Zerfasert in die Belanglosigkeit
»Der Tote im Eisfach« ist der fünfte Band von Colin Cotterills Reihe um den einzigen und mithin ältesten Pathologen Laos’, den über siebzigjährigen Dr. Siri Paiboun. Siri war aktiv am Kampf gegen den Kolonialherren Frankreichs beteiligt und stand zu dieser Zeit der kommunistischen Partei nah – doch seit Ende 1975 die Laotische Revolutionäre Volkspartei in der kurz zuvor deklarierten Demokratischen Volksrepublik Laos die Macht übernommen hat, ist der Pathologe angesichts der gravierenden Diskrepanz zwischen kommunistischer Proklamation und ihrer Wirklichkeit sowie aufgrund der massiven Kontrolle durch die ideologischen Schwesternstaaten mehr als desillusioniert. Die Ideale des Sozialismus liegen Dr. Siri weiterhin am Herzen, doch die Umsetzung Mitte der siebziger Jahre (zu dieser Zeit spielen Cotterills Krimis) betrachtet er mit großer Skepsis und kommentiert sie zynisch.
Leben im intelligenten Widerstand
Colin Cotterill lebte längere Zeit selbst in Laos, er gab Englischkurse an Universitäten und engagierte sich als Sozial- arbeiter. Mit viel Sympathie für seinen querköpfigen Pathologen und dessen skurrile Helferschar zeichnet er deren warm- herzigen und gewitzten Guerillakampf gegen das System. Dabei entsteht auch stets ein Porträt des Landes, das nicht einfach Kulisse, sondern elementarer Bestandteil der Romane ist: Ein Land, das zwar den Kolonialismus abgestreift hat, aber nun von den kommunistischen Nachbarn gegängelt wird, ein Land zwischen Animismus und Rationalität, bitter verarmt (auch heute noch zählt Laos zu den ärmsten Ländern der Welt) und innerlich zerrissen von Attentaten durch royalistisch-kolonialistische Rebellen und ethnischen Konflikten.
Es ist klar, für wen Cotterills Herz schlägt: für die Underdogs – darin gleicht er seiner Hauptfigur. Für das Leben im intelligenten Widerstand gegen die Unterdrückung im Einparteienstaat. Es schwingt dabei immer ein wenig Enttäuschung mit, dass die ursprünglichen Ideale der antikolonialistischen Bewegung im rigiden Bürokratismus erstarrt sind, die sich in einem sehr schönen subversiven Witz Luft macht. Beziehungsweise normalerweise macht. Oder machte. Diesmal aber nicht.
Mit der besten Absicht …
Dieses Mal liegt es Cotterill besonders am Herzen, auf das Schicksal der Hmong und anderer laotischer Bergvölker hinzuweisen, wie er in einem knappen Vorwort schreibt. Während des Vietnamkriegs, in dem Laos neutral blieb (und trotzdem verheerend verwüstet wurde), rekrutierte die CIA Hmong, um sie im sogenannten geheimen Krieg gegen die Pathet Lao (die laotische Widerstandsbewegung mit kommunistischer Prägung, aus der später die Laotische Revolutionäre Volksarmee hervorging) und die Truppen der südvietnamesischen FNL einzusetzen. Als die Pathet Lao die Macht übernahmen, wurden die Hmong als politische Gefangene in Umerziehungslagern interniert, in denen viele starben. Tausende Hmonmg flohen deshalb ins benachbarte Thailand.
Leider gilt wie so oft: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. So ehrenhaft Cotterills Anliegen ist, so verkrampft ist es ausgeführt. Es gibt zwei unabhängig voneinander verlaufende Stränge: Während Dr. Siri auf einer Dienstreise von einer Gruppe Hmong entführt wird, löst seine muntere Helferschar in Vientiane einen hanebüchenen Mordfall, der überkonstruiert und hastig zusammengeschustert ist. Besonders das Ende dieses Stranges, in dem royalistische Rebellen im Mittelpunkt stehen, ist arg dürftig und krude zusammengezwungen.
Herzige Belanglosigkeit
Der Hauptstrang, der Dr. Siris Bemühungen um eine Dämonenaustreibung in einer abgelegenen Bergregion schildert, verbindet – wie so oft bei Cotterill – Rationales mit Irrationalem. Denn sogar für den Zyniker Siri steht fest, dass es eine Geisterwelt gibt, schließlich wohnt seit geraumer Zeit der Geist eines Schamanen in ihm. Doch trotz eines sehr reizenden Abstechers des Pathologen in die Unterwelt mit Disco-Besuch, um mit den Dämonen zu sprechen, bleibt auch dieser Strang blass, gewollt und zerfasert. Ein paar seltsame europäisch geprägte Einsprengsel (und ich meine nicht den überaus wichtigen Pogo-Stick, sondern zum Beispiel abstruse Pinocchio-Vergleiche) tun ein Übriges, um auch diese Handlung wie Flickwerk erscheinen zu lassen. Der sonst so subversive Witz bleibt in einer harmlosen Herzigkeit stecken, wodurch alles in Belanglosigkeit zerfällt.
Die Zerfaserung macht sich bereits am Titel fest: Im Original heißt der Roman »The Curse of the Pogo Stick« und hebt damit den Hmong-Strang hervor. In der deutschen Fassung wurde der Titel »Der Tote im Eisfach« gewählt, der auf die zweitrangige Krimihandlung verweist. Offensichtbar hat auch der Verlag nicht recht gewusst, wie er das Buch eintüten soll. Bleibt zu hoffen, dass der nächste Band wieder entschiedener und bissiger ist.
Colin Cotterill: Der Tote im Eisfach
(Curse of the Pogo Stick, 2009)
Aus dem Englischen von Thomas Mohr
Manhattan 2012
geb., 284 Seiten, 17,99 Euro
ISBN 978-3-442-54681-7
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Diese Rezension ist zuerst erschienen im CrimeMag