Archiv der Kategorie: Interview

Keine Insel der Seligen

Interview mit Zoë Beck und Thomas Wörtche zur neuseeländischen Krimilandschaft

Am 1. September 2012 wurde zum dritten Mal der Ngaio-Marsh-Award, der neuseeländische Preis für Kriminalromane, verliehen. In der Jury war unter anderem die deutsche Krimiautorin Zoë Beck. Kirsten Reimers sprach mit der zweisprachig aufgewachsenen Autorin und mit dem bekannten Krimikritiker Thomas Wörtche über neuseeländische Krimis.

Zoë Beck, wie ist es dazu gekommen, dass Sie Teil der diesjährigen Jury waren?

Zoë Beck: Ich habe aus heiterem Himmel eine E-Mail bekommen von Craig Sisterson, dem Vorsitzenden der Jury. Er hatte sich zuvor an die Frankfurter Buchmesse gewendet, und dort hatte man ihm mich empfohlen. Offenbar wurde jemand gesucht, der fließend Englisch spricht, sich mit Krimis auskennt und auch Kritiken schreibt.

Welche Titel standen dieses Jahr zur Debatte?

Beck: Sieben Titel waren in der Auswahl. Das war einmal Paddy Richardson, die mit »Traces of Red«, einer Geschichte um eine Journalistin, die die Unschuld eines verurteilten Mörders bewei- sen will, eher auf psychologische Spannung setzt. Dann Ben Sanders mit »By Any Means«, einem police procedural um Moral und Korruption, Jack Eden mit dem Buch »Furt Bent From Aldaheit«, das sich mit dem Justizsystem kritisch auseinandersetzt. Außerdem Vanda Symon mit einer toughen Ermittlerin in »Bound«, »Collecting Cooper« von Paul Cleave, wo mal wieder der schlimmste aller schlimmen Serienkiller zuschlägt, von Ian Wedde eine Art Gourmetkrimi mit dem Titel »The Catastrophe«, und schließlich »The Calling« von Neil Cross, einem John-Luther-Roman, dem Prequel zu den Verfilmungen mit Idris Elba. Nach langen, langen Diskussionen und ganz knapp hat am Ende Neil Cross gewonnen.

War das auch Ihr Favorit?

Beck: Ich hatte ihn zwar auf meiner »Shortlist«, aber ich hätte es lieber gesehen, dass jemand den Preis bekommt, der näher an Neuseeland dran ist. Das Buch spielt ja in London, der Autor ist ein Brite, der seit zehn Jahren in Neuseeland lebt. Ich hätte mir als Preisträger jemanden gewünscht, der mehr für Neuseeland steht und repräsentativer ist.

Welcher Roman hat Ihnen besser gefallen?

Beck: Ich persönlich mochte beispielsweise das Buch von Jack Eden. Der Autor wurde bisher leider nicht ins Deutsche übersetzt.

Was hat Ihnen daran gefallen?

Beck: »Furt Bent From Aldaheit« lehnt sich an einen authentischen Kriminalfall an, der in Neuseeland eine gewisse Relevanz hatte. Es werden die Zustände in neuseeländischen und auch in australischen Gefängnissen beschrieben. Das fand ich wirklich sehr spannend. Da hatte ich das Gefühl: Jetzt nehme ich etwas von dem Land mit. Das Buch war auch deutlich anders aufgebaut als viele andere Krimis und setzte sich sprachlich ab. Keine üblichen klischeehaften Redewendungen, sehr eigener Stil, distanzierte Erzählerstimme. Ich fand das innovativer im Vergleich zu den anderen Büchern, die mir teilweise erstaunlich austauschbar vorkamen. Es gab da keine Neuseeland-Themen. Krimis sollen jetzt auch nicht unbedingt »regiotümeln«, aber Neuseeland ist ja ein Land, über das es etwas zu erzählen gibt, das sehr eigene Probleme hat. Doch dann in den Romanen immer wieder von Serienkillern, Beziehungsproblemen oder Familienproblemen ohne eine deutliche Verankerung in Neuseeland zu lesen – da habe ich doch ein bisschen was vermisst.

Gibt es denn Kriminalromane, die auf neuseeländische Verhältnisse eingehen, Thomas Wörtche?

Thomas Wörtche: Vermutlich gibt es solche, nur kennen wir die nicht. Oder sie erscheinen nicht bei uns oder wir finden sie nicht oder sie sind oder waren nicht sehr beeindruckend. Oder die Neuseeländer schreiben tatsächlich nur sehr wenige. Es gibt einen Klassiker der neuseeländischen Kriminalliteratur, Alan Duff, der in der Tat nur einen »Kriminalroman« – Kriminalroman in diesem Fall in Anführungszeichen – geschrieben hat, nämlich »Once were warriors«, »Warriors« in der deutschen Übersetzung. Der ist relativ viel verkauft, auch verfilmt worden. Bei uns lief der Film als »Die letzte Kriegerin«. Da geht es in der Tat um ein sehr neuseeländisches Thema, nämlich um die Probleme der Maori, um Clan-Strukturen und Gewalt. Was ich sonst kenne an neuseeländischer Kriminalliteratur, zumindest an aktueller Literatur, da muss ich sagen, habe ich das Gefühl, dass man ganz erstaunt ist, dass die Autoren Neuseeländer sind, wenn man sie liest, weil man sie gar nicht mit Neuseeland verrechnet. Also, Paul Cleave zum Beispiel ist sicher der am erfolgreichsten verkaufte neuseeländische Krimiautor, aber dessen Bücher können überall spielen, das ist nicht sehr neuseeländisch. Da geht’s um serial killer, das ist handwerklich routiniertes Mittelmaß an Serialkiller-Literatur. Spielt halt in Christchurch, könnte aber auch in Paderborn spielen oder in Southampton, egal wo, das ist eigentlich unerheblich. Für Serial-killer-Fans hat’s sicher ein paar besonders nette Moddrigkeiten als Überraschungseffekt, aber das ist es dann auch schon.

Gibt es denn neuseeländische Kriminalromane, die Sie beeindruckt haben?

Wörtche: Ich habe mir, als ich noch metro, die global-crime-Reihe in Kooperation mit dem Unionsverlag gemachte habe, die Veröffentlichungen der letzten Jahre in Neuseeland angeguckt, da habe ich wenig Beeindruckendes gefunden. Ein Buch aber – das ist von 2007, es ist jetzt hier in dem kleinen Weidle Verlag auf Deutsch erschienen, »Rocking Horse Road« Carl Nixon – das finde ich wirklich grandios. Das ist deswegen grandios, weil es mir wirklich was von Neuseeland erzählt.

Worum geht es in dem Buch?

Wörtche: Es spielt in den achtziger Jahren. Die Achtziger sind dort beschrieben als beherrscht von einer Art Friedhofsruhe, wie bei uns die fünfziger Jahre. Ich habe mich unglaublich an meine eigene Kindheit in den fünfziger und frühen sechziger Jahren erinnert gefühlt. Neuseeland ist ein bisschen abgehängt vom Internationalen, hat aber unendlich viele Probleme. Mit dem Zweiten Weltkrieg, in dem man gegen die Nazis gekämpft hat, ist man noch nicht so ganz fertig. Man lebt ein spießiges Leben, alles ist geregelt und so weiter, und plötzlich bricht Gewalt ein. Das ist symbolisiert durch einen Mord an einem Mädchen, das jeder kannte in der kleinen Gemeinde, in der der Roman spielt. Und dann passiert noch was anderes, nämlich ein südafrikanisches Rugby-Team – und man muss wissen, Rugby ist der Nationalsport von Neuseeland – kommt nach Neuseeland, und daran polarisiert sich die Gesellschaft. Wir sprechen von 1981, da herrschte das Apartheitsregime in Südafrika. Plötzlich knüppeln erzürnte Familienväter, die denken, man wolle ihnen Rugby schlechtreden, auf Hippies und auf Outsider ein, Gewalt ist plötzlich mitten in der Gesellschaft. Das ist ein sehr, sehr beeindruckender Roman, und gleichzeitig hat das Ganze auch einen ästhetischen Mehrwert sozusagen, was bei den Bücher, die wir eben erwähnt haben, nun wahrlich nicht der Fall ist. Der Roman hat nämlich eine ganz ausgefuchste Erzählperspektive: Das ist ein kollektives Erzählen, eine Gruppe junger Männer schildert, was geschieht, und es ist wirklich ganz schwierig rauszufiltern, wer hier wer ist, wer was sagt, wer tatsächlich erzählt, wer möglicherweise die Wirklichkeit ein bisschen verdreht, was auch immer. Es ist kein richtiges Rashomon-Prinzip, aber es ist wirklich ästhetisch spannend. Und durch die Schilderung, auch wenn das nicht historisch ist, sagt das Buch sehr viel über Neuseeland. Das fand ich sehr beeindruckend.

Können Sie sich vorstellen, warum es derzeit kaum einen spezifisch neuseeländisch Krimi gibt?

Wörtche: Ich glaube, Neuseeland hat ein bisschen Pech gehabt in seiner kriminalliterarischen Geschichte. Es hat einfach keinen Arthur Upfield gehabt. Arthur Upfield hat zum Beispiel den Nebenkontinent, also Australien, schon früh sozusagen auf die kriminalliterarische Weltkarte geschrieben, schon ab den dreißiger Jahren. Dabei war Arthur Upfield Brite, und komischerweise haben die Neuseeländer zwar eine sehr berühmte Autorin, Ngaio Marsh, die Preisnamensgeberin des Preises, die ja zu den drei Ladys des »goldenen ages« des britischen Krimis gehört, also neben Agatha Christie und Dorothy Sayers ist sie die Dritte. Aber kein Mensch wusste, dass sie Neuseeländerin ist. Neuseeland spielte in ihren Krimis keine Rolle. Insofern gibt es eine Art von Traditionslücke. Und wir wissen, wie wichtig Traditionen sind: Egal, wie konkret die Rezeption tatsächlich ist, aber Traditionen schaffen Milieus, schaffen Humus, schaffen Unterboden und so weiter und so fort. Das gab es in Neuseeland wohl nicht so.

Gibt es weitere mögliche Gründe?

Wörtche: Neuseeland ist ein sehr kleines Land. Wir erwarten auch zu viel. Die sind in ganz anderen Sachen groß, die haben andere großartige Literatur und Filme und so. Das ist immer ein bisschen wie mit dem Eishockey: Man kann auch Borneo nicht vorwerfen, dass deren Eishockey nicht besonders toll ist. Vielleicht ist in Neuseeland die Erzählform noch nicht da. Neuseeland ist vielleicht ein Land, das seine Themen nicht kriminalliterarisch abarbeitet, sondern dafür andere Ausdrucksformen gefunden hat. Aber ich bin auch ein bisschen vorsichtig, weil ich die Filter nicht durchblicke: Was kommt zu uns? Was gibt es wirklich? Was zeigt jetzt auch die Auswahl von neuseeländischen Autoren, die zur Buchmesse geschickt wird? Denn da sind viele andere Interessen im Spiel: Medienmacht zum Beispiel. Man möchte erfolgreiche Autoren präsentieren. Insofern könnte ich mir denken, dass es vielleicht eine Off-Off-Szene gibt, die man hier einfach nicht kennt.

Beck: Es ist schon sehr deutlich, dass sich die Krimis, die für den Ngaio-Marsh-Award nominiert waren, an den Romanen orientieren, die international Erfolg haben. Also, im englischsprachigen Raum. Und natürlich ist der englischsprachige Raum für die Neuseeländer der interessanteste, weil das der größte Markt ist und dafür nicht mal übersetzt werden muss. Man versucht da wohl auch den Fuß in die Tür zu bekommen, damit die Bücher nicht nur neuseelandweit verlegt werden – was ja vergleichsweise kleine Auflagen bedeutet –, sondern auch in Großbritannien, in den USA, Kanada und so weiter in den Regalen stehen. Da schaut man wohl als Verleger und als Autor: Was wollen die haben, was können wir bedienen? Und deshalb gibt es vermutlich im Moment einiges an sehr brutalen Serienkillern in Neuseeland. Wobei – geht man von der Literatur aus, müsste Neuseeland ziemlich entvölkert sein mittlerweile, bei so vielen Serienkillern, die da unterwegs sind.

Wörtche: Ich denke, was Zoë Beck gerade sagte, ist richtig. Aber wenn man zum Beispiel andere Länder oder andere Kontinente anguckt: Die schaffen das ja durchaus, mit ihrer Spezifik Weltliteratur zu machen, also die Welt für sich zu interessieren. Der Krimiautor Deon Meyer schafft Aufmerksamkeit für Südafrika durch Südafrika-spezifische Themen. Aber es mag auch so sein, dass eine vergleichbare intellektuelle Wucht oder Größe im Moment in Neuseeland einfach fehlt.

Oder gibt es einfach keine Probleme in Neuseeland, die sich in Kriminalromanen aufarbeiten ließen?

Wörtche: Ich denke nicht, dass die Neuseeländer keine Probleme haben und nur glücklich sind. Die Deutsche Bank zum Beispiel investiert wie verrückt in »Landgrabbing« in Neuseeland gerade. Die Chinesen auch. Das heißt, es wird dort Ackerland im großen Stil aufgekauft. Da müssten schon Entwicklungen sein, die relevant für Kriminalromane oder Politthriller wären. Und auch die Bandenkriminalität oder besser die Verwechslung von Bandenkriminalität mit alten Maori-Strukturen – ich könnte mir vorstellen, dass das in der Gesellschaft eine Rolle spielt. Na ja, und die üblichen global crimes hat man in Neuseeland auch, obwohl: im geringeren Maßstab. Ich hab mal ein bisschen in der Polizeistatistik rumgeschnüffelt und bin auf richtig putzige Zahlen gestoßen: In Wellington betrug die entdeckte Gesamtsumme der Geldwäsche nach einem Jahr eine Million US-Dollar. Das ist natürlich so was von nichts. Das ist eher provinziell, so dass ich denke: Schwarzgeld ist nicht das Problem in Neuseeland. Aber ich könnte mir wirklich vorstellen, dass an Umweltkriminalität und Ähnlichem einiges läuft. Was ich nicht glaube ist, dass Neuseeland die Insel der Seligen ist, und die Leute nur herumsitzen und darauf warten, dass kleine Hobbits vorbeikommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Neil Cross: The Calling
in Englisch
Simon + Schuster UK 2012
Tb., 362 Seiten, 8,55 Euro
ISBN 0857203398

Alan Duff: Warriors
Originaltitel: Once Were Warriors
Übersetzt von Gabriele Pauer
Unionsverlag 2008
Tb., 336 Seiten, 9,90 Euro
ISBN 3293204287

Carl Nixon: Rocking Horse Road
Übersetzt von Stefan Weidle
Weidle Verlag 2012
gebunden, 236 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 3938803509

Dieses Interview ist zuerst erschienen im Buchmessen-Special der ARD


Engstirnige Abgründe hinter der toleranten Fassade

Ein Gespräch mit Rosa Ribas über ihren neuen Frankfurt-Krimi

Aufregung in der Frankfurter Werbeagentur Baumgart & Holder: Während alle Mitarbeiter fieberhaft am Entwurf einer Imagekampagne für die Stadt Frankfurt arbeiten, hat es jemand auf die Agentur abgesehen. Zunächst sind es nur anonyme Droh- briefe, dann werden die Autos mehrerer Werber beschädigt, und eine Konfettibombe explodiert in den Agenturräumen. Was wie ein geschmackloser Scherz beginnt, nimmt eine dramatische Wende: Einer der führenden Köpfe der Agentur wird ermordet.

Ist jemand von der Konkurrenz der Täter? Schließlich geht es bei der Imagekampagne um sehr viel Geld. Oder stecken rechtsradikale Gruppierungen dahinter, denen das liberal-tolerante Bild, das Baumgart & Holder von Frankfurt entwirft, ein Dorn im Auge ist? Hauptkommissarin Cornelia Weber-Tejedor ermittelt.

Nach dem Erfolg ihres Debüts »Kalter Main« legt Rosa Ribas nun ihren zweiten Krimi um die Frankfurter Kommissarin mit spanisch-deutschen Wurzeln vor. Wie der Erstling erscheint es beim Suhrkamp Verlag. Rosa Ribas, 1963 in Barcelona geboren, lebt seit 15 Jahren in Frankfurt. Sie war 10 Jahre lang Lektorin für Spanisch an der Uni Frankfurt, hatte danach eine Professur für Hispanistik in Heilbronn inne und hat sich vor zwei Jahren selbstständig gemacht, um sich mehr dem zu widmen, was sie schon seit Jahren möchte: Romane schreiben. Und das gelingt ihr sehr erfolgreich.

Schauplatz der Verbrechen ist Frankfurt, ermittelt wird – mit hohem Wiedererkennungswert – in der Innenstadt und in verschiedenen Stadtteilen. Und wer aufmerksam liest, kann auch entdecken, in welcher Straße im östlichen Nordend die Kommissarin lebt. Aber es geht Rosa Ribas nicht darum, kuschelige Regionalkrimis zu schreiben. Sie schaut genauer hin und entdeckt hinter der weltoffenen Fassade Frankfurts manch dunkle Engstirnigkeit.

In »Tödliche Kampagne« sagt eine Ihrer Figuren, Frankfurt liege weiter weg vom Meer als andere deutsche Städte. Spricht der Mann da für Sie?

Ja, das ist mein Gefühl. Es ist eine der Sachen, die mir hier in Frankfurt am meisten fehlen: das Meer, dieses Gefühl von Meer, von richtig viel Wasser, diese Weite. Deswegen ist Frankfurt für mich so ausgeprägt meerlos.

Sie kommen aus Barcelona?

Aus der Umgebung von Barcelona. Aus einer kleinen Industriestadt, acht Kilometer von Barcelona entfernt. Eher hässlich, aber direkt am Meer Gut, es gibt hier den Main. Ein Fluss ist schön. Für spanische Augen sind deutsche Flüsse richtig groß … aber das ist kein Ersatz für ein Meer. Ich mag Frankfurt sehr gerne, aber das ist ein kleines Manko.

In Ihrem Buch werfen Sie einen freundlich distanzierten Blick auf Frankfurt, sprechen von seiner Provinzialität – trotz aller Versuche, weltläufig zu erscheinen -, von der Enge.

Etwas zu mögen bedeutet ja nicht, blind zu sein für die Macken. Ich mag die Stadt, aber weil ich schon mehr als 15 Jahre hier lebe, bin ich nicht mehr in diesem Zustand der Verliebtheit. Man wird ein bisschen aufgeklärter mit der Zeit. Man weiß, nicht alles ist so schön, wie die Frankfurter es manchmal gerne hätten. Darum geht es auch in »Tödliche Kampagne«. Ein wichtiges Thema darin ist dieses Bild der liberalen Stadt, die sich als so tolerant und offen sieht und zeigt. Aber dieses Bild ist eher ein oberflächliches Bild.

Mit der Zeit, wenn man mehr kleine alltägliche Situationen erlebt, entdeckt man, dass viele Leute, die sich als sehr liberal oder tolerant verstehen, ständig Vorurteile äußern. Manchmal ist die Offenheit nur eine dünne Schicht, wie Lack, das geht nicht richtig in die Tiefe. Das war eines der Dinge, die ich in diesem Buch zeigen wollte.

Ihre Hauptkommissarin Cornelia Weber-Tejedor steht als Tochter einer Spanierin und eines Deutschen ein wenig zwischen den Kulturen. Hat sie viel von Ihnen?

Manchmal mehr als ich selbst dachte. Eigentlich wollte ich keine Figur erschaffen, die autobiografisch ist. Aber dann entdeckte ich, dass sie immer mehr Züge oder Einstellungen übernimmt. Ich denke, ein Grundmerkmal von Cornelia ist die Suche nach Identität. Das habe ich aus einer anderen Perspektive erlebt: als Ausländerin in Deutschland.

Aber andererseits komme ich aus Barcelona, das heißt, ich bin Katalanin, meine Familie spricht katalanisch. Aber ich bin spanisch erzogen worden, in der Schule haben wir kein Katalanisch gelernt. Das bedeutet, ich habe mich ständig zwischen zwei Sprachen, zwischen zwei Kulturen bewegt. Das war für mich als Kind kein Thema. Erst als ich hierher nach Deutschland gekommen bin, wurde ich mit dieser Frage konfrontiert: »Was bist du eigentlich?«

Inwiefern?

Für die Deutschen bin ich Spanierin, und als Spanierin erwartet man Bestimmtes von mir, weil jeder bestimmte Stereotypen im Kopf hat. Ich bin zum Beispiel sehr pünktlich und höre immer den Kommentar: »Ach, für eine Spanierin bist du aber sehr pünktlich.« Dann denke ich immer: Moment mal: Das ist meine Persönlichkeit. Es liegt nicht daran, dass ich Spanierin bin.

Ich bin hier aber auch mit vielen Spaniern und Lateinamerikanern in Kontakt gekommen, die nicht aus Katalonien stammen. Von ihnen werde ich immer zuerst als Katalanin wahrgenommen. Sie projizieren auf mich die Erwartungen, wie eine Katalanin sein soll: ein bisschen ernsthaft, arrogant, geizig, und ich höre ständig den Kommentar: »Ich, für eine Katalanin bist du sehr sympathisch.«

Das bedeutet, ich muss immer gegen ein Bild ankämpfen. Oft sind das nur Kleinigkeiten, aber das ist mein Alltag. Deswegen spiegelt sich das auch in den Büchern, in den Kommentaren der Kollegen von Cornelia, die mitunter sagen: »Ach, da bist du jetzt aber sehr spanisch.«

Sie schreiben Ihre Bücher auf Spanisch, Ihr erster Krimi ist mit dem spanischen Krimipreis 2007 ausgezeichnet worden. Das heißt, es gibt eine Menge Menschen in Spanien, die lesen Krimis, die in Deutschland spielen?

Deutschland ist nicht so populär wie andere Länder. In Spanien lesen die Leute viele, viele Krimis, die in den USA spielen. Aber bei meinen Büchern ist für die spanischen Leser diese halbspanische Kommissarin das Interessanteste. Diese Tochter von Einwanderern. Das ist ein Teil der jetzigen spanischen Geschichte. Das ist sozusagen der Punkt, mit dem man die Aufmerksamkeit der Leser gewinnen kann.

Warum schreiben Sie auf Spanisch?

Als ich angefangen habe zu schreiben, hatte ich zuerst die Wahl zwischen zwei Sprachen, zwischen Spanisch und Katalanisch. Ich habe beides probiert. Und ich hab festgestellt, mein Werkzeug ist die spanische Sprache, vielleicht durch die Schulzeit und mein Studium der Hispanistik. Da habe ich viel mehr Möglichkeiten, mich auszudrücken. Ich fühlt mich darin viel, viel wohler.

Aber Sie übersetzen Ihre Bücher nicht selbst?

Nein. Wenn ich Spanisch schreibe, verspüre ich eine Leichtigkeit dabei. Auf Deutsch habe ich nicht diese Genauigkeit des Ausdrucks. Man muss in der Sprache schreiben, in der man richtig stark ist. Ich lese die Übersetzung meiner Bücher, und dann bespreche ich das mit der Übersetzerin. Ich kann dann sagen: »Das hätte ich lieber so oder so«, aber sie kann’s hundert Mal besser formulieren als ich. Weil sie in dieser Sprache extrem versiert ist.

Sie arbeiten also eng mit der Übersetzerin zusammen?

Ja, und das ist eine luxuriöse Situation. Denn die Übersetzerin wohnt in Offenbach, also ganz nah. Wenn sie irgendwelche Fragen hat, ruft sie mich sofort an. Besser kann man sich das nicht wünschen. Und wir haben uns sehr schön angefreundet.

Sie schreiben auch Romane, die keine Krimis sind. Warum aber immer wieder Krimis?

Die Geschichte, die ich im Kopf hatte, war perfekt für dieses Genre. Und ich mag Krimis. Wenn ich einen Krimi schreibe, schreibe ich auch über die Stadt, in der ich lebe, über Sachen, die ich hier mag oder nicht mag, wie ich die Menschen hier erlebe. Mir geht es in erster Linie um die Kriminalgeschichte, aber die Kriminalgeschichte transportiert auch andere Dinge, die mir wichtig sind, wie Fragen der Identität, Toleranz oder Intoleranz, das Zusammenleben von Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen, Freundschaft. Das alles kommt in dem Buch vor. Und die Form des Krimis erlaubt es mir, alles zu thematisieren, ohne dass es aufgesetzt wirkt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Rosa Ribas: Tödliche Kampagne
Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt
Suhrkamp Verlag 2010
Tb., 450 Seiten, 9,95 Euro
ISBN 978-3-518-46184-6

Dieses Interview ist auch im Buchmessen-Special von HR-online erschienen (einfach hier draufklicken).


Zwischen Ganghofer und Sergio Leone

Außerdem gibt es auf den Internetseiten des Hessischen Rundfunks – ebenfalls im Buchmessen-Special – ein Interview mit Thomas Willmann über dessen Roman »Das finstere Tal«, und zwar hier (einfach draufklicken).

 

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Thomas Willmann: Das finstere Tal
Roman
Liebeskind 2010
geb., 315 Seiten, 19,80 Euro
ISBN: 978-3-935890-71-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch-Download (hier klicken)