Im Netz aus Gewalt und Mord

Die Pennerin mit dem Hund – so wird sie genannt, und so nennt sie sich auch selbst. Die Obdachlose hat nicht immer auf der Straße gelebt. Bis vor ein paar Jahren war sie in gehobener Stellung in einer Bank tätig – bis sie sich auf krumme Geschäfte einließ, die gesamte Schuld auf sich nahm und ins Gefängnis ging. Alles aus Liebe. Wieder draußen, fand sie keinen Weg zurück in die bürgerliche Gesellschaft und lebt nun auf der Straße.

Bis sie eines Tages auf den Straßen Londons den Mann wiedertrifft, der ihr Liebe schwor, sie ausnutzte und dann wegwarf. Sie folgt ihm – dem Leibhaftigen, Ashomdai, dem Herren über Spinnen und Fliegen – und gerät in ein Netz aus Gewalt, Mord, Diebstahl.

»Lady Bag« spielt am Rand der Gesellschaft. Die Figuren leben in einer Parallelwelt, die nach sehr eigenen Regeln funktioniert – Regeln, die auf die harte Tour erlernt werden müssen. Die Hauptfigur, die Baglady, hat viel verloren, doch nicht ihren Stolz – »Für Sie immer noch Lady Bag!« –, ihr großes Herz, ihren kritischen Geist und ihren Humor. Temporeich, mit dunklem und sagenhaft komischen Witz, der nie ins Zynische kippt, mit einem Gespür für absurde Situationen und gesellschaftliche Abgründe legt Liza Cody nach so vielen Jahren endlich wieder einen Krimi vor – und zwar einen herausragenden!

Brodelnde Wut

Irland, nachdem es von größenwahnsinnigen Bankern in den Ruin getrieben wurde: In Dublin beobachtet eine ehemalige Nonne etwas, das die Vorbereitung einer Straftat sein könnte, vier Kleinkriminelle überfallen einen Geldtransporter, und ein Banker (»Einen korrupten Banker umlegen – man könnte darin schon einen Akt der Vaterlandsliebe sehen«.) wird mit einer Waffe erschossen, die vor Jahren eine Rolle bei einem Drogenmord spielte.

In Gene Kerrigans »Die Wut« brodelt die Gesellschaft: Die Steuerzahler zahlen dafür, dass Banken das Land vor die Wand gefahren haben; Unternehmen und Unternehmer kommen mit Schwerverbrechen davon, während kleine Leute für weitaus geringere Vergehen hart bestraft werden. Die irische Polizei wird ihrem Ruf gerecht, Unschuldigen Verbrechen anzuhängen, um nur nicht denjenigen vors Schienbein zu treten, die Macht und Geld haben. Wut regiert – im Großen wie im Kleinen. Kerrigan, der für seinen Roman 2012 mit dem Gold Dagger Award ausgezeichnet wurde, demonstriert, welche Auswirkungen ein ungebremster Kapitalismus auf Gesellschaft wie Individuen hat.

Gesprengte Gewissheiten

Der irische Krimiautor Declan Burke ist hierzulande bislang wenig bekannt – das ändert sich hoffentlich bald: Mit »Absolute Zero Cool« liegt erstmals einer seiner Romane auf Deutsch vor – und was für einer! Ein Krimi, der die Grenzen des Genres sprengt, grundsätzliche Fragen des (Roman-)Schreibens aufwirft und noch ein paar weitere dazu: Vor einem namenlosen Krimischriftsteller steht eines Tages ein unangenehmer Kerl, der behauptet, Karlsson zu sein, eine Figur aus einem alten Manuskript des Autors, das dieser nie fertiggestellt hat. Karlsson möchte jetzt Billy genannt werden und außerdem solle der Autor jetzt endlich mal das Manuskript umschreiben und vollenden. Der Krimiautor hält den Mann für einen Schauspieler, der irgendwie an den alten Text herangekommen ist, und geht auf das ein, was er für ein Spiel hält.

Und damit beginnt ein ganz anderes Spiel: Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, Gewissheiten brechen weg, der Text wird in die Luft gejagt wie das Krankenhaus, in dem Billy/Karlsson arbeitet (oder doch nicht?). Immer unklarer wird, wer den Text eigentlich gestaltet: der Autor oder die Figur? Überhaupt: Welchen Text? Den alten, unvollendeten oder den aktuellen, den man als Leserin, als Leser in der Hand hält? Declan Burkes »Absolute Zero Cool« ist ein sehr witziger und ziemlich cooler Roman, der ebenso unterhält wie verstört.

Kirsten Reimers

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Liza Cody: Lady Bag
(Lady Bag, 2013)
Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski
Ariadne/Argument 2014
geb., 318 Seiten, 17 Euro
ISBN 978-3-86754-222-7
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Gene Kerrigan: Die Wut
(The Rage, 2011)
Aus dem Englischen von Antje Maria Greisiger
Polar Verlag 2014
Tb., 295 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-945133-06-4
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Declan Burke: Absolute Zero Cool
(Absolute Zero Cool, 2011)
Aus dem Englischen von Robert Brack
Edition Nautilus 2014
kart., 316 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-89401-793-4

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse