Archiv für den Monat: Januar 2015

»Für Sie immer noch Lady Bag!«

Die Pennerin mit dem Hund – so wird sie genannt, und so nennt sie sich auch selbst. Die Obdachlose, die nach einer ausreichenden Menge vom algerischen Roten kontrovers mit ihrer Hündin Elektra diskutiert, hat nicht immer auf der Straße gelebt. Bis vor ein paar Jahren war sie in gehobener Stellung in einer Bank tätig – bis sie sich auf krumme Geschäfte einließ, die gesamte Schuld auf sich nahm und ins Gefängnis ging. Alles aus Liebe. Wieder draußen, fand sie keinen Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft und lebt nun auf der Straße.

Bis sie eines Tages auf den Straßen Londons den Mann wiedertrifft, der ihr Liebe schwor, sie ausnutzte und dann wegwarf. Sie folgt ihm – dem Leibhaftigen, Ashomdai, dem Herren über Spinnen und Fliegen – und gerät in ein Netz aus Gewalt, Mord, Diebstahl.

»Lady Bag« spielt am Rand der Gesellschaft, konsequent geschildert aus der Perspektive der Hauptfigur. Die Figuren leben in einer Parallelwelt, die nach sehr eigenen Regeln funktioniert – Regeln, die auf die harte Tour erlernt werden müssen. Die Hauptfigur, die Baglady, hat viel verloren, doch nicht ihren Stolz – »Für Sie immer noch Lady Bag!« –, ihr großes Herz, ihren kritischen Geist und ihren Humor.

Angst, Gewalt und Freundschaft

Der Mord, den die Baglady aufklärt, klammert das Geschehen zusammen, ohne wirklich zentral zu sein. Weit mehr geht es in Liza Codys Roman um das Leben auf der Straße, um die Angst und Gewalt, um die Demütigung und Kriminalisierung von Menschen, die nicht den gängigen Normen entsprechen.

Und um die wenigen Momente von Freundschaft und Sicherheit, die sofort wieder wegbrechen können. Einer ihrer wenigen Vertrauten ist Schmister (der Name ist eine Mischung aus Schwester und Mister), eine Transe mit fataler Vorliebe für üble Männer. Die Baglady liebt und hasst ihn/sie gleichzeitig, besonders dann, wenn sich Schmister zum Opferweibchen macht, statt eine starke und eigenständige Frauenrolle anzustreben – denn schließlich hat er/sie die Wahl hat, wie und was er/sie sein möchte.

Temporeich, mit dunklem und sagenhaft komischen Witz, der nie ins Zynische kippt, ohne rührselige Sentimentalitäten und Schuldzuschreibungen, dafür mit einem Gespür für absurde Situationen und gesellschaftliche Abgründe legt Liza Cody nach so vielen Jahren endlich wieder einen Krimi vor – und was für einen! Hochverdient auf Platz 2 des Deutschen KrimiPreises  (Kategorie International).

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Liza Cody: Lady Bag
(Lady Bag, 2013)
Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski
Ariadne/Argument 2014
geb., 318 Seiten, 17 Euro
ISBN 978-3-86754-222-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf:
satt.org


Im Netz aus Gewalt und Mord

Die Pennerin mit dem Hund – so wird sie genannt, und so nennt sie sich auch selbst. Die Obdachlose hat nicht immer auf der Straße gelebt. Bis vor ein paar Jahren war sie in gehobener Stellung in einer Bank tätig – bis sie sich auf krumme Geschäfte einließ, die gesamte Schuld auf sich nahm und ins Gefängnis ging. Alles aus Liebe. Wieder draußen, fand sie keinen Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft und lebt nun auf der Straße.

Bis sie eines Tages auf den Straßen Londons den Mann wiedertrifft, der ihr Liebe schwor, sie ausnutzte und dann wegwarf. Sie folgt ihm – dem Leibhaftigen, Ashomdai, dem Herren über Spinnen und Fliegen – und gerät in ein Netz aus Gewalt, Mord, Diebstahl.

»Lady Bag« spielt am Rand der Gesellschaft. Die Figuren leben in einer Parallelwelt, die nach sehr eigenen Regeln funktioniert – Regeln, die auf die harte Tour erlernt werden müssen. Die Hauptfigur, die Baglady, hat viel verloren, doch nicht ihren Stolz – »Für Sie immer noch Lady Bag!« –, ihr großes Herz, ihren kritischen Geist und ihren Humor. Temporeich, mit dunklem und sagenhaft komischen Witz, der nie ins Zynische kippt, mit einem Gespür für absurde Situationen und gesellschaftliche Abgründe legt Liza Cody nach so vielen Jahren endlich wieder einen Krimi vor – und zwar einen herausragenden!

Brodelnde Wut

Irland, nachdem es von größenwahnsinnigen Bankern in den Ruin getrieben wurde: In Dublin beobachtet eine ehemalige Nonne etwas, das die Vorbereitung einer Straftat sein könnte, vier Kleinkriminelle überfallen einen Geldtransporter, und ein Banker (»Einen korrupten Banker umlegen – man könnte darin schon einen Akt der Vaterlandsliebe sehen«.) wird mit einer Waffe erschossen, die vor Jahren eine Rolle bei einem Drogenmord spielte.

In Gene Kerrigans »Die Wut« brodelt die Gesellschaft: Die Steuerzahler zahlen dafür, dass Banken das Land vor die Wand gefahren haben; Unternehmen und Unternehmer kommen mit Schwerverbrechen davon, während kleine Leute für weitaus geringere Vergehen hart bestraft werden. Die irische Polizei wird ihrem Ruf gerecht, Unschuldigen Verbrechen anzuhängen, um nur nicht denjenigen vors Schienbein zu treten, die Macht und Geld haben. Wut regiert – im Großen wie im Kleinen. Kerrigan, der für seinen Roman 2012 mit dem Gold Dagger Award ausgezeichnet wurde, demonstriert, welche Auswirkungen ein ungebremster Kapitalismus auf Gesellschaft wie Individuen hat.

Gesprengte Gewissheiten

Der irische Krimiautor Declan Burke ist hierzulande bislang wenig bekannt – das ändert sich hoffentlich bald: Mit »Absolute Zero Cool« liegt erstmals einer seiner Romane auf Deutsch vor – und was für einer! Ein Krimi, der die Grenzen des Genres sprengt, grundsätzliche Fragen des (Roman-)Schreibens aufwirft und noch ein paar weitere dazu: Vor einem namenlosen Krimischriftsteller steht eines Tages ein unangenehmer Kerl, der behauptet, Karlsson zu sein, eine Figur aus einem alten Manuskript des Autors, das dieser nie fertiggestellt hat. Karlsson möchte jetzt Billy genannt werden und außerdem solle der Autor jetzt endlich mal das Manuskript umschreiben und vollenden. Der Krimiautor hält den Mann für einen Schauspieler, der irgendwie an den alten Text herangekommen ist, und geht auf das ein, was er für ein Spiel hält.

Und damit beginnt ein ganz anderes Spiel: Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, Gewissheiten brechen weg, der Text wird in die Luft gejagt wie das Krankenhaus, in dem Billy/Karlsson arbeitet (oder doch nicht?). Immer unklarer wird, wer den Text eigentlich gestaltet: der Autor oder die Figur? Überhaupt: Welchen Text? Den alten, unvollendeten oder den aktuellen, den man als Leserin, als Leser in der Hand hält? Declan Burkes »Absolute Zero Cool« ist ein sehr witziger und ziemlich cooler Roman, der ebenso unterhält wie verstört.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Liza Cody: Lady Bag
(Lady Bag, 2013)
Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski
Ariadne/Argument 2014
geb., 318 Seiten, 17 Euro
ISBN 978-3-86754-222-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Gene Kerrigan: Die Wut
(The Rage, 2011)
Aus dem Englischen von Antje Maria Greisiger
Polar Verlag 2014
Tb., 295 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-945133-06-4
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Declan Burke: Absolute Zero Cool
(Absolute Zero Cool, 2011)
Aus dem Englischen von Robert Brack
Edition Nautilus 2014
kart., 316 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-89401-793-4

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse


Männer fürs Grobe

Roy Cady ist in New Orleans der Mann fürs Grobe für einen der örtlichen Gangsterbosse: Eintreiber, Schläger, Killer. Am gleichen Tag, an dessen Morgen er erfährt, dass er Lungenkrebs hat, gerät er abends bei einem Auftrag in eine Falle. Der totkranke Mann überlebt und rettet zudem der jungen Prostituierten Rocky das Leben.

Gemeinsam fliehen sie vor den Hintermännern nach Galveston, Texas. Unterwegs sammeln sie Tiffany, Rockys drei- jährige Tochter, ein. Zunächst widerwillig, dann mit wachsender Verbundenheit kümmert sich Roy um die beiden Mädchen und versucht in einem letzten Coup, Geld zu beschaffen, damit sie die Chance auf einen Start in ein besseres Leben erhalten. Doch als alles gut zu werden scheint, holt die Vergangenheit sie ein.

Zerstörte Existenzen in einer zerstören Umwelt: Nic Pizzolattos (Drehbuchautor der TV-Serie »True Detective«) Romandebüt zeigt Menschen, die an ihrem Leben zerbrochen sind und keine Chance auf Heilung haben. In großer Erbarmungslosigkeit und großer Sensibilität beschreibt er Schrecken, aber auch Schönheit innerer wie äußerer Verwüstung. Das ist beunruhigend, manchmal nah am Kitsch, und vor allem sehr beeindruckend.

Sinnstiftende Gewalt

Okanogan County im US-Bundesstaat Washington Anfang der dreißiger Jahre: Während im Columbia River die Grand-Coulee-Talsperre gebaut wird, kommt es zu einer Reihe von brutalen Ritualmorden an Indianern. Die Männer werden nicht einfach nur getötet: Ihre Leichname werden verstümmelt und bizarr hergerichtet – ein Serienmörder, dem es darum geht, mit seinen Morden aufzufallen, eine Geschichte zu erzählen, einen Mythos zu schaffen.

Der ehemalige Sheriff Russel Strawl wird auf den Täter angesetzt. Strawl, alt, mit zitternden Händen, aber immer noch zäh, war zu seiner Zeit gefürchtet und angstvoll geachtet wegen seiner erbarmungslosen Gewalttätigkeit. Allerdings wurde seine Aggression durch sein Amt kanalisiert, sie diente der Ordnung. Ihm gegenüber steht nun ein Mörder, der seine Aggression nutzt, um Unruhe zu stiften. Ein Täter, dessen Opfer willkürlich gewählt scheinen, dessen Morde aber dennoch nicht sinnlos sind.

Bruce Holberts Debütroman »Einsame Tiere« ist alles andere als ein Serienkillerthriller in Westernkulisse. Mit großer Wortgewalt, Dialogen von subtilen Witz und poetischer Kraft, mit entsetzlichen wie wunderschönen Bildern schafft er einen modernen Western über die Macht der Sprache und die sinnstiftende Gewalt und Schöpfungskraft von Geschichten und Mythen.

Rasante Achterbahnfahrt

Der titelgebende Krake, ein Tattoo auf Curly Watkins rasierter Glatze, ist ein Überbleibsel aus dessen Zeiten als Punk. Heute – in den Nullerjahren, in denen Jim Nisbets »Der Krake auf meinem Kopf« spielt – schlägt sich der Musiker damit durch, dass er in hippen Cafés in San Francisco Gitarre spielt: beliebte Songs von damals, als die Stadt noch das Zentrum eines bunten Gemischs aus Gegenkulturen war. Inzwischen haben Profitgier und Gentrifizierung für allgemeine Stromlinienförmigkeit, Selbstoptimierung und soziale Kälte gesorgt. Die quirlige Aufbruchsstimmung ist längst zum schicken Accessoire und Marketingtrick verkommen.

Weil er für einen Freund die Kaution zusammenkratzen will, lässt sich Curly von Lavinia, einer früheren Freundin, auf einen schnellen, kleinen, fast legalen Job ein. Das ist der Anfang einer ebenso rasanten wie bizarr-witzigen Achterbahnfahrt durch verschiedene Milieus, Bewusstseinszustände, Geistesverfassungen und Verbrechen, denn Lavinia und Curly stolpern über eine Leiche und geraten in die Fänge eines Serienmörders. Dies passiert zwar erst recht spät und nur nimmt einen relativ geringen, dafür aber eindrucksvollen Teil des Buches ein.

Wundervoll intelligent-witzige Dialoge, engagierte Diskussionen über Marx oder Johann Sebastian Bach, Drogenexzesse, ein genau richtig hochgeschraubter Plot, ein beißend-klarer, sarkasmusgesättigter Blick auf das San Francisco der Dotcom-Millionäre und Digitalbienchen: Jim Nisbet kümmert sich nicht um Genrekonventionen, sondern mixt sehr gekonnt und sprachgewaltig einen grandiosen Noir. Ein Buch wie ein Rausch: schnell, hochkomisch, bunt, schräg, erschreckend brutal, voller Zartheit und Liebe und ein wenig melancholisch.

Kirsten Reimers

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Nic Pizzolatto: Galveston
(Galveston, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Simone Salitter und Gunter Blank
Metrolit 2014
geb., 253 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-8493-0097-5
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Bruce Holbert: Einsame Tiere
(Lonesome Animals, 2012)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind 2014
geb., 303 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-95438-034-3
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Jim Nisbet: Der Krake auf meinem Kopf
(The Octopus On My Head, 2007)
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Pulp Master 2014
Tb., 320 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-927734-48-7
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Frankfurter Neue Presse