Archiv für den Monat: Juli 2012

Nur noch herzig

Zerfasert in die Belanglosigkeit

»Der Tote im Eisfach« ist der fünfte Band von Colin Cotterills Reihe um den einzigen und mithin ältesten Pathologen Laos’, den über siebzigjährigen Dr. Siri Paiboun. Siri war aktiv am Kampf gegen den Kolonialherren Frankreichs beteiligt und stand zu dieser Zeit der kommunistischen Partei nah – doch seit Ende 1975 die Laotische Revolutionäre Volkspartei in der kurz zuvor deklarierten Demokratischen Volksrepublik Laos die Macht übernommen hat, ist der Pathologe angesichts der gravierenden Diskrepanz zwischen kommunistischer Proklamation und ihrer Wirklichkeit sowie aufgrund der massiven Kontrolle durch die ideologischen Schwesternstaaten mehr als desillusioniert. Die Ideale des Sozialismus liegen Dr. Siri weiterhin am Herzen, doch die Umsetzung Mitte der siebziger Jahre (zu dieser Zeit spielen Cotterills Krimis) betrachtet er mit großer Skepsis und kommentiert sie zynisch.

Leben im intelligenten Widerstand

Colin Cotterill lebte längere Zeit selbst in Laos, er gab Englischkurse an Universitäten und engagierte sich als Sozial- arbeiter. Mit viel Sympathie für seinen querköpfigen Pathologen und dessen skurrile Helferschar zeichnet er deren warm- herzigen und gewitzten Guerillakampf gegen das System. Dabei entsteht auch stets ein Porträt des Landes, das nicht einfach Kulisse, sondern elementarer Bestandteil der Romane ist: Ein Land, das zwar den Kolonialismus abgestreift hat, aber nun von den kommunistischen Nachbarn gegängelt wird, ein Land zwischen Animismus und Rationalität, bitter verarmt (auch heute noch zählt Laos zu den ärmsten Ländern der Welt) und innerlich zerrissen von Attentaten durch royalistisch-kolonialistische Rebellen und ethnischen Konflikten.

Es ist klar, für wen Cotterills Herz schlägt: für die Underdogs – darin gleicht er seiner Hauptfigur. Für das Leben im intelligenten Widerstand gegen die Unterdrückung im Einparteienstaat. Es schwingt dabei immer ein wenig Enttäuschung mit, dass die ursprünglichen Ideale der antikolonialistischen Bewegung im rigiden Bürokratismus erstarrt sind, die sich in einem sehr schönen subversiven Witz Luft macht. Beziehungsweise normalerweise macht. Oder machte. Diesmal aber nicht.

Mit der besten Absicht …

Dieses Mal liegt es Cotterill besonders am Herzen, auf das Schicksal der Hmong und anderer laotischer Bergvölker hinzuweisen, wie er in einem knappen Vorwort schreibt. Während des Vietnamkriegs, in dem Laos neutral blieb (und trotzdem verheerend verwüstet wurde), rekrutierte die CIA Hmong, um sie im sogenannten geheimen Krieg gegen die Pathet Lao (die laotische Widerstandsbewegung mit kommunistischer Prägung, aus der später die Laotische Revolutionäre Volksarmee hervorging) und die Truppen der südvietnamesischen FNL einzusetzen. Als die Pathet Lao die Macht übernahmen, wurden die Hmong als politische Gefangene in Umerziehungslagern interniert, in denen viele starben. Tausende Hmonmg flohen deshalb ins benachbarte Thailand.

Leider gilt wie so oft: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. So ehrenhaft Cotterills Anliegen ist, so verkrampft ist es ausgeführt. Es gibt zwei unabhängig voneinander verlaufende Stränge: Während Dr. Siri auf einer Dienstreise von einer Gruppe Hmong entführt wird, löst seine muntere Helferschar in Vientiane einen hanebüchenen Mordfall, der überkonstruiert und hastig zusammengeschustert ist. Besonders das Ende dieses Stranges, in dem royalistische Rebellen im Mittelpunkt stehen, ist arg dürftig und krude zusammengezwungen.

Herzige Belanglosigkeit

Der Hauptstrang, der Dr. Siris Bemühungen um eine Dämonenaustreibung in einer abgelegenen Bergregion schildert, verbindet – wie so oft bei Cotterill – Rationales mit Irrationalem. Denn sogar für den Zyniker Siri steht fest, dass es eine Geisterwelt gibt, schließlich wohnt seit geraumer Zeit der Geist eines Schamanen in ihm. Doch trotz eines sehr reizenden Abstechers des Pathologen in die Unterwelt mit Disco-Besuch, um mit den Dämonen zu sprechen, bleibt auch dieser Strang blass, gewollt und zerfasert. Ein paar seltsame europäisch geprägte Einsprengsel (und ich meine nicht den überaus wichtigen Pogo-Stick, sondern zum Beispiel abstruse Pinocchio-Vergleiche) tun ein Übriges, um auch diese Handlung wie Flickwerk erscheinen zu lassen. Der sonst so subversive Witz bleibt in einer harmlosen Herzigkeit stecken, wodurch alles in Belanglosigkeit zerfällt.

Die Zerfaserung macht sich bereits am Titel fest: Im Original heißt der Roman »The Curse of the Pogo Stick« und hebt damit den Hmong-Strang hervor. In der deutschen Fassung wurde der Titel »Der Tote im Eisfach« gewählt, der auf die zweitrangige Krimihandlung verweist. Offensichtbar hat auch der Verlag nicht recht gewusst, wie er das Buch eintüten soll. Bleibt zu hoffen, dass der nächste Band wieder entschiedener und bissiger ist.

Kirsten Reimers

Colin Cotterill: Der Tote im Eisfach
(Curse of the Pogo Stick, 2009)
Aus dem Englischen von Thomas Mohr
Manhattan 2012
geb., 284 Seiten, 17,99 Euro
ISBN 978-3-442-54681-7
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 Diese Rezension ist zuerst erschienen im CrimeMag


Die Vergangenheit ist nicht vorbei

Neue Kriminalromane von Anne Goldmann, Sara Gran und Daniel Woodrell

Als sie das Fundament für einen Anbau aushebt, entdeckt die Justizbeamtin Regina in ihrem Garten ein Skelett. Zur Polizei gehen kann sie damit nicht, denn die Ermittlungen würden aufdecken, dass Regina Häuschen und Garten von der Tante eines Gefängnisinsassen überschrieben bekam – doch Kontakte zwischen Justizangestellten und Insassen sind untersagt. Außerdem möchte die verschlossene junge Frau vermeiden, dass in ihrer unschönen Vergangenheit herumgestöbert wird. Als Regina deshalb versucht, ihren Fund verschwinden zu lassen, macht sie sich erpressbar. Dies nutzt der inzwischen entlassene Neffe, dessen Bewährung bei Entdeckung des Skeletts hinfällig wäre. Und außerdem ist da noch der extrem eifersüchtige Kollege und Liebhaber Reginas.

Aus dieser Dreieckskonstellation erwächst in Anne Goldmanns Kriminalroman »Triangel« ein Drama, das kein gutes Ende nehmen kann. In knappen klaren Sätzen, distanziert und ohne viel Brimborium schildert die Autorin, wie der Zusammenstoß der drei unterschiedlichen Charaktere in den Abgrund führt. Hier sitzt jede Geste, jedes Wort: Aus der Fehleinschätzung der Situation oder einem missverstandenen Gesichtsausdruck erwächst die Katastrophe. Selbst die Nebenfiguren haben noch Geheimnisse, die das Geschehen vorantreiben. Leider fehlt Anne Goldmann am Ende der Mut, die Geschichte auf die bitterste Spitze zu treiben. So ist »Triangel« ein guter Krimi, der leider knapp daran vorbeischrappt, wirklich grandios zu sein.

Genial und durchgeknallt

Sehr viel konsequenter hingegen ist das Debüt von Sara Gran. Mit »Die Stadt der Toten« legt sie einen ganz hervorragenden Krimi vor: Die Privatdetektivin Claire de Witt wird beauftragt, das Verschwinden eines Mannes in New Orleans zu klären. Bis kurz vor dem großen Sturm, dem Hurrikan Katrina, hatte er noch gelebt, danach hat sein Neffe, Claires Auftraggeber, jeglichen Kontakt verloren. DeWitt ist nicht irgendeine Detektivin, sondern – wie sie gern darlegt – die beste der Welt. Und vermutlich auch die durchgeknallteste. Interessiert an jeder Droge, die man ihr reicht, jeder kreisenden Flasche zugetan, zieht sie neben dem fernöstlichen I Ging außerdem das Handbuch eines absonderlichen französischen Ermittlers zurate, hört aber ebenso auf ihre Träume und Visionen, die dank halluzinogener Drogen nicht zu selten sind.

Diese unwirsch-knurrige, gewaltbereite, beinharte und höchst misstrauische Detektivin hat bei aller Toughheit etwas zutiefst Schutzloses und Rührendes. Geschrieben mit großer Komik und knacktrockener Ironie ist »Die Stadt der Toten« von einer zerbrechlichen Zartheit, die einem bei allem beißenden Sarkasmus die Tränen in die Augen treibt. Zudem enthält das Buch, angesiedelt im nahezu völlig zerstörten New Orleans, so fürchterlich viel schmerzhafte Wahrheit, dass es ganz wunderbar ist.

In den Abgrund

Nach dem großen Erfolg von Daniel Woodrells »Winters Knochen« ist nun auch sein etwas älterer Roman »Der Tod von Sweet Mister« auf Deutsch erschienen. Er schildert das Ende einer Kindheit: In den Ozarks, einem strukturschwachen Hochplateau in der Mitte der USA, wächst Morris, genannt Shuggie, in Armut, Kleinkriminalität und Drogenmissbrauch auf. Der pummlige Junge wird von einer alkoholkranken Mutter verhätschelt, vom gewalttätigen Vater verachtet und von beiden ausgenutzt. Ein geborener Verlierer, ein unsicherer kleiner Kerl. Doch nach einer Gewalttat zeichnet sich die Chance ab, alles hinter sich zu lassen.

Woodrells Roman folgt der Struktur des klassischen Dramas: Auf die Hoffnung, das Geflecht von Gewalt, Kriminalität, sexueller Unterdrückung und Rauschmitteln abzustreifen und neu anzufangen, folgt die Katastrophe – denn dem Erbe der Väter ist nicht zu entkommen. Nicht ganz so kraftvoll wie »Winters Knochen«, ist »Der Tod von Sweet Mister« aber dennoch äußerst beeindruckend: Klare Sätze, wenig Schnörkel, keine offenen Gefühle – doch unter der lakonischen Oberfläche brodeln Enttäuschung und Hass.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Anne Goldmann: Triangel
Ariadne/Argument Verlag 2012
Tb., 266 Seiten, 11 Euro
ISBN 978-3-86754-202-9
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
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Sara Gran: Die Stadt der Toten
(Claire deWitt and the City of the Dead, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Droemer 2012
Brosch., 361 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-426-22609-4
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister
(The Death of Sweet Mister, 2001)
Liebeskind 2012
geb., 191 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-935890-95-3
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Diese Besprechung ist zuerst erschienen in der Frankfurter Neue Presse.