Vor einem namenlosen Krimischriftsteller steht eines Tages ein unangenehmer und dreister Kerl. Er schnorrt Kaffee und Zigaretten und behauptet, Karlsson zu sein, eine Figur aus einem Manuskript des Autors, das dieser nie fertiggestellt hat. Weil dieser Zustand im Nirgendwo, im »Fegefeuer«, wie er es nennt, unerträglich sei, verlangt Karlsson vom Autor, das Manuskript so zu über- arbeiten, dass es verlegt werden kann. Und dabei soll er doch bitte auch gleich seine Figur um- schreiben, denn so, wie der Autor ihn geschildert hat, ist er nicht mehr, so war er vielleicht nie. Außerdem möchte er jetzt Billy genannt werden.
Der Krimiautor hält den Mann für einen Schauspieler, der irgendwie an das alte Manuskript gelangt ist und nun eine schräge Performance aufführt. Er lässt sich auf das ein, was er für ein Spiel hält – und damit beginnt etwas ganz anderes. Billy/Karlsson hat sich nicht nur als fiktive Figur emanzipiert, er will selbst mit am Text arbeiten und entwirft eigene Kapitel mit nur sehr langsam wachsenden Gespür für Stil und Sprache (was vom Übersetzer Robert Brack ganz wunderbar schlecht übertragen wurde – Kompliment, und nicht nur dafür!).
Auf diese Weise beginnen die Grenzen zwischen den verschiedenen Erzählebenen zu verschwimmen, Gewissheiten brechen weg, der Text wird gesprengt wie das Krankenhaus, in dem Billy/Karlsson als Aushilfskraft arbeitet. (Oder ist das Attentat nur eine Fiktion in der Fiktion? Und was geschieht/geschah mit Rosie, der kleinen Tochter des Autors?) Immer unklarer wird, wer den Text eigentlich gestaltet: der Autor oder die Figur? Überhaupt: welchen Text? Den alten fiktiven oder denjenigen, den man als Leserin, als Leserin der Hand hält?
Cool und subtil
Ein Krimi ist dieses Buch im Grunde nicht, auch wenn Morde geplant und (vielleicht) begangen werden. Declan Burke spielt zwar mit Elementen des Kriminalromans, aber weit mehr geht es um das Schreiben an sich, um den Prozess und um die Frage, wer der Souverän des Textes ist: der Autor oder seine Figuren? Burke knüpft damit an verschiedene literarische Gedankenspiele und Fragestellungen an, zitiert, verwebt und puzzelt Versatzstücke hinein. Das könnte nun zu einer trockener Theorieübung in Philosophie und Literaturwissenschaft werden, doch es bleibt ebenso cool wie spannend, lebendig und unerwartet witzig, unter anderem weil der Autor mit Lesererwartungen und intellektuellem Rumgepose spielt und beides unterläuft.
Mit der Sprengung des Krankenhauses, der symbolischen Zerstörung des irischen Gesundheitssystems – der Roman spielt vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise –, wäre dann der absolute Nullpunkt erreicht: derjenige der Literatur, der Tod des Autors, auch der Punkt, an dem jede Energie einfriert, und ebenfalls der Punkt, an dem kein Schmerz mehr fühlbar ist.
»Absolute Zero Cool« ist der erste Roman, der von Declan Burke auf Deutsch vorliegt – es folgen hoffentlich bald weitere. In Irland gilt er längst als einer der innovativsten Krimiautoren seiner Zeit. Sehr sehenswert ist auch seine Internetseite Crime Always Pays.
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Declan Burke: Absolute Zero Cool
(Absolute Zero Cool, 2011)
Aus dem Englischen von Robert Brack
Edition Nautilus 2014
kart., 316 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-89401-793-4
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FaustKultur