Im Netz der Schuld

Neue Kriminalromane von Pete Dexter, Sara Gran und Ian Rankin

Moat County, irgendwo in den Sümpfen Floridas, Ende der 60er Jahre. Wegen des Mordes am rassistischen Sheriff soll der psychopathische Hinterwäldler Hillary Van Wetter auf den elektrischen Stuhl. Doch bevor es soweit kommen kann, heuert seine Verlobte Charlotte Bless zwei Reporter an: Es gibt Ungereimtheiten in der Beweisführung, Schlampigkeiten bei den Ermittlungen. Van Wet- ter sei unschuldig, da ist sie sich ganz sicher, obwohl sie ihn bislang nur aus Briefen kennt. Bless ist eine verwitterte White-Trash-Nymphe mit bröckeligem Sexappeal und einem Hang zu Todeskandidaten, Van Wetter ihr neuestes Projekt.

Die Journalisten Ward James und Yardly Acheman von der Miami Times beginnen nachzuhaken und zu graben – und tatsächlich können sie Van Wetter vor der Hinrichtung retten. Dafür bekommen sie den Pulitzer-Preis. Aber in der Folge auch massive Zweifel: Haben sie in ihrer Reportage tatsächlich die Wahrheit erzählt? Oder wurden sie von der Van-Wetter-Sippe nur benutzt? Doch diese Frage ist nur ein Aspekt von Pete Dexters Roman »Paperboy«, denn eigentlich geht es um sehr viel mehr: um die Bigotterie der US-Provinz Ende der 60er Jahre, um die Qualitätserosionen des Journalismus, um das Erwachsenwerden, ohne dem Wahnsinn anheimzufallen.

»Paperboy« erschien bereits 1996 ein erstes Mal auf Deutsch unter dem Titel »Schwarz auf Weiß« und blieb viel zu unbeachtet. Anlässlich der Romanverfilmung durch Lee Daniel legt der wunderbare Verlag Liebeskind den beeindruckenden Noir nun in einer hervorragenden Neuübersetzung vor. Lakonisch und sehr präzise erzählt aus Sicht des jüngeren Bruders eines der Reporter, mit dichten Bildern und grandios ausdifferenzierten Figuren zeigt Pete Dexter in der schwülen Hitze des US-amerikanischen Südens das Tasten nach Wahrheit, Sex und Sinn.

Die beste Ermittlerin der Welt

In »Das Ende der Welt«, dem zweiten Buch um Claire DeWitt, der besten Ermittlerin der Welt, schickt Sara Gran ihre fragile, drogenaffine und gewaltbereite Detektivin auf die Suche nach dem Mörder ihres Exfreundes Paul. Wie Claire und den Lesern im Laufe der Zeit klar wird, war der Musiker aber nicht nur irgendein Liebhaber, sondern die große Liebe. Claire übersteht diese wachsende Erkenntnis und das Eingeständnis, ihn und sich zutiefst verletzt zu haben, vielleicht in letzer Konsequenz sogar Schuld an seinem Tod zu sein, nur mit wachsenden Mengen Kokain und zahllosen Tabletten.

Parallel dazu berichtet Claire von einem zweiten Fall, den sie noch als Jugendliche in New York gelöst hat. Die Erinnerung daran bringt sie in der Gegenwart einen Schritt weiter auf der Suche nach ihrer schon vor Jahren verschollenen Freundin Tracy.

Wie bereits in »Die Stadt der Toten«, dem ersten Buch mit Claire DeWitt – für das Sara Gran hochverdient mit dem Deutschen Krimi Preis 2013 ausgezeichnet wurde –, bedient Gran einerseits gekonnt Krimikonventionen, um sie auf der anderen Seite im gleichen Atemzug mit ihrer Hauptfigur zu unterlaufen. Claire DeWitt ist eine der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Figuren der aktuellen Krimilandschaft: Neben den üblichen Ermittlungsmethoden vertraut sie auf ihre Intuition, auf bewusstseinserweiternde Drogen, auf Schamanen, das I Ging und Träume, sodass Realität und Visionen miteinander verfließen und der Wahrheit eine neue Dimension hinzufügen. Und bei aller Fragilität und Verletzlichkeit ist der Roman beinhart mit einer gnadenloser Selbstironie. Wahrhaft grandios.

Rebus’ Rückkehr

17 Mal hatte Ian Rankin seinen Inspector John Rebus in Schottland ermitteln lassen, bevor er ihn vor rund sechs Jahren in den Ruhestand schickte. Doch nun ist Rebus wieder da, weder dem Autor noch der Figur gefiel offenbar deren Rentnerdasein: Im Kriminalroman »Mädchengrab« untersucht John Rebus – nun als ziviler Berater der Polizei – sogenannte »Cold Cases«, ungelöste alte Fälle. Dabei wird er auf das aktuelle Verschwinden eines Mädchens aufmerksam, das mit mehreren Fällen aus der Vergangenheit in Verbindung stehen könnte.

Kauzig und knurrig, rauchend und saufend beißt sich Rebus durch Edinburgh, trifft dabei unter anderem auf seinen literarischen Nachfolger und charakterlichen Gegenpol Malcom Fox von der »Abteilung für interne Ermittlungen« und hat wenig Skrupel, Kontakte zu Gangstern zu nutzen. Seine Ermittlungen führen ihn quer durch Schottland – und durch eine Welt, die sich in den letzten Jahren deutlich verändert hat – auch für Rankins sarkastischen Ermittler. Welcome back, Mr. Rebus.

Kirsten Reimers

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Pete Dexter: Paperboy
Deutsch von Bernhard Robben
Liebeskind 2013
geb., 319 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-95438-008-4
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Sara Gran: Das Ende der Welt
Deutsch von Eva Bonné
Droemer 2013
Tb., 367 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-426-22637-7
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Ian Rankin: Mädchengrab
Deutsch von Conny Lösch
Manhattan 2013
geb., 507 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-442-54722-7
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse