Irgendwo in den Tiefen von Texas. Hinter einer alten Kirche entdeckt Scheriff Hackberry Holland die Leichen von neun asiatischen Frauen, manche noch halbe Kinder, vermutlich Zwangsprostituierte; in ihren Körpern aufgeplatzte Drogenpäckchen. Sie wurden hingerichtet und notdürftig mit einem Bulldozer verscharrt.
In Pete Flores, einem Afghanistan-Veteran mit tiefen inneren wie äußeren Verletzungen, findet sich ein Zeuge – allerdings einer, der auf der Flucht ist vor einem gnadenlosen, aber extrem selbstbeherrschten, bibelfesten Auftragskiller, »Preacher« genannt. Diese beiden sind nicht die einzigen Personen mit dunklen Seelenabgründen. Auch Sheriff Holland ist alles andere als eine einschichtige Figur: Korea-Veteran, trockener Alkoholiker mit korrupter Vergangenheit, inzwischen um ein anständiges Leben ringend.
Es sind Charaktere wie aus einer anderen Welt, wie der ganze Roman – obwohl ganz eindeutig im Heute angesiedelt: das Verbrechen ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – mitunter wie aus der Zeit gefallen scheint: »Regengötter« von James Lee Burke ist ebenso Kriminalroman wie Western, wuchtig wie im CinemaScope-Verfahren aufgenommen, mit überwältigenden Naturaufnahmen, dabei das große Ganze ebenso in den Blick nehmend wie die Details, ohne sich in einem von beiden zu verlieren. Hoch verdient ist Burke für diesen Roman mit dem Deutschen Krimi Preis 2015 (Kategorie International) ausgezeichnet worden.
In den Tiefen Londons
Auf dem dritten Platz des Deutschen Krimi Preises landete der neue Krimi von Oliver Harris. Nach dem großen Erfolg von »London Killing« scheucht der Autor seinen nur wenig gesetzestreuen Detective Nick Belsey in »London Underground« erneut durch die englische Metropole – diesmal durch den Untergrund. Während einer Verfolgungsjagd entdeckt Belsey durch Zufall den Zugang zu einem Bunkersystem. Diesen ungewöhnlichen Ort wählt er wenig später als Treffpunkt für ein Date – doch Jemma, die junge Frau, die er dorthin mitnimmt, wird von einem Unbekannten ent- führt, der daraufhin Belsey erpresst. Was der Täter, der sich nach einem früheren Sowjetspion nennt, beabsichtigt, bleibt zunächst unklar.
Belsey geht es vor allem darum, seine Spuren zu verwischen, deshalb unternimmt er alles, um Jemma wiederzufinden – und entdeckt dabei eine Stadt unter der Stadt: ein riesiges Tunnel- und Bunkerlabyrinth, entstanden in den achtziger Jahren aus Angst vor einem Atomkrieg. Immer noch wird dies von den Geheimdiensten vertuscht, denn es ist damals etwas vorgefallen, das lieber nicht bekannt werden sollte. So gerät Belsey zwischen alle Fronten – und keine Seite ist besonders zimperlich.
Wie im Erstling wird Nick Belsey nicht von altruistischen Motiven angetrieben: unverfroren und dreist, aber sehr charmant verfolgt er seine eigenen Pläne, oft jenseits des Gesetzes. »London Underground« ist ein bisschen glatter und weniger rotzig als das Debüt – das wird aber durch Plot, Konstruktion und gelungenen Anleihen an den Spionageroman wieder wettgemacht.
Kluge Spannung
Ganz anders im Ton ist der neue Kriminalroman von Tana French: Vor etwas über einem Jahr wurde auf dem Gelände des exklusiven Mädcheninternats St. Kilda in der Nähe von Dublin die Leiche eines Schülers vom benachbarten Jungeninternat gefunden. Der Mord konnte bislang nicht aufgeklärt werden, man vermutete Fremde als Täter. Doch nun hängt ein Foto des Teenagers an einer Pinnwand der Mädchenschule mit der Bemerkung: »Ich weiß, wer ihn getötet hat.« Das ruft die Detectives Stephen Moran und Antoinette Conway auf den Plan – eine behutsame und intensive Ermittlung beginnt.
Im Aufbau ist »Geheimer Ort« von Tana French ein Whodunit: ein abgelegener Ort, ein übersichtlicher Kreis von Verdächtigen. Aber das ist auch schon alles, was dieser Krimi mit den klischeehaften britischen Landhauskrimis gemeinsam hat. French nähert sich ihren Figuren sehr behutsam und sehr aufmerksam an. Im Wechsel zwischen den Geschehnissen vor dem Mord und der Gegenwart deckt sie nach und nach das Innenleben ihrer Figuren auf, Schicht um Schicht trägt sie ab, bis klar ist, warum dieser Mord unvermeidlich war.
Wie in Frenchs bisherigen Büchern rückt eine frühere Nebenfigur nun in den Mittelpunkt, und ebenso wie bislang geht es um die Frage von Individualität und Integration, Eigensinn und Unterordnung: Ist es besser und ehrlicher, einen eigenen Weg zu suchen, oder bringt die Einordnung in eine Gemeinschaft nicht mehr Sicherheit und Geborgenheit? Freundschaft und Liebe, Familie und Kollegen, Hoffnungen und Erwartungen, oft nur schwer miteinander zu vereinbaren. Ein ganz wunderbarer Kriminalroman von großer Intensität und klugem Feingefühl.
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James Lee Burke: Regengötter
(Rain Gods, 2009)
Aus dem Englischen von Daniel Müller
Heyne Hardcore 2014
kart., 671 Seiten, 16,99 Euro
ISBN 978-3-453-67681-7
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Oliver Harris: London Underground
(Deep Shelter, 2014)
Aus dem Englischen von Gunnar Kwisinski
Blessing 2014
Hc., 445 Seiten, 19,99
ISBN 978-3-89667-449-4
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Tana French: Geheimer Ort
(The Secret Place, 2014)
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Scherz 2014
kart., 700 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-651-00051-3
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der
Frankfurter Neuen Presse