Archiv für den Monat: Januar 2010

Nachtschwärze, Eiseskälte, Langeweile

Zwar sorgfältig konstruiert, aber vorhersehbar

Als die Temperance Brennan zu sich kommt, umgibt sie Schwärze, feuchte Kälte und ein muffiger Geruch: Offenbar ist sie lebendig eingesperrt in einer recht geräumigen Grabkammer. Nach und nach kehren Brennans Erinnerungen an die vergangenen Tage und Wochen zurück. In der letzten Zeit haben sich zahlreiche merkwürdige Dinge ereignet: Sie war in ihrer Wohnanlage das Ziel mehrer anonymer Attacken (Drohbriefe, eingeschlagene Fensterscheibe, Katzenkot vor der Wohnungstür), und auch an ihrem Arbeitsplatz in Montreal häuften sich eigenartige Vorfälle: Die Expertin für Knochen wurde beschuldigt, unsauber gearbeitet zu haben, Todesursachen falsch eingeschätzt, Knochen am Skelettfundort übersehen und Spuren an alten Zähnen nicht richtig analysiert zu haben. Überarbeitung? Schlampiges Vorgehen? Oder gar Sabotage?

Das ist der Auftakt von Kathy Reichs 12. Thriller um die forensische Anthropologin Dr. Temperance Brennan. Im Original heißt er deutlich zurückhaltender und in seiner Nüchternheit letztlich treffender »206 Bones«. Nach dem dramatischen Beginn geht es auf zwei Zeitebenen weiter: Während Brennan versucht, sich aus ihrem Gefängnis zu befreien, wird auf einer zweiten Zeitschiene aufgerollt, was in den Wochen zuvor vorgefallen ist: Morde an mehreren älteren Frauen, die offenbar zusammenhängen, zufällig gefundene Skelettreste von mindestens vier Personen, ein anonymer Anrufer, der Brennan der Nachlässigkeit bezichtigt. Und natürlich spielt die reichlich komplizierte Beziehung zu Detective Andrew Ryan eine Rolle, der nun doch wieder gern zu Tempe Brennan zurückkehren würde.

Verwicklungsfreiraum

Abgesehen von dem reißerischen Anfang ist es eigentlich ein recht ruhiges Buch: unspektakuläre Ermittlerarbeit, Verhöre, Untersuchungen von Knochen und Zähnen mit den neuesten technischen Errungenschaften. Wirklich gut und spannend wird es immer dann, wenn Brennan sich in ihre Arbeit vertieft und Reichs unaufgeregt und detailliert, aber sehr verständlich und anschaulich beschreibt, was Brennan tut – kein Wunder: schließlich arbeitet Reichs selbst als forensische Anthropologin. So ist es besonders der Fall der vier alten Skelette, der eine gewisse Sogkraft entwickelt. Leider ist das nur ein Nebenstrang.

Im Mittelpunkt stehen die Morde an den älteren Frauen und die Anfeindungen, gegen die sich Tempe Brennan erwehren muss. Aber das wirkt wie lustlos runtergeschrieben, ohne große Verwicklungen oder Überraschungen. War der letzte Fall »Der Tod kommt wie gerufen« (im Original »Devil Bones«) verworren und opak, so ist es diesmal allzu offensichtlich, was und wer dahintersteckt. Und die Lebendig-begraben-Geschichte ist ein eigenartig aufgepfropfter Block, der wohl etwas Action in den sonst beschaulichen Fortgang bringen soll.

Bei aller Halbherzigkeit ist der Krimi aber natürlich wie alle Thriller von Kathy Reichs gut geschrieben (auch recht gut übersetzt), in sich konsistent und sorgfältig aufgebaut. Aber er überrascht halt an keiner Stelle und wirkt insgesamt eher wie eine langweilige Pflichtübung.

Kirsten Reimers

Kathy Reichs: Das Grab ist erst der Anfang
Aus dem amerikanischen Englisch von Klaus Berr
Blessing 2009
geb., 384 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-89667-323-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch-Download (hier klicken)

Diese Rezension ist bereits erschienen im neu gestalteten Titel-Magazin.


Verwabert im Unentschlossenen

Milde Satire, Selbstfindungsroman oder kuscheliger Whodunit?

Seit dreißig Jahren hat Schriftstellerin Amy Gallup keinen Roman mehr veröffentlicht. Um sich über Wasser zu halten, gibt sie Abendkurse im kreativen Schreiben. Unter den Schülern ihrer neuen Klasse aber befindet sich jemand, der die Sache deutlich zu ernst nimmt. Anonym terrorisiert er Lehrerin wie Teilnehmer gleichermaßen: Die eingereichten Leseproben werden verhöhnt, die Kursmitglieder bös verunglimpft, eine Schülerin fast zu Tode erschreckt; Amy erhält nachts Anrufe, bei denen ein Tonband stets wiederholt, was sie wenige Stunden zuvor im Unterricht gesagt hat. Lag in den Taten anfangs noch ein boshafter Witz, werden sie im Laufe der Zeit immer gemeiner und tückischer. Schließlich kommt gar der erste Kursteilnehmer ums Leben.

Jincy Willetts Buch »Die Dramaturgie des Tötens« (im Original »The Writing Class«) lässt sich zunächst gut an, es ist ansprechend geschrieben und sehr gut übersetzt. Die Hauptfigur nimmt viel Raum ein und ist liebevoll ausgestaltet als grummelige ältliche Eigenbrötlerin, gesegnet mit einer spitzen Zunge, der sie – zumindest in privaten Äußerungen – zum Glück wenig Einhalt gebietet. So kommen einige recht amüsante und zielsichere Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb und die Selbst- und Fremdfindung in Abendkursen der Erwachsenenbildung zusammen. Es gibt sogar ein paar sehr nützliche Tipps zum Verfassen von belletristischen Texten.

Ohne Spannungsbogen ins Aus laviert

Doch während Amy Gallup aus ihren Taten, Gedanken und Worten heraus charakterisiert wird, bestehen die meisten übrigen Figuren nur aus Zuschreibungen. So bleiben sie blass und verwechselbar. Auch die Handlung, die anfangs einen erfreulichen Sog entwickelt, gerät nach und nach ins Stocken. Das liegt unter anderem an einem unentschiedenen Serientäter.

Im Grunde passt das sogar zu den Personen. Denn Hauptfigur Amy betont mehrfach, dass sie nicht am »Wie« interessiert ist – und tatsächlich bleiben die Fragen, wie denn nun der Täter vorging, weitgehend ungeklärt. Auch das unentschlossene Vorgehen des Serientäters ist der Figur durchaus angemessen, entspricht es doch seinem Schreibstil: überwiegend ohne Spannungsbogen.

Doch ein Krimi ohne Spannungsbogen – das klappt nur selten. Und das funktioniert überhaupt nicht, wenn der Text noch dazu herumlaviert zwischen Selbstfindungsroman, (sehr milder) Satire auf den eitlen Schreibzirkus und Whodunit – auch wenn »Herumlavieren« exakt das Vorgehen ist, das Amy ausdrücklich wählt, um den Serientäter zu entlarven. Die Autorin hätte lieber andere Aussagen ihrer Hauptfigur aufgreifen sollen. Zum Beispiel hätte sie ihre Schreibtipps beherzigen können. Hätten alle mehr von gehabt.

Kirsten Reimers

Jincy Willett: Die Dramaturgie des Tötens
Deutsch von Gabriele Weber-Jarić
Rowohlt TB 2009
kart., 399 Seiten, 9,95 Euro
ISBN: 978-3-499-24914-3

Diese Rezension ist auch erschienen auf satt.org

Es lohnt sich unbedingt ein Blick ins neugestaltete
Titel-Magazin


Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein

Witzel, Walter und Meinecke rekonstruieren ihre BRD

Jubeljahr 2009: 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Mauerfall. Staatstragende Festlichkeiten und gravitätische Gedenk- veranstaltungen allerorten. Eine etwas andere Erinnerung bietet das Buch von Frank Witzel (Schriftsteller, Musiker, Illustrator), Klaus Walter (Radiomoderator, DJ, Journalist) und Thomas Meinecke (Schriftsteller, Musiker, Radio-DJ). Nach ihrem Gesprächsband »Plattenspieler« aus dem Jahr 2005, in dem Pop die Weltdeutungsmatrix gab, ist es nun die Frage »Was bedeutet für uns BRD?«, die als Gegenstand der Unterhaltung der drei Männer Jahrgang ’55 dient.

FW: Ich möchte doch nur darüber reden. Obwohl du das alles durchschaut hast und ich nicht gerührt war, waren das trotzdem Punkte, die für die BRD von Bedeutung waren.
TM: Aber nicht für meine BRD. Wir machen doch kein Buch für irgendwelche Spießer da draußen, die sagen: Das war toll, als der endlich mal mit Turnschuhen da reinging [Joschka Fischers Vereidigung als erster grüner Minister einer hessischen Landesregierung 1985]. Das ist einfach nicht meine BRD.
FW: Thomas, Thomas, wir wollen doch über unsere BRD reden.
KW: Steile These wäre, dass dieser Turnschuhmoment schon das Ende der BRD war.
FW: Aber dann wär’s ja ein doller Moment.
KW: Ein Zeichen, hier mischt sich jetzt die Gesellschaft neu, und hier gibt es jetzt neue Allianzen.
TM: Das finde ich nicht. Das war einfach die Klimax des Zweitausendundeinshaften.
KW: Du meinst den Laden jetzt.
TM: Ausverkauf von Dingen, die einem eigentlich etwas bedeuten

Adenauer neben dem Rosenbusch, Nazis unter den Lehrern, Günter Grass und der beleidigte Gestus, Franz Josef Strauß, Beate Klarsfeld, Kiesinger, Adorno, die Grünen, der Katholizismus, natürlich die RAF, ’68, die Frage, wann Nacktheit von Befreiung zum Zwang mutierte, selbstverständlich Musik – die drei versuchen festzumachen, welche Bilder und Ereignisse, welche Erfahrungen und Gefühle sie mit der BRD verbinden. Im Vordergrund steht der politische Blick, Generationengeplapper wie der Austausch über Spielzeug oder Fernsehserien soll – so Klaus Walter im Vorwort – vermieden werden. Er räumt aber selbst ein, dass das nicht immer gelingt. Das macht aber nichts, denn es ist nicht strukturbestimmend, sondern tupft nur manchmal auf.

Dieses schlimme Wir

Es ist ein Blick aus der zweiten Reihe, wie die Autoren selbst sagen: geboren Mitte der fünfziger Jahre, zu jung für ’68, zu alt für Punk – immer darauf wartend, dass nun endlich ihre Ära kommt. Aus der beobachtenden Distanz entsteht so ein facettenreicheres Bild der BRD als bei den Jubelevents – was aber angesichts der Autoren auch kaum überrascht. Es ist ein privater und zugleich kollektiver Blick auf die politische Bewusstwerdung, die Konstruktion von Identität durch die Erinnerung.

Immer mitgedacht dabei: die Gesprächsituation als Produktionssituation. Die Versuchsanordnung ist dieselbe wie in »Plattenspieler«, erklärt Walter im Vorwort: »Die Gespräche werden aufgezeichnet, abgeschrieben, gedruckt. Keine redaktionelle Bearbeitung. Weglassen ist erlaubt, Verschönern nicht.« Neben Überlegungen zur Titelwahl und dem Ziel des Buches finden sich wiederholt Bemerkungen, dass das eben Gesagte ja wohl für die Buchrückseite gesprochen worden sei. Dadurch wird eine weitere Ebene, eine zusätzliche Reflexionsspur eingezogen; die ironische Distanz zum Gesprächsgegenstand wird vergrößert und das gesamte Projekt veruneigentlicht.

KW: Sollen wir das Buch nicht Sozusagen nennen?
TM: Sag ich das immer noch so oft?
KW: Nee, ich auch. Mir ist aufgefallen, dass ich permanent sozusagen sage.
TM: Ich habe das teilweise mal aufgelöst durch quasi.
KW: Sozusagen steht doch für eine abhanden gekommene Eigentlichkeit, dass man also nicht mehr über Deutschland reden kann, dass, wer Deutschland sagt in unserer Adoleszenz, eindeutig ein Apologet des Nazi-Deutschlands ist, und wer BRD sagt, ein Apologet der deutschen Teilung. Beides sind klare politische Positionierungen, und es gibt nicht mehr eine Naivität des Deutschland-Sagens.
TM: Prima Sache, eigentlich.
KW: Prima Sache, die aber von niemandem politisch adaptiert wurde. Oder gab es irgendwen, der diese Nicht-Identität für sich proklamiert hat? Handke oder whoever?
FW: Der war ja Österreicher. Der hatte ein ganz anderes Problem.

»Die Bundesrepublik Deutschland« ist ein sehr eigener Blick zurück, eine tripelbiografische Rekonstruktion. Manchmal etwas verlabert, manchmal etwas lustlos, mitunter auch ein wenig gezwungen – aber meist witzig, aufschlussreich, waghalsig, mehrbödig. Eine gute Ergänzung zum üblichen unkritisch-verzuckerten Erinnerungskitsch.

Kirsten Reimers

Frank Witzel, Klaus Walter, Thomas Meinecke: Die Bundesrepublik Deutschland
Edition Nautilus 2009
kart., 192 Seiten, 16 Euro
ISBN 978-3-89401-600-5

Diese Rezension ist auch erschienen auf satt.org

Eine kürzere Version ist bereits erschienen bei Literaturkritik.de