Archiv für den Monat: Oktober 2008

Keine Angst, der will nur töten

Der freundliche Psychopath von nebenan?

Ich habe eine Schwäche für (fiktive) Serienmörder. Dieses Abgründige, vollkommen Böse, morden aus einem tieferen Bedürfnis. Mord als hohe Kunst. Völlig irreal und jenseits jeder Glaubwürdigkeit. Aber faszinierend. Ich mag auch TV-Serien, mag das Konzept, dass sich Handlungsstränge über die ganze Staffel ziehen, manches aber auch innerhalb einer Folge geklärt und abgeschlossen wird. Im Grund eine gute Voraussetzung, um die Serie „Dexter“ mit dem gleichnamigen freundlichen Serienmörder zu mögen. Tagsüber arbeitet Dexter als Spezialist für Blut bei der Polizei von Miami, nachts ist er als Serienmörder unterwegs. Als Konzept, als Idee – hat doch was, dachte ich mir. Dachte ich.

Dexter ist in der Tat ein netter Kerl. Seine Unfähigkeit, Beziehungen aufzubauen, Gefühle zu empfinden, kann er wunderbar unter einer glatten und harmlosen Maske verbergen. Und selbst als Serienmörder ist er ein guter: Denn er mordet nur Seinesgleichen. Ein Serienmörder, der Serienmörder serienmordet. Und zwar diejenigen, die durch die Maschen des Rechtssystems rutschen. Diejenigen, die die Polizei nicht erwischt, und auch diejenigen, die die Justiz nicht festnageln kann. Und auch diejenigen, denen Dexter ansieht, dass sie Serienmörder sind.

Glücklich, wer seiner Berufung folgen kann

Na, das ist doch freundlich. Da übernimmt ein Serienmörder Verantwortung. Säubert die Straßen, verdingt sich als Ausputzer. Und er folgt einem ganz bestimmten Ehrenkodex, den hat ihm nämlich sein Daddy eingeimpft: „Das Töten muss einem höheren Zweck dienen, sonst ist es nur Morden.“ Daddy hat damals den dunklen Drang seines Sohnes – Adoptivsohnes wohlgemerkt – erkannt und kanalisiert. Er hat ihm beigebracht, die Bösen zu erkennen, sie ausfindig zu machen und sie umzubringen. Was für ein fürsorglicher Daddy. Daddy war nämlich Polizist und muss es ja wissen: „Es gibt Menschen, die haben es nicht verdient zu leben.“

Es wird auch noch erklärt, warum Dexter diesen Wunsch hat, andere umzubringen: Als Kind hat er etwas ganz, ganz Schreckliches erlebt, darum ist er so geworden, wie er ist. Aber zum Glück hat ihm Daddy ja die richtige Richtung gezeigt, seine fatale Leidenschaft in die richtigen Bahnen gelenkt. Ihn hübsch abgerichtet. Und so ist der liebe Dexter im Namen des Vaters unterwegs. Halleluja. Morden im Dienst der Gesellschaft. Einer muss es ja machen, warum es also nicht jemandem überlassen, der auch noch Spaß daran hat. Denn dieses scheißliberale Justizsystem geht ja ganz offensichtlich viel zu lasch um mit den Bösen. Da braucht es den Ausputzer. Serienmord für die Erhaltung von Recht und Ordnung.

Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaft

Die Werbung, die RTL2 für die Serie geschaltet hat, zeigt sehr deutlich, worum es geht: „Du sollst nicht töten – lass ihn das machen.“ Die Drecksarbeit hübsch händeschonend delegiert. Und schließlich mordet Dexter ja nur diejenigen, die es nicht verdient haben, zu leben. Gut abgerichtet, das hat Daddy prima gemacht. Da passt auch gleich die zweite Werbeanzeige des Senders: „Keine Angst, der will nur töten.“ Dexter, das wohlerzogene Mordhündchen.

Denn wo die Laberveranstaltung Justiz versagt, da muss der besorgte Bürger ran. Wenn die öffentlichen Organe ihrem Auftrag nicht nachkommen, dann muss man das Recht in die eigenen Hände nehmen. Gerechtigkeit für einen Mörder? Einen Pädophilen? Einen Betrunkenen am Steuer? Nicht doch.

Und das ist das Perfide an dieser Serie: Was als hip und tabubrechend daher kommt, ist erzkonservativ, reaktionär, rückständig. Selbstjustiz und Rechtsbeugung als Serienkonzept. Richtig eklig rechts.

Kirsten Reimers

TV-Serie „Dexter“
montags, 22:55 Uhr
RTL2


Die diskrete Blutspur der amerikanischen Mittelschicht

Angenehm bissig

Nach einem Banküberfall, der nicht ganz so erfolgreich verlaufen ist wie geplant, versteckt sich der Gewaltverbrecher Dixon im Haus des Collegeprofessors Elias White. Dixon – intelligent, kaltblütig, skrupellos – erpresst den jungen Historiker damit, dass er ihn beim Sex mit der minderjährigen Nachbarstochter beobachtet hat. Außerdem verspricht ihm der Bankräuber eine Menge Geld. White, karrierefixiert, opportunistisch und nicht gerade mit Courage gesegnet, geht darauf ein. Zum Glück für Dixon, denn das FBI hat seine Spur aufgenommen, Agentin Denise Lupo ist bereits eingetroffen in dem Collegestädtchen Tiburn, dem Schauplatz des Geschehens. Und sie kommt dem Gesuchten recht nah – allerdings ohne es zu ahnen: Während sich Lupo auf einen One-Night-Stand mit dem ehrgeizigen Historiker einlässt, hockt ihr Verbrecher im Keller darunter.

Verbrechen – für manche durchaus lukrativ

„Tiburn“ ist ein kleiner, bösartiger, rotziger und netter Thriller. Sehr unterhaltsam. Die Figuren sind angenehm zwiespältig, ihre Handlungen hübsch durchtrieben. Und das Buch zeigt: Verbrechen lohnt sich durchaus für manche – man muss nur wissen, wie man es für sich nutzt.

Warum ich Banken ausraube? Mann, was für eine Frage. Die Frage ist, warum tut es nicht jeder? Was ist los mit Arschlöchern wie Ihnen, dass man es Leuten wie mir überlässt, Banken auszurauben? Warum machen Typen wie Sie nie dabei mit?

Ein neues Leben um fast jeden Preis

Alle drei Hauptfiguren – Dixon, White und Lupo – träumen von einer anderen Existenz und sind bereit, dafür moralische Skrupel fallen zu lassen – die einen bewusster, die anderen weniger. Dixon möchte endlich ein Leben in Ruhe führen, er träumt von einer Farm in Kanada. Deshalb macht er bei dem Banküberfall mit, obwohl er seine Raubkollegen für unfähige Idioten hält. Er hat halt seinen eigenen Plan. Professor White strebt nach einem Lehrstuhl, am besten an einer so renommierten Uni wie Harvard. Von seriöser Wissenschaft hält er aber im Prinzip wenig und unterrichten mag er nun gar nicht. Er schreibt lieber reißerische Artikel („Hitler hatte recht“), um die Aufmerksamkeit der Scientific Community zu erregen und ein Interview auf CNN abzustauben. Denise Lupo wäre gern Profilerin, aber ihre Bewerbungen werden immer wieder abgeschmettert – weil sie keinen Penis hat, wie sie vermutet. Sie fühlt sich ins Karriereaus abgeschoben. Deshalb ist sie die meiste Zeit maulig, stichelig und nicht besonders engagiert.

Die amerikanische Mittelschicht: Hort von Neid, Gier und Selbstverliebtheit

Der sympathischste dieses Trios ist noch der Bankräuber Dixon. Er handelt überlegt, hat feste Grundsätze (die er sich selbst auferlegt hat und die nicht unbedingt auf andere übertragbar sind), strebt einfach nur nach einem Leben in Ruhe und Bescheidenheit. Die beiden anderen wirken schmieriger, gieriger, moralisch verkommener. Iain Levison macht keinen Hehl daraus, dass er die amerikanische Mittelschicht nicht für den Hort von Moral und Nächstenliebe hält. Das hat er schon in seinen vorherigen Büchern – der Gesellschaftssatire „Abserviert. Mein Leben als Humankapital“ und dem Kriminalroman „Betriebsbedingt gekündigt“ – dargelegt. Das ist sehr angenehm zu lesen. Vergnüglich und amüsant, mit hübschen Seitenhieben auf die Campus-Welt und die saturierte Mittelschicht, die selbstverliebt um den eigenen Nabel kreist.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Iain Levison: Tiburn
Aus dem amerikanischen Englisch von Hans Therre
Matthes & Seitz Berlin 2008, 254 Seiten, Euro 18,80
ISBN: 978-3-88221-728-5

Diese Besprechung ist auch erschienen auf satt.org