden nach sechsjähriger Auszeit nun als Privatdetektiv unterwegs ist und vermisste Personen sucht – intuitiv, einfühlsam und mit großer Sturheit. Wie gewohnt scheut Ani keinerlei Nähe zu seinen Figuren, deren Motive, zerschollene Hoffnungen und Leben er intensiv ausleuchtet in dieser faszinierenden Mischung aus Melancholie, Verzweiflung und Leichtigkeit.

Über Grenzen hinweg

Ein todkranker Auftragskiller, Vietnamveteran, soll einen unauffälligen Buchhalter töten. Doch bevor es dazu kommen kann, schießt jemand anders auf das Opfer. Ein Detective, dessen Frau im Sterben liegt, wird gemeinsam mit seinem Partner auf den Fall angesetzt. Ein Junge wird von beiden Eltern verlassen und schlägt sich allein durchs Leben – und träumt die Träume des todkranken Killers.

James Sallis‘ Roman »Der Killer stirbt« ist weniger ein Krimi als vielmehr eine Reflektion über Verlassenheit, Verlust und Tod, die sich nicht um Genregrenzen schert. Die Handlung entwickelt sich nicht chronologisch, sondern folgt einer Traumlogik, in der die Zeitebenen verschwimmen sowie Erinnerungen, Träume und Phantasien einfließen aus den unterschiedlichen Perspektiven des Killers, des Polizisten und des Jungen. Bei aller Nüchternheit der Sprache poetisch und faszinierend.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Mechthild Borrmann: Wer das Schweigen bricht
Pendragon 2011
Tb., 224 Seiten, 9,95 Euro
ISBN: 978-3-86532-231-9
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch-Download (hier klicken)

Friedrich Ani: Süden und die Schlüsselkinder
dtv 2011
Tb., 188 Seiten, 8,99 Euro
ISBN: 978-3-426-50936-4
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

James Sallis: Der Killer stirbt
Aus dem Englischen von
Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt
Liebeskind 2011
geb., 251 Seiten, 18,90 Euro
ISBN 978-3-935890-78-6

Diese Besprechung ist erstmals erschienen
in der Frankfurter Neuen Presse.


Von Drogenkriegen, geheimnisvollen Ungeheuern und mörderischem Ehrgeiz

Spannung zwischen Coolness und Satire

Mit »Tage der Toten« schrieb Don Winslow einen der wichtigsten und besten Romane dieser Zeit zum Drogenkrieg zwischen den USA und Mexiko. Sein aktueller Roman »Zeit des Zorns« greift sozusagen einen einzelnen Mosaikstein dort heraus und schildert das Drogenmilieu im Kleinen.

Ben und Chon verkaufen das beste Marihuana in Kalifornien. Die beiden Männer könnten unterschiedlicher kaum sein: Chon, ein Ex-Marine, der bereit ist, ohne Skrupel zu töten, Ben, der den Gewinn aus seinen Drogengeschäften in humanitäre Projekte in der dritten Welt steckt. Dennoch sind sie die besten Freunde, die sogar problemlos in ein und dieselbe Frau verliebt sein können: Ophelia, genannt O. Das Geschäft läuft gut, bis das Baja-Kartell, das größte Drogenkartell an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, den kleinen entspannten Konkurrenzbetrieb schlucken will. Es entbrennt ein Kampf zwischen den ungleichen Branchenvertretern, der nur in die Katastrophe führen kann.

»Zeit des Zorns« ist ein schneller, extrem cooler, unverfrorener und intelligenter Roman, der sich nicht um Schreibkonventionen kümmert. Zum Glück wurde er hervorragend übersetzt von Conny Lösch. Ein grandioses, kleines, abgebrühtes Meisterwerk!

Auf der Jagd nach dem Antichrist

Erneut schickt Josh Bazell in »Einmal durch die Hölle und zurück« seinen ehemaligen Mafiakiller und jetzigen Arzt Pietro Brnwa ins Rennen, diesmal auf die Suche nach einem Ungeheuer in den Seen von Minnesota. Der Roman erreicht nicht die abgeklärte Lässigkeit und drogenstarrenden Überschallgeschwindigkeit des Erstlings »Schneller als der Tod«, doch ist er voller absurder Ideen, die recht hübsch auf die Spitze getrieben sind – unter anderem Sarah Palin auf LSD auf Suche nach dem Antichrist.

Wieder gespickt mit Fußnoten, wartet der Roman mit Exkursen und gefakten Lexikonartikeln sowie mit einem umfangreichen Quellenverzeichnis auf. Dieses zeigt zum einen die Vielfalt der Themen, die Bazell anreißt, und zum anderen wird deutlich, wie durchdacht er Stellung bezieht zu Umwelt-, Gesundheits-, Energiethemen innerhalb dieses schön überzogenen, vielleicht etwas geschwätzigen Thrillers. Die Korruption und Unfähigkeit verschiedener US-Regierungen und Präsidenten werden genauso süffisant bis boshaft eingebunden wie Widersinnigkeiten des Gesundheitssystems oder christlicher Fanatismus. Allein wegen dieses Quellenverzeichnisses ist der Roman schon lesenswert.

Mörderische Bildung

Auch Rob Alef legt mit »Kleine Biester« seinen zweiten Kriminalroman vor: Eine Reihe seltsamer Unfälle dezimiert die Klasse 6b der James-Hobrecht-Grundschule in Berlin-Kreuzberg: Zuerst tut sich ein Krater im Sandkasten eines Spielplatzes auf und zieht ein Mädchen in die Tiefe, dann stirbt einer ihrer Mitschüler an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Erst der angesägte Lenker eines Kinderfahrrads bestätigt den Verdacht: Hier ist ein perfider Mörder am Werk. Hängt die Mordserie mit dem Auswahlverfahren der nächst höheren Schule zusammen? Will hier jemand die Anwärter auf die ebenso begehrten wie limitierten Schulplätze beiseite schaffen, um die eigenen Chancen beziehungsweise die des eigenen Kindes zu erhöhen?

Mit einem vertrackten Sinn fürs kleine gemeine Böse nimmt Rob Alef ehrgeizige Eltern, »Arschlochkinder« (wie Christiane Rösinger sie so treffend nennt) und neoliberales Leistungsgedöns satirisch aufs Korn. Dabei verwebt er ausgeklügelte fiktive Stadtgeschichte mit jugendlichem Forscherdrang, ausgefallenen Mordmethoden und einem Schuss Phantastik. Herausgekommen ist ein netter, fieser, kleiner Krimi, der angenehm überzogen ist und nie ins Alberne kippt.

Kirsten Reimers

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Don Winslow: Zeit des Zorns
(Savages, 2010)
Deutsch von Conny Lösch
Suhrkamp 2011
Tb., 338 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-518-46300-0
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Josh Bazell: Einmal durch die Hölle
und zurück
(Wild Thing, 2011)
Deutsch von Thomas Gunkel und Malte Krutzsch
S. Fischer Verlag 2011
Hc, 409 Seiten, 18,95 Euro
ISBN 978-3-10-003913-2
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Rob Alef: Kleine Biester
Rotbuch Verlag 2011
Tb., 349 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-86789-136-3
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Diese Besprechung ist erstmals erschienen
in der Frankfurter Neuen Presse.