Splatter-Horror-Serienmord – grandios und doch schwächelnd
Frank Spain ist Profikiller der Mafia. Emotionslos, hoch professionell, zuverlässig. Eine gut geölte Tötungsmaschine und ein loyaler Angestellter. Im Umgang mit dem Tod erfahren und souverän. Nur mit den Lebenden hat er Schwierigkeiten. Im Privatleben ist er hilflos angesichts der emotionalen Bedürfnisse von Ehefrau und Tochter. Als seine Frau ihn betrügt – »Es hätte jeder sein können«, »Du redest nie mit mir« – und sich scheiden lässt, bleibt Spain mit seiner pubertierenden Tochter Tiff zurück: »Sie war vierzehn und blühte auf, und er wusste nicht, was er machen sollte.« Wenn er reden müsste, schweigt er, wenn er zuhören müsste, brüllt er. Mit Strenge und Unverständnis treibt er seine Tochter immer tiefer in die Arme eines hinterhältigen Schulschönlings. Der macht Tiff erst emotional und dann mit Drogen hörig und schickt sie auf den Strich, wo sie noch am ersten Abend von einem perversen Freier so misshandelt und verstümmelt wird, dass sie bleibende Schäden davonträgt. Für ihren Zuhälter nun unbrauchbar, wird sie an einen Pornoproduzenten verkauft. Tiffs Abstieg ist kurz und schrecklich. Sie endet als Hauptdarstellerin in einem Snuffvideo.
Als Jack Spain davon erfährt, dreht er durch. Er schwört blutige Rache an allen, die für ihren Tod in irgendeiner Weise Verantwortung tragen. Dies führt ihn bis tief in die Reihen seiner eigenen Auftraggeber, der Mafia, bis hin zu seinem jahrelangen Mentor. Denn Drogenhandel und Pornoindustrie ist nun einmal ein Nebenerwerbszweig der Mafia. Spain, der Profikiller, startet einen Rachefeldzug, der an Gnadenlosigkeit kaum zu überbieten ist.
»Alle so tot wie die Weihnachtsbäume vom vergangenen Jahr«
Mit jedem Mord verändert er sich. War er anfangs der verzweifelte Vater, der von Schmerz getrieben wurde, der fast Mitleid erregte, so wächst in ihm mit jedem neuen Toten, mit jeder neuen Hinrichtung – eine grausamer als die andere – ein Monster von ungeheurem Blutdurst. Spain, der methodisch vorgehende, emotionslose Auftragsmörder, verspürt ein seltsames, überwältigendes Gefühl: »Den Wunsch, den nächstbesten Menschen zu töten, mit dem er in Kontakt kam. Er identifizierte es korrekterweise als Wahnsinn und verdrängte es.« Zu Spain dem Psychopathen, der geplant und umsichtig Menschen umringt, tritt Spain der Psychot, der wahllos und spontan zuschlägt.
»Ein Hybridkiller«, konstatiert Jack Eichord, der zur Aufklärung der vermeintlichen Mafiamorde hinzugezogen wird. Denn Spain versteht es, seinen Rachefeldzug so zu inszenieren, dass er nach außen wie der Krieg zweier rivalisierender Familienzweige erscheint. Lediglich Eichord durchschaut dies. Schon zu Beginn des Buches begegnen sich Spain und der Mann, der in Millers Debütroman »Fettsack« (im Original »Slob«) den tonnenschweren Massen-Serien-Mörder »Chaingang« Bunkowski überwältigte.
Die Presse liebte Vokabeln wie »Serienmörderexperte«, wie unzutreffend sie auch sein mochten, und Jack Eichord geriet solchermaßen ins Visier der Medienmeute. Sie schrieben über sein Genie in der Verbrechensaufklärung und sein Sherlock-Holmes-gleiches Gehirn, und er lachte über den ganzen Quatsch, genau wie seine Kollegen, die es besser wussten. Er hatte Glück. Er besaß eine Gabe. Irgendwas. Er hatte Eingebungen. Was auch immer. Das Ding, das er in sich trug. Er nannte es seinen Scheißedetektor. Und der surrte gerade auf Hochtouren, obwohl Eichord keinen blassen Schimmer hatte, warum.
Der Mann namens Frank Spain besaß denselben Instinkt, dieselbe Intuition, nur umgekehrt. Jeder tat das kalte Gefühl im Inneren achselzuckend ab, wie zwei Schiffe, die einander in der Nacht passieren (…).
Eichord wird von Anfang an als innig-verbundener Gegenpart des durchgeknallten Profikillers gezeichnet – ihm ähnlich und doch auf der anderen Seite der Grenze: Während Spain Frau und Tochter und darüber den Verstand verliert, findet Eichord nach Trennung von Freundin mitsamt Tochter eine neue Liebe; während Spain einsam in Rache und Blutdurst watet, ist Eichord umhüllt von Verliebtheit und Sex. Aber während Eichord und sein Glück ziemlich blass bleiben, ist man als Leser schmerzhaft nah, manchmal zu nah am elenden Verreckten von Tiff und dem blutrünstigen Überdrehen ihres Vaters dran.
Durch den Blutregen ins Herz des amerikanischen Idylls
Wie Chaingang in »Fettsack« ist Frank Spain eine ausgebildete Tötungsmaschine, die sich letztlich gegen ihren Auftraggeber richtet – bei Chaingang die US-Gesellschaft, bei Spain die Mafia, die »Familie«, durchaus auch im weiteren Sinn. Das ist nicht die einzige Parallele, denn wie Chaingang wird der Hybridkiller vom »Serienmörderexperten« Eichord überwältigt, indem dieser die emotionale Achillesferse des Monsters ausmacht und hineinhackt.
Überhaupt ist »Im Blutrausch« (eine wahrhaft angemessene Übersetzung des Originaltitels »Frenzy« von 1988) dem vorangehenden »Fettsack« durchaus ähnlich: die grandiose Sprache – wieder kongenial ins Deutsche übertragen von Joachim Körber; die Erzählweise, die alle Konventionen und alles Chronologische hinter sich lässt und so zum Wesentlichen vordringt; der gallige makabere, genaue Humor, der das Absurde so vertraut macht; die Horror- und Splatterelemente, die gekonnt eingesetzt werden; das Monströse, das überall lauert – alles da. Dazu noch zielt Rex Miller mit Präzision durch die Blutströme auf das amerikanische Ideal von der heilen Familie und dem Selfmademan, der sich aus kleinen Verhältnissen hocharbeitet, bis er Häuschen, Frau und Kind in der Vorstadt hat – eine Idylle, wären nur die Menschen nicht, wie sie sind. Alles ist da, alles ist noch besser, noch komplexer, noch ausgefeilter als in »Slob«. Und das ist die Krux. Denn »Im Blutrausch« wirkt wie die verbesserte Kopie von etwas Grandiosem. Noch begeisternder, blutiger, ekliger, grotesker, überzogener, noch literarischer. Und doch leider nur eine Kopie: nicht mehr wirklich überraschend, nicht mehr ganz so provokant.
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Rex Miller: Im Blutrausch
Aus dem amerikanischen Englisch von Joachim Körber
Edition Phantasia 2009
kart., 318 Seiten, 17, 90 Euro
ISBN: 978-3-937897-34-9
Mit ihren Allgäukrimis um den kauzigen Kommissar Kluftinger gehören Volker Klüpfel und Michael Kobr zu den bekanntesten und erfolgreichsten Krimiautoren Deutschlands. Bislang wurden rund 1,4 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkauft, der letzte Krimi erstürmte innerhalb weniger Tagen die Spiegel-Bestsellerliste. Am 23. September wird im Bayerischen Fernsehen die erste Verfilmung eines ihrer Bücher ausgestrahlt, die Hauptrolle spielt Herbert Knaup.
Mit »Rauhnacht« liegt der fünfte Roman des Duos vor, ein höchst klassischer Cozy: Kommissar Kluftinger ist eingeladen zu einem Live-Kriminalspiel in einem Luxushotel in den Allgäuer Alpen. Ihm wird die Rolle des Hercule Poirot zugewiesen – und prompt bekommt er es gleich am ersten Abend mit einer echten Leiche zu tun. Da ein Schneesturm und akute Lawinengefahr das Hotel von der Außenwelt abschneiden, ist Kluftinger wie Agatha Christies Figur ganz auf seine kleinen grauen Zellen angewiesen. Mit von der Partie sind des Kommissars Intimfeind Dr. Langhammer und Kluftingers skurrile Unbeholfenheit in der Bewältigung des modernen Alltags. Und das alles während der unheimlichen Rauhnächte, in denen – so will es der Mythos – die Dämonen die Erde heimsuchen.
Ihr neuer Krimi liest sich wie eine Hommage an den klassischen britischen Rätselkrimi. Ein eingeschneites Hotel, eine übersichtliche Anzahl Gäste, der Tote wird in einem von innen verschlossenen Raum gefunden, alle Anwesenden haben etwas zu verbergen, alle hängen auf irgendeine Weise mit dem Toten zusammen – klassischer geht es kaum. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Kobr: Wir wollten’s einfach mal ausprobieren und mit den Klassikern a bissl spielen. Es ist wirklich als Hommage gedacht; aber wir wollten auch versuchen, ob’s auf Kluftinger runtergebrochen auch funktioniert. Das war einfach das Spannende, zu schauen, ob wir mit dieser klassischen althergebrachten Form auch zurechtkommen.
Klüpfel: Außerdem haben wir da die größte Schnittmenge an Literatur, die uns beiden gefällt. Das ist was, was wir beide gerne lesen. Es war auch bei der Vorbereitung toll. Wir haben im Auto oft Hörbücher von Agatha Christie gehört. Einfach, um uns a bissl auf die Atmosphäre einzustimmen …
Der »Mord im Orientexpress« war wohl mit darunter.
Klüpfel: Genau. Das war eine sehr angenehme Vorbereitung.
Ganz im Sinne des Rätselkrimis hat Kluftinger kein Team um sich dieses Mal. Er ist ausschließlich angewiesen Doktor Langhammer und sein Detektivköfferchen. Seine Ermittlungsmethode besteht allein aus Fragen. Ist das nicht ein bisschen altmodisch angesichts der großen Rolle, die die hochtechnisierte Forensik heute in Buch und Film spielt?
Klüpfel: Ja genau. Es ist absolut altmodisch, und das auch bewusst. Kluftinger ist ja sowieso einer, der nicht ganz auf unserer Zeitspur mitläuft. Er hinkt oft a bissl hinterher. Nur ist er immer gezwungen, sich neuer Kommunikationsmittel zu bedienen. Und hier hat er die überhaupt nicht zur Verfügung bis auf E-Mails, so a bissl am Rande. Damit ist er wirklich auf das zurückgeworfen, was er auch am besten kann, und deswegen sieht er vergleichsweise gut aus, vor allem gegenüber Langhammer.
Kobr: Mit der modernen Kommunikation wird’s zwar für die echten Aufklärer immer leichter, für die Krimischreiber aber immer schwieriger. Das heißt, wenn sich die Aufklärungszeit verkürzt, und wenn’s Möglichkeiten wie den genetischen Fingerabdruck und Ähnliches gibt, dann kann es auch ein Kunstgriff sein, sozusagen die alten Verhältnisse von anno dazumal wiederherzustellen.
Klüpfel: Man sieht das an den aktuelle Krimis. Was die Leute sich immer einfallen lassen, damit die Handys nicht funktionieren, damit man sie nicht orten kann und so, weil sonst der Plot nicht funktioniert Da müssen diese ganzen modernen Sachen wieder über Bord geworfen werden, damit die Geschichte dann wieder auf eine traditionelle Spur kommt.
Ganz abgeschnitten von allem ist Kluftinger ja dann doch nicht, er kann ja nach einer Weile E-Mails verschicken.
Kobr: Ja, wir haben während des Schreibens festgestellt, dass wir auf die Kommunikation mit Maier nicht ganz verzichten wollen. Das gehört einfach dazu.
Ihr neues Buch ist gespickt mit zahlreichen Anspielungen auf Filme und Bücher – auf Romane von Agatha Christie, John Dickson Carr, Simenon; Wolf Haas klingt mitunter durch; an manchen Ecken erinnert es an »Shining«. Erfolgt diese Hommage anlässlich Ihres fünften Buches? Es hat ein bisschen was von einem Jubiläum: Es ist das fünfte Buch, und wir verbeugen uns darin vor allen, die uns beeinflusst haben.
Klüpfel: Wär eigentlich eine schöne Erklärung …
Kobr: Daran haben wir gar nicht gedacht. Wenn wir so auf andere Bezug nehmen, dann müssen wir uns auch vor den Autoren entsprechend verbeugen.
»Rauhnacht« ist Ihr fünftes Buch. Sechs Jahre schreiben Sie jetzt schon gemeinsam. Verändert sich das Schreiben im Laufe der Zeit?
Klüpfel: Ich hoffe es, und ich habe auch den Eindruck, dass es besser wird – wobei das aber wohl auch eine menschliche Eigenart ist, sich selber immer als weiterentwickelt im Vergleich zu seinem früheren Ich zu betrachten.
Kobr: Alles andere wäre ja auch Wahnsinn.
Klüpfel: Genau. Das ist so ein psychischer Mechanismus, aber ich glaub’s auch tatsächlich. Wenn wir von Zeit zu Zeit mal eine Lesung aus »Milchgeld« haben, dann ist es zwar schön, mal wieder dieses ältere Buch zu lesen, aber man bemerkt schon Sachen – das wäre uns heute nicht mehr durchgegangen. Manche Formulierungen oder so.
Und die Zusammenarbeit?
Klüpfel: Auch die hat sich verbessert, ist effektiver geworden.
Kobr: Ja, genau.
Sie machen das immer noch so, dass Sie ein Buch gemeinsam vorbereiten und jeder dann für sich schreibt?
Kobr: Ja, genau. Aber es ist natürlich so, dass die Rohentwürfe, die wir uns gegenseitig schicken, einfach anders geworden sind. Verlässlicher, was das Vorbesprochene angeht, also näher an den besprochnen Ideen dran. Und die haben natürlich die erste Schere im Kopf schon hinter sich. Wir wissen ja inzwischen, was beim anderen nie durchgehen würde, und das schreibt man dann auch gar nicht mehr hinein. Aber es ist natürlich auch so, dass wir unseren Kluftinger-Ton gefunden haben, und den treffen wir immer besser, so dass die gegenseitigen Korrekturen eher weniger werden.
Klüpfel: Und es ist auch einfacher geworden. Früher haben wir das ganz aufwändig gemacht: haben die Seiten ausgedruckt, die Stellen markiert, wo wir einen Einspruch hatten, dann haben wir uns getroffen und das diskutiert. Inzwischen korrigiert man einfach drüber, und zu 95 Prozent sagt der andere »okay«, ohne dass wir weiter darüber reden. Es gibt nur noch wenige Stellen, über die wir streiten.
Wie bekommen Sie das hin, dass man die Brüche gar nicht bemerkt? Das liest sich ja wie aus einem Guss.
Klüpfel: Das hat sicher etwas damit zu tun, dass wir inzwischen wissen, wie es klingen soll. Das ist eindeutiger als früher, und wir haben uns auch ein bisschen angenähert im Stil. Aber, mei, es geht schon noch ein paarmal hin und her, so ist es ja nicht. In jeder Textstelle steckt etwas von jedem drin.
Fällt es Ihnen heute leichter, einen Krimi zu schreiben, als noch vor ein paar Jahren? Oder wird es auch komplexer?
Kobr: Also dadurch, dass wir unsere Technik verbessert haben, fällt’s uns auch leichter, zu schreiben. Und zum Glück haben wir immer noch genügend Ideen, was für die Zukunft ganz beruhigend ist. Und es fällt natürlich insofern leichter, als dass wir jetzt ständig mit Fragen rum um Bücher beschäftigt sind. Wir stecken im Moment einfach mehr drin als ganz am Anfang. Da war das ja wirklich rein nebenbei, eher ein Steckenpferd.
Klüpfel: Wobei wir auch sagen müssen, wir suchen uns schon auch unsere Herausforderungen. Wir könnten es uns sicher einfacher machen als jetzt. Wir hätten keinen Krimi schreiben müssen, in dem der Tote in einem von innen verschlossenen Raum liegt. Also, das hat auch uns viel Hirnschmalz gekostet, um da eine Lösung zu finden. Aber das brauchen wir, damit’s uns Spaß macht.
Kobr: Es muss für uns auch immer etwas Neues sein. Es soll für den Leser was Neues sein, der soll sich auf eine neue Situation einstellen. Wir brauchen das aber auch zum Schreiben.
Sie haben in Interviews immer wieder gesagt, Sie schreiben eigentlich Bücher, die Sie selbst gern lesen würden. Inzwischen haben Sie bei Lesungen viele Ihrer Leser kennen gelernt. Schleicht sich das Bild der Zuhörer beim Schreiben ein? Sind das heute die Menschen, für die Sie schreiben? Oder schreiben Sie wirklich eher für sich?
Kobr: Da sich das ja relativ gut deckt, ist das für uns eigentlich ganz komfortabel. Offenbar haben wir und unsere Leser ungefähr den gleichen Lesegeschmack. Aber es steigt auch das Selbstvertrauen, beispielsweise bei den komödiantischen Szenen. Da wussten wir am Anfang ja gar nicht, wie das ankommt. Wir haben uns gefragt, ob das zu viel ist oder zu slapstickartig oder vielleicht auch gar nicht komisch. Heute wissen wir aber, dass gerade bei Lesungen diese Stellen gut ankommen. Und dann schreiben die sich natürlich auch beruhigter, wenn man weiß, die Leser mögen das auch.
Aber Sie haben keinen typischen Leser vor Augen, oder?
Klüpfel: Den gibt es auch gar nicht. Worüber sich der eine mokiert, gerade das findet der andere toll. Nur Kluftinger, das merkt man, das ist das große Gemeinsame, die große Schnittmenge bei allen Lesern.
Sie gehen beide einem Beruf nach. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut? Sie machen Lesungen – für „Rauhnacht“ gibt es Termine bis in die Mitte des nächsten Jahres hinein, Sie werden zahlreiche Pressetermine haben; Sie lesen die Hörbücher selbst … Wie machen Sie das? Wie bekommen Sie Ihr Privatleben und Ihren Beruf mit dem Schreiben zusammen und mit allem, was da noch dazugehört?
Klüpfel: Wir koksen. (lacht)
Kobr: (lacht) Nein, wir machen das alles ohne Aufputschmittel und ohne Doping. Wir haben die Berufe reduziert, und oft muss die Familie ein bisschen zurückstehen. Aber das Bücherschreiben ist ja nicht nur unser zweiter Beruf, sondern auch unser Hobby. Wir haben halt keine anderen Hobbys mehr. Da hängen wir uns rein wie ein Kreisliga-Fußballtrainer. Der hat auch wahnsinnig viele Termine, trainiert seine Mannschaft dreimal in der Woche, und wir machen das Ganze eben für die Bücher. Und da es so viel Spaß macht, und auch unsere Berufe Spaß machen, ist es keine Qual, sondern eher eine Herausforderung, die auch beflügelt.
Rund 1,4 Millionen Bücher haben Sie inzwischen verkauft, Ihre Leserschaft ist riesig, es gibt geführte Touren durchs Allgäu auf den Spuren von Kluftinger, einen Fanclub auf Facebook – verändert das das Verhältnis zum eigenen Schreiben?
Klüpfel: Komischerweise nicht. Das war für mich auch erstaunlich. Aber letztlich ist man beim Schreiben auf sich selbst zurückgeworfen. Man sitzt am seinem Schreibtisch allein nur mit sich und der Tastatur – da macht es keinen Unterschied, ob das jetzt eine Millionen Leser sind oder zwei. Das ändert beim Schreiben für mich persönlich gar nichts.
Wie ist das jetzt mit der Verfilmung? Sie, Herr Klüpfel, haben ja auch eine Rolle darin. Ist das noch das Eigene, wenn ein Buch in Figuren umgesetzt wird, wenn da Menschen aus Fleisch und Blut handeln?
Klüpfel: Ja und nein. Also, man merkt natürlich: die Geschichte und die Figuren, die sind schon so, wie wir sie uns auch erdacht haben – natürlich nicht eins zu eins, aber von der Grundstimmung her. Wir sind sehr positiv angetan von dem Film. Und ich denke schon, dass wir relativ kritisch an die Sache rangegangen sind.
Kobr: Ja, genau. Also der Ton, der ist einfach super getroffen. Auch wenn sich die Geschichte a bissl unterscheidet von der Buchvorlage und natürlich auch ein wenig die Figurenkonstellation. Aber das ist egal, weil – wie Volker schon gesagt hat – die Grundstimmung stimmt. Und der Hauptdarsteller, der Herbert Knaup, der ist phänomenal, auch wenn sich viele Leute ihn nicht in der Rolle vorstellen konnten. Klar haben wir in unseren Köpfen einen anderen Kluftinger, aber Knaup funktioniert absolut. Und das ist die Hauptsache. Das war wirklich ein großer Glücksgriff.
Wie nah ist Ihnen nach sechs Jahren der Kluftinger? Denken Sie selbst manchmal »priml«?
Klüpfel: Der ist uns natürlich schon nah. Er kommt ja aus uns und hat wahrscheinlich auch ein bisschen was von uns beiden mitbekommen. Man kann das natürlich trennen, man weiß, dass es ist eine fiktive Figur ist, aber er spielt schon so im alltäglichen Leben eine Rolle, also das man sagt: Ja mei, das wäre jetzt aber nichts für den Klufti. Ja, der hat schon sehr reale Züge angenommen.
Kobr: Wir sind ihm natürlich auch sehr dankbar. Er bereitet uns wirklich ein Leben mit vielen Facetten, die wir sonst gar nicht gekannt hätten. Das Schöne ist aber, zu sehen, dass das bei den Lesern auch so ist, dass den Lesern diese Figur auch so nah ist. Manche berichten uns zum Beispiel bei Lesungen oder in E-Mails: Der Urlaub, das wär für den Klufti gar nichts gewesen. Neulich hat uns jemand erzählt, dass er irgendwo in Vietnam in so einem Gebrauchtbücherladen unser letztes Buch gekauft hat. Und dann hat er auch gleich hinzugefügt, aber der Kluftinger selbst wäre da ja nie hingekommen. Das ist schön, dass den Lesern diese Figur auch sehr vertraut ist.
Klüpfel: Manchmal haben wir sogar bissl ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber, weil wir ihn ja immer wieder in Situationen bringen, die ihm unangenehm sind. Und auch sein Auto. Wir haben schon überlegt, ob wir ihm mal ein neues Auto spendieren …
Kobr: Ja, wir schenken ihm jetzt ein neues Auto, im nächsten Buch, oder?
Klüpfel: Ja.
Okay, Sie mögen Ihre Figur also noch.
Klüpfel: Ja, ja, sehr.
Kobr: Ja.
Und Sie haben auch Ideen für das nächste Buch?
Klüpfel: Wir haben noch Ideen für a paar weitere Bücher. Also, Idee, das heißt immer eine gute Idee, und die bezieht sich eigentlich immer auf einen Krimiplot. Es muss eine gute tragfähige Krimiidee sein. Was daraus für eine Handlung entsteht, das steht noch in den Sternen – aber Ideen haben wir, ja.
Schreiben Sie auch schon wieder?
Klüpfel. Nein, im Augenblick nicht.
Kobr: Aber wir haben uns grad erst letztes Wochenende einen Termin gesetzt, wann wir anfangen, das nächste Buch zu besprechen, und dann geht ja praktisch parallel die Schreibarbeit wieder los.
Wie gehen Sie vor? Wissen Sie von vornherein, was geschieht und wie?
Klüpfel: Nein, eigentlich nicht. Die Idee umfasst in der Regel einen Halbsatz. Zum Beispiel bei »Seegrund« war das »der Nazischatz im Alatsee«. Das war alles. Das war die Idee. Und bei »Laienspiel« war das »Terror in der Provinz«. Bei »Erntedank« …
Kobr: Sagen.
Küpfel: Genau: »irgendwas mit Sagen«. So fängt das an. Mehr haben wir auch noch nicht. Und daraus müssen wir etwas machen.
Warum Krimi?
Kobr: Also erstens, weil uns der Krimi aus unserer eigenen Leseerfahrung sehr nah ist und weil der Krimi eine Möglichkeit ist, das, was wir versuchen, rüberzubringen, wirklich gut darzustellen. Was uns sehr liegt, sind diese Alltagsbeschreibungen und -beobachtungen. Wir haben festgestellt, das schreiben wir beide auch sehr gern. Und das funktioniert eben in einem Krimi gut, weil die Krimihandlung die Leser durch die Spannung am Buch hält. Dabei können wir unsere Alltagsbeobachtungen sozusagen gut unterschieben. Diejenigen, die eher am Plot interessiert sind, die halten aufgrund der Geschichte durch, und die anderen zieht die Handlung auch mit hinein. Das heißt, wir bekommen da unsere Alltagsgeschichten einfach gut untergebracht. Viel besser, als wenn wir einfach ein Sammelsurium aus Alltagsbeobachtungen schreiben würden.
In eigener Sache: Am Freitag, 11. September, wird meine erste Krimirezension im Radio gesendet: um 12:30 Uhr auf NDR Kultur – auch als Livestream zu empfangen: einfach hier klicken!
Für wenige Tage ist die Besprechung als Einzelbeitrag über die Seite von NDR Kultur hörbar: einfach hier klicken.
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Klaustrophobische Untentrinnbarkeit in den Ruinen Tokios
Mit seinem »Red Riding Quartet« wurde der Brite David Peace in Deutschland bekannt. In diesen vier Büchern, betitelt nur mit kargen Jahreszahlen (»1974«, »1977«, »1980«, »1983«), nimmt der in West Yorkshire geborene Autor den tatsächlichen Fall des »Yorkshire Rippers« Peter Sutcliff auf, um ein dunkles, grimmiges Psychogramm der nordenglischen Provinz in den siebziger und achtziger Jahren zu entwerfen: gewalttätig, voller Hass und Machtgier, beklemmend und verstörend. Für seine Tetralogie wurde Peace mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erreichte der Band, »1974« den ersten Platz des Deutschen Krimi Preises in der Kategorie International, ebenso war er Jahressieger der KrimiWelt-Bestenliste für das Jahr 2005.
Nun liegt das erste Buch von Peace‘ Tokio-Trilogie vor: »Tokio im Jahr Null« (im Original: »Tokyo Year Zero«) – nicht minder düster, hasserfüllt, grimmig und verstörend. Wie schon das »Red Riding Quartet« erscheint es im kleinen, feinen Verlag Liebeskind, wieder sehr gut übersetzt von Peter Torberg; die Veröffentlichungen der beiden Folgebände sind für 2010 und 2011 geplant. David Peace hat selbst rund 15 Jahre in Tokio gelebt, erst in diesem Jahr ist er aus Japan zurückgekehrt, um sich in der Nähe von Leeds niederzulassen.
Die Hölle: Missbrauch, Korruption, Gier, Verrat, Betrug
»Tokio im Jahr Null« spielt ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ein Jahr nach der Kapitulation Japans. Seitdem ist das Land von den Amerikanern besetzt. Die Auswirkungen des Krieges sind noch überall zu sehen und zu spüren: Tokio ist eine Ruine, die Menschen sind nicht minder zerstört. Hunger, Armut und Verzweiflung bestimmen den Alltag. Gewalt, Missbrauch, Korruption allerorten. Das organisierte Verbrechen hat die Stadt fest im Griff. Der Schwarzmarkt blüht, um die Vorherrschaft gibt es erbitterte Kämpfe zwischen den nach Nationalitäten strukturierten Banden. Die Amerikaner versuchen als Besatzer, die Verhältnisse zu regeln, doch in Arroganz und Dummheit verschlimmern sie die Lage nur. Missbrauch und Ausbeutung auch hier.
Inmitten dieser verzweifelten Lage werden die Leichen von zwei Frauen gefunden, erdrosselt und vergewaltigt. Ein Verdächtiger ist bald gefasst, doch er gesteht nur einen der Morde. Inspektor Minami versucht, Verbindungen zwischen dem mutmaßlichen Täter und dem zweiten Opfer zu finden. Dabei werden immer mehr Morde offenkundig, nicht nur in Tokio, sondern auch in der Provinz. Und es gibt Hinweise, dass diese Taten mit einem Fall in Verbindung stehen, der schon vor einem Jahr als offiziell abgeschlossen galt.
Durch dieses Stochern in der Vergangenheit gerät Minami immer mehr zwischen die Fronten. Der Inspektor, depressiv, tablettensüchtig und an schweren Schlafstörungen leidend, kommt weder mit seinen Untergebenen noch mit seinen Vorgesetzten zurecht, die Intrigen innerhalb der Polizei zerreiben ihn. Als er sich dem organisierten Verbrechen andient, gerät er auch hier zwischen die Interessenlagen. Denn seine Ermittlungen berühren Punkte und Taten, die seine Kollegen, aber auch er selbst lieber unangetastet lassen würde. Die Suche nach Schuld im anderen führt auch zur eigenen Schuld, zur der eigenen Verstrickung in Gewalt und Mord, in Gräueltaten während des Krieges, die lieber verdängt wurden: »Niemand ist der, der er zu sein vorgibt. / Niemand ist der, der er zu sein scheint.«
Hypnotisierender Rhythmus, zorniger Gestus
David Peace macht es weder seinen Figuren noch dem Leser leicht. Grausam, düster, unerbittlich, voller Hass und Ekel ist sein Buch. Gegen Ende verschwimmen die Zeitebenen, Wahn und Wirklichkeit verzahnen sich, Erinnerungen vermischen sich mit dem Jetzt. Immer tiefer ins Dunkle, ins Grauen führt der Erzählstrom. Unheimlich, klaustrophobisch und verstörend. Peace‘ schreibt knapp, kalt und anklagend, Wiederholungen rhythmisieren den Text, der auf zwei Ebenen geführt wird: Stets läuft eine zweite Tonspur mit, die Gedanken, Erinnerungen, Gefühle und Geräusche pulsierend einfügt. Das erinnert vage an konkrete Poesie:
Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton …
Mir tut der Magen weh. Ich habe Kopfschmerzen … Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton …
Die Füße tun mir weh. Die Augen … Ton-ton. Ton-ton. Ton-ton …
Ich fluche und fluche! Ton-ton. Ton-ton …
Ich verfluche mich selbst … Ton-ton.
(…) Stunde um Stunde. Tag für Tag. Woche für Woche …
Das Blut an den Wänden. Das Blut auf dem Boden. Monat für Monat und Jahr für Jahr …
Das Blut an meinen Hemdsärmeln. Aber im Dämmerlicht kann ich nicht vergessen …
Auf meine Hosenbeinen. Es tut mir leid. Es tut mir leid …
Hier im dämmrigen Licht … Ich habe euch alle im Stich gelassen …
Im Dämmerlicht.
Durch diese zweite Tonspur erhält der Text etwas Einpeitschendes, Hypnotisches. Das ist beeindruckend und kunstvoll.
»Ein Kriminalroman«, erklärte David Peace in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung 2007, »hat die Pflicht, sich den sozialen und ökonomischen Fragen auszusetzen, die das Leben bestimmen. Er muss die Umstände betrachten, unter denen ein Verbrechen geschieht.« Diesem selbstgesetztem Anspruch wird Peace in »Tokio im Jahr Null« unbedingt gerecht. Die durchgehende Grimmigkeit und der anklagende Gestus des Buches wirken allerdings auf die Dauer etwas angestrengt anstrengend.
Eine Frau, von ihrer Umgebung Olivia genannt, kehrt mit ihren beiden Kindern zu ihrer Mutter zurück. Vor Jahren waren sie im Streit auseinander gegangen, weil die Mutter die Ehe ihrer Tochter nicht gutgeheißen hatte. Seitdem gab es keinen Kontakt mehr. Nun steht die Frau unangemeldet vor der Tür ihres Elternhauses, eines großen, vornehmen Anwesens, und muss eingestehen, dass ihre Ehe gescheitert ist.
Herrschaftlich erschien die Großmutter oben auf der Treppe. Sie war tadellos gekleidet (…). Obzwar schmal und zerbrechlich, machte sie einen Eindruck von würdevoller Resignation.
»Hallo, Mutter.«
»Hallo, Olivia.«
Die Frau stieg die Marmorstufen hinauf, und als sie bei ihrer Mutter ankam, nahm sie ihre weiche, schuppige Hand und küsste sie. Es war eine formale, aber keine versöhnliche Geste. Ihre Mutter machte im Gegenzug eine Bestandsaufnahme – das zerzauste Haar, die zerrissenen Strümpfe, der gebrochene Arm. Taktvoll entschied sie sich, nichts dazu zu sagen.
»Ich musste nach Hause kommen«, sagte die Frau. Eine lange Stille entstand zwischen ihnen. »Nun, darf ich dir die Kinder vorstellen?«
Auch der Bruder wird mit seiner Frau Sophie und ihrem gerade geborenen Kind direkt aus dem Krankenhaus erwartet. Doch die Zusammenkunft entwickelt sich alles andere als heiter: Der Säugling ist bei der Geburt gestorben; um das Trauma verarbeiten zu können, wurde das tote Kind den Eltern bis zur Beerdigung überlassen.
In den kommenden Tagen fällt es Sophie zunehmen schwerer, den Tod ihres Babys zu akzeptieren, sie versucht es zu füttern und zu baden, nachts schläft es in der Tiefkühltruhe. Die restliche Familie ist hingegen bemüht, wegzuschauen und das immer morbidere Verhalten von Sophie zu ignorieren. Der Umgang miteinander ist kühl und distanziert, Gefühle werden nicht gezeigt, und schon gar nicht wird über sie gesprochen. Mit allen Mitteln soll die Fassade der Normalität aufrecht erhalten werden. Doch der Tod des Kindes und Sophies wachsender Wahn schlagen tiefe Risse in die innere Verfasstheit der Familienmitglieder und konfrontieren sie mit ihren zerstörten Hoffnungen und gescheiterten Lebensentwürfen.
Julia Leigh schreibt kraftvoll, knapp, klar und präzise. Sie taucht nicht in ihre Figuren ein, sondern beobachtet sie von außen. Wie mit einer Filmkamera umkreist sie die Personen, unterstellt ihnen weder Gefühle noch Beweggründe. Die Bilder und Szenarien, die dadurch entstehen, sind einprägsam und hypnotisch, denn durch die Leerstellen, die ihnen innewohnen, rufen sie weit mehr hervor, als in ihnen beschrieben ist. Nur ist leider die Übersetzung manchmal etwas störend ungelenk.
Die Welt, die Julia Leigh schildert, ist kalt, bizarr, verstörend, voll unterdrückter Aggression und doch tief berührend. Sie erzählt vom Loslassen, um anzukommen in dem, was ist, damit man weiterleben kann.