Kleinstadttristesse und Blutrausch

Neue Kriminalromane von Cathi Unsworth, P. D. James und Madison Smartt Bell

Vor zwanzig Jahren geschah im langweiligen Küstenstädtchen Ernemouth ein Mord. Offenbar ein Ritualmord, durchgeführt von Satanisten. Verurteilt wurde dafür die damals fünfzehnjährige Corinne Woodrow. Doch heute gibt es dank DNA-Analysen neue Spuren. Deshalb wird der Privatdetektiv Sean Ward in den Nordosten Englands geschickt, um diesen Fall erneut aufzurollen und herauszufinden, was 1984 tatsächlich geschehen ist.

Cathi Unsworth fängt in ihrem Kriminalroman »Opfer« die Tristesse einer unattraktiven Kleinstadt in der Ära des Thatcherismus gelungen ein. Der Fall der »Hexe des Ostens« ist zwar insgesamt etwas konventionell gehalten und wirkt mitunter arg konstruiert, aber die Stimmung, die die ehemalige Musikjournalistin Unsworth kreiert, unterlegt durch düsterm Sound der Gothic-Szene der achtziger Jahre, überzeugt. Was im ersten Moment wie ein Gruselthriller scheinen mag, entwickelt sich zu einem Kriminalroman irgendwo zwischen Whodunit und Noir, der den Kleinstadtfilz gestern wie heute ebenso demaskiert wie bürgerliche Doppelmoral.

Mord und Vorurteil

Ebenfalls in die Vergangenheit der britischen Insel, aber in eine wesentlich entferntere führt der neue Kriminalroman von P. D. James. Mit ihrem Roman »Der Tod kommt nach Pemberley« hat sich die Grande Dame des britischen Krimis einen lange gehegten Traum erfüllt, wie sie in einem Interview berichtete: eine Fortschreibung von Jane Austens »Stolz und Vorurteil« mit Mitteln des Kriminalromans.

James’ Roman setzt ungefähr sechs Jahre nach dem glücklichen Ende von Austens Buch ein. Es ist der Oktober des Jahres 1803, England befindet sich im Krieg gegen Frankreich. Von den See- und Kolonialschlachten ist zwar auf der Insel nicht allzu viel zu spüren, doch befindet sich die Gesellschaft im Umbruch, die Ständeordnung wie die Geschlechterrollen sind nicht mehr so selbstverständlich gültig wie bislang. Dies gibt P. D. James die Möglichkeit, ihre Frauenfiguren etwas selbstbestimmter handeln zu lassen als Austen – zum Glück. Dem Original entsprechend geht es eher etwas weitschweifig und umständlich zu. Das mag zunächst ungewohnt erscheinen, ist aber dem Vorbild angemessen. P. D. James gelingt es zwar nicht, mit vergleichbar spitzer Feder wie Jane Austen zu schreiben, doch hat »Der Tod kommt nach Pemberley« etwas Charmant-Behäbiges, was an die Mystery Thriller von Wilkie Collins erinnert.

Ins Herz der Finsternis

Weit entfernt davon ist der Roman »Die Farbe der Nacht« von Madison Smartt Bell. In seinem Mittelpunkt steht Mae, die erste Hälfte der Nacht Croupière in einem Kasino in der Nähe von Las Vegas, die restliche Zeit schlaflos durch die Wüste streifend. Mae ist eine der letzten Überlebenden des »Volks« – gemeint ist damit die »Family« von Charles Manson. Als im September 2001 die Twin Towers in New York einstürzen, sieht sie in den Nachrichten zufällig ihre frühere Freundin Laurel, wie sie Mitglied der Hippiekommune und beteiligt an grausamen Morden. Mit diesem Wiedererkennen wird die Vergangenheit wieder lebendig.

Madison Smartt Bell verbindet 9/11 mit den Morden der Manson-Family, dem Vietnam-Krieg und indianischen Opferritualen – Gewalt erleiden, Gewalt zufügen als wesentlicher Bestandteil der US-amerikanischen Geschichte und Gesellschaft, dazu Drogen, religiöser Wahn und Blutrausch. Der Roman erinnert ein wenig an »American Psycho« von Brett Easton Ellis, wirkt aber insgesamt sehr viel rauer und durch Rückbezüge auf die griechische Mythologie opaker. Nicht schön, vielleicht nicht einmal gut, sondern verstörend und so abstoßend wie beeindruckend.

Kirsten Reimers

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Cathi Unsworth: Opfer
(Weirdo, 2012)
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
Suhrkamp 2013
Tb, 384 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-518-46433-5
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P. D. James: Der Tod kommt nach Pemberley
(Death comes to Pemberley, 2011)
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
Droemer 2013
geb., 383 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-426-19962-6
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Madison Smartt Bell: Die Farbe der Nacht
(The Color of Night, 2011)
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel
und Klaus Timmermann
Liebeskind 2013
geb., 237 Seiten, 18,90 Euro
ISBN 978-3-95438-005-3

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse