Archiv der Kategorie: Film/DVD/Serie

Das Lied des Blutes

Übersteigerte Grausamkeiten, stimmiges Konzept

1995, als die Kombination von Serienmörder und Profiler noch nicht ganz so ausgelaugt und plattgewalzt war wie heute, erschien Val McDermids Roman »The Mermaids Singing« (dt. »Das Lied der Sirenen«, 1997). Darin hat der klinische Psychologie Tony Hill, spezialisiert auf die Arbeit mit Sozio- beziehungsweise Psychopathen, seinen ersten Auftritt. McDermid erhielt für ihren Roman den Gold Dagger der britischen Crime Writers’ Association. Es war der Auftakt zu einer bis heute in lockeren Abständen erscheinenden Romanserie. Im Mittelpunkt steht dabei stets der Psychologe Hill, der die Polizei der fiktiven mittelgroßen Stadt Bradfield beim Aufspüren von Serienmördern unterstützt.

Sieben Jahre später startete auf Grundlage von McDermids Romanen die TV-Serie »Wire in the Blood« (dt. »Hautnah. Die Methode Hill«). In der allerersten Folge hat übrigens mit Val McDermid einen Miniauftritt als Journalistin, obskurerweise in der deutschen Fassung von einem Mann synchronisiert. Nur den ersten beiden Folgen liegen McDermids Romane zugrunde, danach löst sich die TV-Serie weitgehend von ihrer literarischen Vorlage. Lediglich die zweite Folge der vierten Staffel (»Torment«; dt. »Tödliche Worte«) orientiert sich lose an McDermids Roman »The Torment of Others« (dt. »Tödliche Worte«). 2008 wurde die TV-Serie eingestellt.

Worin liegt der Sinn?

Zentral in Büchern wie Verfilmung ist das Vorgehen des klinischen Psychologen: Es geht Dr. Tony Hill weniger darum herauszufinden, wie der Serienmörder zum Serienmorden gekommen ist. Das Wühlen in der Kindheit und entsprechende küchenpsychologische Verkürzungen bleiben so zum Glück weitgehend außen vor. Weit wichtiger ist immer die Frage, wie der Täter tickt. Hill versucht sich intensivst in den Täter hineinzudenken, um zu erkennen, was der Mörder mit seinen Taten erreichen will: Was geben ihm Mord und/oder Folter? Worin liegt der Sinn der Tat? Hill nähert sich dem mit einer interessierten Aufgeschlossenheit, ohne Entsetzen oder Mitgefühl, weit stärker ist die Faszination für die Taten. Natürlich wird dabei immer noch stark vereinfacht. Aber etwas Bemerkenswertes geschieht: Der Täter bleibt auf diese Weise Mensch. Er – in sehr seltenen Fällen ist es eine Täterin – wird weder zum reflexhaft zurückschlagenden Opfer noch zum wahnsinnigen Monster. Hinter den Taten steht eine eigene Logik, ein Bedürfnis, keine tierhafte Bestie. Na ja, zumindest ist dies bei der TV-Serie anfangs der Fall. Im Laufe der sechs Staffeln lässt das deutlich nach.

wire specials
Photographs by Alan Peebles.

Der persönliche Hintergrund der Ermittler wird nur so weit dargestellt, wie es zur knappen, aber eindeutigen Charakterisierung der Figuren notwendig ist. Auch von den Hauptfiguren erfährt man kaum mehr. Tony Hill (gespielt von Robson Green) ist ein sozial inkompetenter Workaholic ohne engere Kontakte oder gar Freundschaften, der sich nur knapp alltagstauglich organisieren kann. Lediglich zu der von Hermione Norris sehr schön spröde gespielten DCI Carol Jordan sowie zu ihrer etwas gefühligeren Nachfolgerin DI Alex Fielding (Simone Lahbib, ab der vierten Staffel) baut er ein geringfügig intensiveres Verhältnis auf, das aber auch überwiegend beruflich geprägt ist. Überhaupt scheinen Freizeit, Privatleben oder gar soziale Wärme Fremdworte in dieser Serie zu sein. Alles ist auf den jeweiligen Fall fokussiert, was nicht zwingend notwendig ist, bleibt außen vor. Zumindest bis zur vierten Staffel ist die Serie auf diese Weise überzeugend geradlinig kalt und distanziert. Danach verwässert das etwas. Was allerdings durchgehend bleibt, ist die außerordentliche Grausamkeit der Taten.

Übersteigerte Gewalt, stimmiges Konzept

Insgesamt ist die Handlung einer jeden Folge ungefähr so realistisch wie das Jüngste Gericht. Eine derartige Serienmörderdichte ist selbst für eine fiktive Stadt wie Bradfield alles andere als tragbar. Dennoch ist die TV-Serie über weite Strecken gut gemacht: Die Folgen – jeweils in Spielfilmlänge – sind weitgehend ordentlich geplottet, kaltes Licht und verwaschene Farben lassen zu keiner Zeit einen Anflug von Kuscheligkeit aufkommen, geschönt und geschmeichelt wird hier wenig. Die Bildsprache ist mitunter sehr reduziert und auf den Punkt. So herrschen Kühle und Distanz vor. Das passt hübsch zusammen, und das Konzept ist in sich stimmig. Sogar das Ende der TV-Serie, die letzte Szene der letzten Folge, ist schön durchdacht darauf abgestimmt.

wire specials
Photographs by Alan Peebles.

Seit Oktober 2011 liegen alle sechs Staffeln erstmals inklusive eines Serien Specials (»Prayer of the Bone«, dt. »Mörderisches Trauma«) auf DVD als Gesamtausgabe vor. Als Sprachen stehen Englisch wie Deutsch zur Verfügung, Untertitel gibt es leider nicht. Auch weitere Informationen zu Schauspielern, Synchronsprechern oder was auch immer sucht man vergeblich. Dies fügt sich zwar durchaus in das Konzept der kühlen, distanzierten Fokussierung auf schockierende Serienmorde ein, ist aber vermutlich eher das Resultat einer etwas lieblosen Produktion auf deutscher Seite.

Kirsten Reimers

 

 

 

Hautnah. Die Methode Hill – Die komplette Serie
(Wire in the Blood, 2002-2008)
Box mit 24 DVDs, Edel:Motion
Sprachen: Deutsch/Englisch
FSK: 18, 101,99 Euro

Offizielle deutschsprachige Seite von Val McDermid
Englische Homepage von Val McDermid

Diese Besprechung ist zuerst erschienen im CrimeMag.


Mit Schirm, Charme und Skurrilität

Teilweise gesamt

Vor 50 Jahren, am 7. Januar 1961, lief im britischen Fernsehen die allererste Folge von »The Avengers« (Die Rächer) – »Hot Snow« hieß sie. Im Mittelpunkt stand der Arzt Dr. Keel (gespielt von Ian Hendry), dessen Verlobte ermordet wurde. Keel schwor Rache – daraus erklärt sich der etwas blasse Originaltitel, der für die gesamte Serie beibehalten wurde – und traf im Zuge seiner Ermittlungen auf den Agenten John Steed (Patrick Macnee), mit dessen Hilfe er das Verbrechen aufklärte. »Hot Snow« lief nie im deutschen Fernsehen wie auch die meisten weiteren Folgen dieser ersten Staffel. Heute sind die meisten von ihnen verschollen.

Auf arte wurde im vergangenen Dezember die wenigen erhaltenen Folgen gezeigt, derzeit läuft die zweite und bald die dritte Staffel in deutscher Erstausstrahlung.

Dr. Keel wurde schon bald durch eine Frau ersetzt. Zunächst war es die Jazz-Sängerin Venus Smith (Julie Stevens), wenig später dann folgte Cathy Gale, eigentlich Dr. Catherine Gale, eine abenteuerlustige und sehr coole Anthropologin, gespielt von Honor Blackman. Sie war die erste starke Frau der Serie und prägte das selbstbewusste Auftreten ihrer Nachfolgerinnen – na ja, wenn man von Tara King (Linda Thorson) einmal absieht.

»Mrs. Peel, we’re needed!«

Das verbindende Element aller Staffeln ist der stilvolle Gentleman John Steed, stets gespielt von Patrick Macnee. Und die bekannteste Frau an seiner Seite war natürlich die nicht minder elegante und schlagfertige Mrs. Emma Peel, verkörpert von Diana Rigg. Nicht ganz so bekannt ist, dass Rigg erst die zweite Mrs. Peel war. Zunächst hatte Elizabeth Sheperd die Rolle bekommen, es wurden auch einige wenige Folgen mit ihr gedreht – und dann ersetzte man sie aus welchen Gründen auch immer durch Diana Rigg. Die Szenen mit Sheperd wurden mit Rigg nachgedreht und zum Teil einfach in die alten Aufnahmen hineingeschnitten.

Mitunter ist das sogar zu erkennen – in welchen Folgen und warum, erfährt man in der Gesamtedition von »Mit Schirm, Charme und Melone«. Für sie wurden die 2009 und 2010 erschienen vier Editionen zusammengefasst und durch eine Bonus-DVD ergänzt. Wobei »Gesamtedition« relativ zu verstehen ist: Sie beginnt mit Staffel vier aus dem Jahr 1965, dem ersten Auftreten von Mrs. Peel also. Bleibt zu hoffen, dass zumindest Staffel zwei und drei bald ebenfalls erhältlich sind.

Dafür sind aber in der »Gesamtedition« sämtliche Folgen von »The Avengers« und »The New Avengers« (aus den siebziger Jahren) komplett, ungekürzt und zum Teil remastert vorhanden – Bild- und Tonqualität sind wirklich beeindruckend. Für die Neuausgabe wurde die Schwarzweiß-Staffel mit Emma Peel nochmals überarbeitet, sodass Ton und Bild im Vergleich zur Edition 1 von 2009 deutlich besser sind.

Anleitung zur Nerdiness

Zusätzlich zu den 109 Folgen auf 36 DVDs gibt es nicht nur eine Bonus-DVD mit bislang unveröffentlichtem Filmmaterial, sondern über alle DVDs quer verstreut rund 14 Stunden Extras: Interviews, Originaltrailer, Originalwerbeunterbrechungen, die je nach Ausstrahlungsländern unterschiedlichen Vor- und Abspänne, Fotogalerien, Skriptbücher und Zeitungsartikel als Pdfs und und und. Nicht alles überzeugend, nicht alles wirklich relevant, aber viel, richtig viel. Das beigelegte Booklet mit kurzen Informationen zu den einzelnen Agenten (! nicht Schauspieler) und knappen Inhaltsangaben zu den einzelnen Folgen haben übrigens sehr liebevoll Michael Köhler und Winfried Secker zusammengestellt, die seit Jahren den legendären »Emma-Peel-Abend« im Kino Malsehn in Frankfurt bestreiten.

Die Staffeln mit Diana Rigg als Emma Peel werden von Oliver Kalkofe und dem Schauspieler Wolfgang Bahro – wohl am bekanntesten durch seine Rolle als Jo Gerner in »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« – eingeleitet und kommentiert. Beide bezeichnen sich als beinharte Fans – und beeindrucken tatsächlich durch eine enorme Menge an Wissen, besonders Kalkofe, der auch zu späteren Folgen Hintergrundinformationen beisteuert. Im ersten Moment wirken die Kommentare zwar etwas belanglos und mitunter unbeholfen dahingeplaudert – aber schon bald ist klar: Die beiden sind wahrhafte Nerds, die nicht nur ihre Leidenschaft für persönlichen Lieblingsfolgen begründet darlegen können, sondern viele Informationen zu Schauspielern und Gastdarstellern zusammentragen, eine Menge über die Hintergründe über die Produktion in den sechziger Jahren wissen und wirklich kenntnisreich auf Besonderheiten der einzelnen Folgen hinweisen können. Die Entwicklung, die diese wunderbar skurrile und für ihre Zeit innovative Serie genommen hat, wird dadurch umso sichtbarer.

Und wenn man keine Lust auf das Gequatsche hat, kann man die Kommentare auch einfach komplett weglassen und ganz einfach diese großartig überdrehte, skurril-futuristisch und äußerst kultivierte Serie genießen.

Kirsten Reimers

Mit Schirm, Charme und Melone. Gesamtedition
(The Avengers 1965-68 & The New Avengers, 1976-77)
Kinowelt: 18.11.2010
Box mit 37 DVDs, Lauflänge ca. 5.440 Minuten

Diese Rezension ist zuerst erschienen im CrimeMag


Keine Angst, der will nur töten

Der freundliche Psychopath von nebenan?

Ich habe eine Schwäche für (fiktive) Serienmörder. Dieses Abgründige, vollkommen Böse, morden aus einem tieferen Bedürfnis. Mord als hohe Kunst. Völlig irreal und jenseits jeder Glaubwürdigkeit. Aber faszinierend. Ich mag auch TV-Serien, mag das Konzept, dass sich Handlungsstränge über die ganze Staffel ziehen, manches aber auch innerhalb einer Folge geklärt und abgeschlossen wird. Im Grund eine gute Voraussetzung, um die Serie „Dexter“ mit dem gleichnamigen freundlichen Serienmörder zu mögen. Tagsüber arbeitet Dexter als Spezialist für Blut bei der Polizei von Miami, nachts ist er als Serienmörder unterwegs. Als Konzept, als Idee – hat doch was, dachte ich mir. Dachte ich.

Dexter ist in der Tat ein netter Kerl. Seine Unfähigkeit, Beziehungen aufzubauen, Gefühle zu empfinden, kann er wunderbar unter einer glatten und harmlosen Maske verbergen. Und selbst als Serienmörder ist er ein guter: Denn er mordet nur Seinesgleichen. Ein Serienmörder, der Serienmörder serienmordet. Und zwar diejenigen, die durch die Maschen des Rechtssystems rutschen. Diejenigen, die die Polizei nicht erwischt, und auch diejenigen, die die Justiz nicht festnageln kann. Und auch diejenigen, denen Dexter ansieht, dass sie Serienmörder sind.

Glücklich, wer seiner Berufung folgen kann

Na, das ist doch freundlich. Da übernimmt ein Serienmörder Verantwortung. Säubert die Straßen, verdingt sich als Ausputzer. Und er folgt einem ganz bestimmten Ehrenkodex, den hat ihm nämlich sein Daddy eingeimpft: „Das Töten muss einem höheren Zweck dienen, sonst ist es nur Morden.“ Daddy hat damals den dunklen Drang seines Sohnes – Adoptivsohnes wohlgemerkt – erkannt und kanalisiert. Er hat ihm beigebracht, die Bösen zu erkennen, sie ausfindig zu machen und sie umzubringen. Was für ein fürsorglicher Daddy. Daddy war nämlich Polizist und muss es ja wissen: „Es gibt Menschen, die haben es nicht verdient zu leben.“

Es wird auch noch erklärt, warum Dexter diesen Wunsch hat, andere umzubringen: Als Kind hat er etwas ganz, ganz Schreckliches erlebt, darum ist er so geworden, wie er ist. Aber zum Glück hat ihm Daddy ja die richtige Richtung gezeigt, seine fatale Leidenschaft in die richtigen Bahnen gelenkt. Ihn hübsch abgerichtet. Und so ist der liebe Dexter im Namen des Vaters unterwegs. Halleluja. Morden im Dienst der Gesellschaft. Einer muss es ja machen, warum es also nicht jemandem überlassen, der auch noch Spaß daran hat. Denn dieses scheißliberale Justizsystem geht ja ganz offensichtlich viel zu lasch um mit den Bösen. Da braucht es den Ausputzer. Serienmord für die Erhaltung von Recht und Ordnung.

Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaft

Die Werbung, die RTL2 für die Serie geschaltet hat, zeigt sehr deutlich, worum es geht: „Du sollst nicht töten – lass ihn das machen.“ Die Drecksarbeit hübsch händeschonend delegiert. Und schließlich mordet Dexter ja nur diejenigen, die es nicht verdient haben, zu leben. Gut abgerichtet, das hat Daddy prima gemacht. Da passt auch gleich die zweite Werbeanzeige des Senders: „Keine Angst, der will nur töten.“ Dexter, das wohlerzogene Mordhündchen.

Denn wo die Laberveranstaltung Justiz versagt, da muss der besorgte Bürger ran. Wenn die öffentlichen Organe ihrem Auftrag nicht nachkommen, dann muss man das Recht in die eigenen Hände nehmen. Gerechtigkeit für einen Mörder? Einen Pädophilen? Einen Betrunkenen am Steuer? Nicht doch.

Und das ist das Perfide an dieser Serie: Was als hip und tabubrechend daher kommt, ist erzkonservativ, reaktionär, rückständig. Selbstjustiz und Rechtsbeugung als Serienkonzept. Richtig eklig rechts.

Kirsten Reimers

TV-Serie „Dexter“
montags, 22:55 Uhr
RTL2