Archiv für den Monat: Dezember 2013

Kleinstadttristesse und Blutrausch

Neue Kriminalromane von Cathi Unsworth, P. D. James und Madison Smartt Bell

Vor zwanzig Jahren geschah im langweiligen Küstenstädtchen Ernemouth ein Mord. Offenbar ein Ritualmord, durchgeführt von Satanisten. Verurteilt wurde dafür die damals fünfzehnjährige Corinne Woodrow. Doch heute gibt es dank DNA-Analysen neue Spuren. Deshalb wird der Privatdetektiv Sean Ward in den Nordosten Englands geschickt, um diesen Fall erneut aufzurollen und herauszufinden, was 1984 tatsächlich geschehen ist.

Cathi Unsworth fängt in ihrem Kriminalroman »Opfer« die Tristesse einer unattraktiven Kleinstadt in der Ära des Thatcherismus gelungen ein. Der Fall der »Hexe des Ostens« ist zwar insgesamt etwas konventionell gehalten und wirkt mitunter arg konstruiert, aber die Stimmung, die die ehemalige Musikjournalistin Unsworth kreiert, unterlegt durch düsterm Sound der Gothic-Szene der achtziger Jahre, überzeugt. Was im ersten Moment wie ein Gruselthriller scheinen mag, entwickelt sich zu einem Kriminalroman irgendwo zwischen Whodunit und Noir, der den Kleinstadtfilz gestern wie heute ebenso demaskiert wie bürgerliche Doppelmoral.

Mord und Vorurteil

Ebenfalls in die Vergangenheit der britischen Insel, aber in eine wesentlich entferntere führt der neue Kriminalroman von P. D. James. Mit ihrem Roman »Der Tod kommt nach Pemberley« hat sich die Grande Dame des britischen Krimis einen lange gehegten Traum erfüllt, wie sie in einem Interview berichtete: eine Fortschreibung von Jane Austens »Stolz und Vorurteil« mit Mitteln des Kriminalromans.

James’ Roman setzt ungefähr sechs Jahre nach dem glücklichen Ende von Austens Buch ein. Es ist der Oktober des Jahres 1803, England befindet sich im Krieg gegen Frankreich. Von den See- und Kolonialschlachten ist zwar auf der Insel nicht allzu viel zu spüren, doch befindet sich die Gesellschaft im Umbruch, die Ständeordnung wie die Geschlechterrollen sind nicht mehr so selbstverständlich gültig wie bislang. Dies gibt P. D. James die Möglichkeit, ihre Frauenfiguren etwas selbstbestimmter handeln zu lassen als Austen – zum Glück. Dem Original entsprechend geht es eher etwas weitschweifig und umständlich zu. Das mag zunächst ungewohnt erscheinen, ist aber dem Vorbild angemessen. P. D. James gelingt es zwar nicht, mit vergleichbar spitzer Feder wie Jane Austen zu schreiben, doch hat »Der Tod kommt nach Pemberley« etwas Charmant-Behäbiges, was an die Mystery Thriller von Wilkie Collins erinnert.

Ins Herz der Finsternis

Weit entfernt davon ist der Roman »Die Farbe der Nacht« von Madison Smartt Bell. In seinem Mittelpunkt steht Mae, die erste Hälfte der Nacht Croupière in einem Kasino in der Nähe von Las Vegas, die restliche Zeit schlaflos durch die Wüste streifend. Mae ist eine der letzten Überlebenden des »Volks« – gemeint ist damit die »Family« von Charles Manson. Als im September 2001 die Twin Towers in New York einstürzen, sieht sie in den Nachrichten zufällig ihre frühere Freundin Laurel, wie sie Mitglied der Hippiekommune und beteiligt an grausamen Morden. Mit diesem Wiedererkennen wird die Vergangenheit wieder lebendig.

Madison Smartt Bell verbindet 9/11 mit den Morden der Manson-Family, dem Vietnam-Krieg und indianischen Opferritualen – Gewalt erleiden, Gewalt zufügen als wesentlicher Bestandteil der US-amerikanischen Geschichte und Gesellschaft, dazu Drogen, religiöser Wahn und Blutrausch. Der Roman erinnert ein wenig an »American Psycho« von Brett Easton Ellis, wirkt aber insgesamt sehr viel rauer und durch Rückbezüge auf die griechische Mythologie opaker. Nicht schön, vielleicht nicht einmal gut, sondern verstörend und so abstoßend wie beeindruckend.

Kirsten Reimers

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Cathi Unsworth: Opfer
(Weirdo, 2012)
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
Suhrkamp 2013
Tb, 384 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-518-46433-5
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P. D. James: Der Tod kommt nach Pemberley
(Death comes to Pemberley, 2011)
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
Droemer 2013
geb., 383 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-426-19962-6
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Madison Smartt Bell: Die Farbe der Nacht
(The Color of Night, 2011)
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel
und Klaus Timmermann
Liebeskind 2013
geb., 237 Seiten, 18,90 Euro
ISBN 978-3-95438-005-3

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse


Im Netz der Schuld

Neue Kriminalromane von Pete Dexter, Sara Gran und Ian Rankin

Moat County, irgendwo in den Sümpfen Floridas, Ende der 60er Jahre. Wegen des Mordes am rassistischen Sheriff soll der psychopathische Hinterwäldler Hillary Van Wetter auf den elektrischen Stuhl. Doch bevor es soweit kommen kann, heuert seine Verlobte Charlotte Bless zwei Reporter an: Es gibt Ungereimtheiten in der Beweisführung, Schlampigkeiten bei den Ermittlungen. Van Wet- ter sei unschuldig, da ist sie sich ganz sicher, obwohl sie ihn bislang nur aus Briefen kennt. Bless ist eine verwitterte White-Trash-Nymphe mit bröckeligem Sexappeal und einem Hang zu Todeskandidaten, Van Wetter ihr neuestes Projekt.

Die Journalisten Ward James und Yardly Acheman von der Miami Times beginnen nachzuhaken und zu graben – und tatsächlich können sie Van Wetter vor der Hinrichtung retten. Dafür bekommen sie den Pulitzer-Preis. Aber in der Folge auch massive Zweifel: Haben sie in ihrer Reportage tatsächlich die Wahrheit erzählt? Oder wurden sie von der Van-Wetter-Sippe nur benutzt? Doch diese Frage ist nur ein Aspekt von Pete Dexters Roman »Paperboy«, denn eigentlich geht es um sehr viel mehr: um die Bigotterie der US-Provinz Ende der 60er Jahre, um die Qualitätserosionen des Journalismus, um das Erwachsenwerden, ohne dem Wahnsinn anheimzufallen.

»Paperboy« erschien bereits 1996 ein erstes Mal auf Deutsch unter dem Titel »Schwarz auf Weiß« und blieb viel zu unbeachtet. Anlässlich der Romanverfilmung durch Lee Daniel legt der wunderbare Verlag Liebeskind den beeindruckenden Noir nun in einer hervorragenden Neuübersetzung vor. Lakonisch und sehr präzise erzählt aus Sicht des jüngeren Bruders eines der Reporter, mit dichten Bildern und grandios ausdifferenzierten Figuren zeigt Pete Dexter in der schwülen Hitze des US-amerikanischen Südens das Tasten nach Wahrheit, Sex und Sinn.

Die beste Ermittlerin der Welt

In »Das Ende der Welt«, dem zweiten Buch um Claire DeWitt, der besten Ermittlerin der Welt, schickt Sara Gran ihre fragile, drogenaffine und gewaltbereite Detektivin auf die Suche nach dem Mörder ihres Exfreundes Paul. Wie Claire und den Lesern im Laufe der Zeit klar wird, war der Musiker aber nicht nur irgendein Liebhaber, sondern die große Liebe. Claire übersteht diese wachsende Erkenntnis und das Eingeständnis, ihn und sich zutiefst verletzt zu haben, vielleicht in letzer Konsequenz sogar Schuld an seinem Tod zu sein, nur mit wachsenden Mengen Kokain und zahllosen Tabletten.

Parallel dazu berichtet Claire von einem zweiten Fall, den sie noch als Jugendliche in New York gelöst hat. Die Erinnerung daran bringt sie in der Gegenwart einen Schritt weiter auf der Suche nach ihrer schon vor Jahren verschollenen Freundin Tracy.

Wie bereits in »Die Stadt der Toten«, dem ersten Buch mit Claire DeWitt – für das Sara Gran hochverdient mit dem Deutschen Krimi Preis 2013 ausgezeichnet wurde –, bedient Gran einerseits gekonnt Krimikonventionen, um sie auf der anderen Seite im gleichen Atemzug mit ihrer Hauptfigur zu unterlaufen. Claire DeWitt ist eine der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Figuren der aktuellen Krimilandschaft: Neben den üblichen Ermittlungsmethoden vertraut sie auf ihre Intuition, auf bewusstseinserweiternde Drogen, auf Schamanen, das I Ging und Träume, sodass Realität und Visionen miteinander verfließen und der Wahrheit eine neue Dimension hinzufügen. Und bei aller Fragilität und Verletzlichkeit ist der Roman beinhart mit einer gnadenloser Selbstironie. Wahrhaft grandios.

Rebus’ Rückkehr

17 Mal hatte Ian Rankin seinen Inspector John Rebus in Schottland ermitteln lassen, bevor er ihn vor rund sechs Jahren in den Ruhestand schickte. Doch nun ist Rebus wieder da, weder dem Autor noch der Figur gefiel offenbar deren Rentnerdasein: Im Kriminalroman »Mädchengrab« untersucht John Rebus – nun als ziviler Berater der Polizei – sogenannte »Cold Cases«, ungelöste alte Fälle. Dabei wird er auf das aktuelle Verschwinden eines Mädchens aufmerksam, das mit mehreren Fällen aus der Vergangenheit in Verbindung stehen könnte.

Kauzig und knurrig, rauchend und saufend beißt sich Rebus durch Edinburgh, trifft dabei unter anderem auf seinen literarischen Nachfolger und charakterlichen Gegenpol Malcom Fox von der »Abteilung für interne Ermittlungen« und hat wenig Skrupel, Kontakte zu Gangstern zu nutzen. Seine Ermittlungen führen ihn quer durch Schottland – und durch eine Welt, die sich in den letzten Jahren deutlich verändert hat – auch für Rankins sarkastischen Ermittler. Welcome back, Mr. Rebus.

Kirsten Reimers

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Pete Dexter: Paperboy
Deutsch von Bernhard Robben
Liebeskind 2013
geb., 319 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-95438-008-4
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Sara Gran: Das Ende der Welt
Deutsch von Eva Bonné
Droemer 2013
Tb., 367 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-426-22637-7
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Ian Rankin: Mädchengrab
Deutsch von Conny Lösch
Manhattan 2013
geb., 507 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-442-54722-7
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse