Archiv für den Monat: Mai 2010

Wohin nur mit der Spannung?

Wenn alles zu aufregend wird …

»Wohin nur mit der Spannung?« Das mag sich der Autor beim Schreiben des Buches gefragt haben. Schließlich geht es in »Rot wie Schnee« um Drogen, um mächtige Kartelle, eiskalte Killer und hasserfüllte Rächer. Es geht um Jugendkriminalität und um die Gefahren, die im Dunkeln lauern. Mütter bangen um ihre Kinder, Kinder um ihre Eltern, Geschwister um ihre Brüder. Es geht um Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die im schwedischen Uppsala, im Restaurant »Dakar« aufeinandertreffen: in der Küche, an der Bar, an den Tischen. Menschen, die einander näherkommen, einander berühren, belügen, verletzen.

Wohin nur mit der Spannung, die aus der Konfrontation gegenläufiger Lebensentwürfe entsteht? Die aus entgegengesetzten Träumen entspringt? Die aufkommt, wenn selbstbewusste, ehrgeizige Menschen mit unterschiedlichen Zielen und unbedingtem Willen aufeinanderstoßen?

Wohin nur mit der intensiven Spannung? Schließlich geht es hier um Macht, Gewalt, Sex, Drogen, Essen, Liebe, Mord. Um unerfüllte Liebe, um missbrauchte Gefühle, um zarte Sehnsucht. Um bedrohte Unschuld und tiefe Verdorbenheit. Um die schnelle Gelegenheit zur kleinen Bereicherung, um lang geplante Verbrechen.

Wohin nur mit der großen Spannung, mag sich der Autor beim Schreiben gefragt haben – und er hat eine radikale, eine konsequente und überraschende Lösung gefunden: weg damit! Raus mit der Spannung aus diesem Buch! Weg mit Lust und Leidenschaft, mit Ironie und Humor! Mit Leben! Weg, weg, weg! Lieber faltet Eriksson pastellfarbene Figürchen aus Papier und klebt ihnen kleine Charakter-Post-its auf (böse; naiv; gierig), die beim ersten Atemhauch davon flattern. Statt knisternde Spannung zwischen Menschen spürbar zu machen, lässt der Autor seine Figuren Dialoge führen, die starren vor staubtrockenem Gutmenschentum. Da raschelt noch nicht einmal Papier.

Eine ungewohnte, eine bestechende Lösung.

Kirsten Reimers

Kjell Eriksson: Rot wie Schnee
(Mannen från bergen, 2005)
Aus dem Schwedischen von Sigrid Engeler
dtv 2009
Tb, 428 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-423-21180-2

Diese Besprechung ist zuerst erschienen in
Titel – Kulturmagazin


»Meistens halten sich meine Figuren nicht an mein Konzept«

Interview mit Lucie Flebbe

Für ihren Krimi »Der 13. Brief« erhielt Lucie Flebbe – damals noch Lucie Klassen – einen der wichtigsten deutschen Krimi- preise: den Friedrich-Glauser-Preis, und zwar für das beste Debüt. Das war im Jahr 2009. Nun ist ihr zweites Buch erschienen: »Hämatom«. Erneut schickt die Autorin ihre junge Heldin auf Mörderjagd. Diesmal ermittelt Lila Ziegler ganz auf sich selbst gestellt und auf eigene Faust im Krankenhaus.

 

Der Friedrich-Glauser-Preis für das beste Debüt – verändert das etwas beim Schreiben? Haben Sie sich dadurch beim zweiten Buch eher unter Druck gesetzt oder eher bestätigt gefühlt?

Als beste Newcomerin für den Erstlingskrimi ausgezeichnet zu werden, ist eine großartige Motivation. Gebremst wurde diese Motivation weniger durch die hohen Erwartungen als durch unseren jüngsten Sohn, der in der Zwischenzeit zur Welt gekommen ist. Deshalb hat es knapp zwei Jahre gedauert, bis mit »Hämatom« nun der nächste Lila-Krimi im Handel ist.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Geschrieben habe ich schon immer. Als Kind waren allerdings Pferdegeschichten meine Spezialität, die Vorliebe für Krimis kam erst später.

Haben Sie schon vor dem »13. Brief« Bücher oder Geschichten veröffentlicht?

Aufgrund einer Reihe merkwürdiger Zufälle wurde eine Pferdegeschichte, die ich im Alter von vierzehn Jahren geschrieben habe, bei einem spanischen Verlag veröffentlicht. Bis zur Entstehung des »13. Briefs« habe ich durch Schreibübungen ein ganzes Regal mit Texten gefüllt (die in diesem Regal übrigens gut aufgehoben sind).

Was ist beim Schreiben zuerst da: der Plot, der Mord, die Figuren, bestimmte Situationen? Oder etwas ganz anderes?

Jeder Text beginnt mit einer Idee – möglicherweise nur eine Kleinigkeit, die außer dem/der AutorIn niemanden interessiert. Im Falle meines zweiten Romans »Hämatom« war es eine Magentablette, die mich inspiriert hat.

Wo finden Sie Ihre Ideen?

Die Magentablette fand ich im Krankenhaus.

Haben Sie beim Schreiben ein fertiges Konzept im Kopf? Oder ergibt sich das erst im Prozess des Schreibens?

Ein Krimi ist im Prinzip ein Rätsel, dass der/die Autorin für die LeserInnen bastelt. Damit dieses Rätsel am Ende eine logische Lösung ergibt, ist es von Vorteil, wenn der/die Autorin einen groben Plan im Kopf hat. Auch ich versuche, möglichst schon bevor ich mit dem Schreiben beginne, einen solchen Plan im Kopf zu haben. Meistens halten sich meine Figuren allerdings nicht an mein Konzept, und meine Geschichten gehen in eine ganz andere Richtung, als ich es vorher geplant hatte.

Wann und wo schreiben Sie?

Als berufstätige Mutter ist meine Zeit … nennen wir es mal »begrenzt«. Im Augenblick schreibe ich eigentlich nie – ich wundere mich selbst, dass meine Geschichten trotzdem irgendwie aufs Papier kommen.

Privatdetektive sind inzwischen im Krimi ja eher selten geworden. Sie haben sich mit Lila Ziegler, die aus eigenem Antrieb ermittelt, und Ben Danner, der eine Detektei hat, für eine Mischform aus Amateur und Profi entschieden – warum?

Da Lila die Geschichten in Ich-Perspektive erlebt, war es wichtig für mich, dass sie als Protagonistin auf alle Fälle Amateurin ist. Das erlaubt ihr eine unvoreingenommene Sicht der Dinge – was zum Beispiel in »Hämatom« zu einigen amüsanten Betrachtungen der Arbeitswelt im Großbetrieb Krankenhaus führt.

Warum spielen Ihre Krimis ausgerechnet in Bochum? Eignet sich Bochum besser als andere Städte als Handlungsort für einen Krimi?

Ausgesucht habe ich Bochum ursprünglich, weil ich Lila ins Herz des Ruhrgebietes schicken wollte. Bei meinen Recherchen stelle ich jedes Mal wieder fest, dass Bochum tatsächlich der perfekte Handlungsort für Krimis ist. Verblüffenderweise finde ich in Bochum immer genau, was ich für meine Geschichte brauche. Mittlerweile bin ich ein richtiger Bochum-Fan geworden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Lucie Flebbe: Hämatom
Grafit 2010
Tb., 248 Seiten, 11 Euro
ISBN 978-3-89425-367-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)


»Da darf man beim Erzählen nicht lang fackeln«

Interview mit Max Bronski

Seit 2006 erscheinen im Münchner Antje Kunstmann Verlag die Krimis von Max Bronski. Wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Jeder Kontakt zum Autor geht ausschließlich über den Verlag, der nicht das winzigste Bisschen Information herausgibt. Anfang März erschien der vierte Krimi von Max Bronski mit dem schlagkräftigen Trödelhändler Wilhelm Gossec. Per E-Mail ließ sich der Autor folgende Antworten entlocken.

 

»Nackige Engel« ist Ihr vierter Krimi, der wie die anderen in München spielt und nur dort spielen kann. Was fasziniert Sie so an München?

Also, dass München mich faszinieren würde, davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich arbeite mich an dieser Stadt ab, ich bin ihr in tiefer Hass-Liebe verbunden, wie normalerweise nur der Wiener seiner Stadt. In jedem meiner Romane lässt sich Gossec zu richtigen Tiraden über München hinreißen. Würde ich als Bronski sofort unterschreiben. In den »Nackigen Engeln« heißt es dazu: »Du darfst dir München nicht als bloßen Ort denken, sondern als geistige Verfassung.« Eine geistige Verfassung, in der sich das Träumerische fortwährend mit dem Realen vermischt. Du kannst in München die Akropolis nachbauen. Du kannst Kanäle durch die Stadt brechen, bloß weil du von Nymphenburg nach Schleißheim fahren möchtest, mit dem Boot natürlich. Und mögen täte man noch viel, viel mehr. Dieses »viel mehr« schafft einen permanenten Überdruck, der München unter einem ständig geschwollenen Hirn leiden lässt. Dieses geschwollene Hirn ist auch noch eingesperrt in eine provinziell enge Kalotte des bayrischen Umlands. Nun ist es nicht so, dass jeder Wahnsinn diesem Schwollschädel entspringen würde, aber wenn er erst mal in der Welt ist, dann findet er in München das richtige Reizklima, um auch gedeihen zu können. So, das ist München.

Wilhelm Gossec ist die münchnerische Variante des Anti-Helden im Krimigenre: Schläge austeilend und einsteckend, mit hohem moralischem Anspruch, unbedingt und unbestechlich nach Gerechtigkeit strebend. Warum passt der so gut nach München?

Überhaupt keine Frage: Gossec ist ein Anti-Held. Und damit, finde ich, passt er nicht nur gut, sondern geradezu prototypisch nach München. Warum? Also erst mal hat es bei uns schon immer ungeschlachtete Kraftkerle zuhauf gegeben. Ich denke jetzt mal an einen wie Oskar Maria Graf. Dazu kommt eine Münchner Grundmentalität, die für Anti-Helden, wie ich finde, unerlässlich ist. Dass sie zwar viel wollen, aber verdammt wenig auf die Reihe kriegen. Bei uns geht es ja gut katholisch zu. Das heißt: Hauptsache deine Absichten sind edel und gut; bei den Taten, na ja, Schwamm drüber. In die Hosen geht schneller mal was. Man ist ja nicht nur Held, sondern eben auch Mensch.

Anders als Philip Marlowe, mit dem Ihr Trödler mitunter verglichen wird, kommt Gossec nicht ohne Freunde und Helfer aus. Funktioniert die Figur des einsamen Suchers, der die Last der Welt auf seinen Schultern trägt und seinen Kummer in Whiskey respektive Weißbier ertränkt, überhaupt noch?

Gossec und Philip Marlowe, das ist ja wirklich gut gemeint und als großes Kompliment gedacht, aber das passt eigentlich überhaupt nicht. Philip Marlowe hat mit Gossec so viel gemeinsam wie John Wayne mit Django. Meine Präferenzen sind vollkommen klar: Ich mag Italowestern. Für meine Krimis heißt das, dass sie Geschichten sein wollen, die gerade noch ernst sind, bevor das Genre in die Parodie abkippt. Und deswegen darf man da beim Erzählen nicht lange fackeln. Das muss hochtourig durchgehen mit voll gezogenem Choke bis zum Anschlag eben. Allerdings gibt diese Erzählweise mir spezielle Möglichkeiten, die schaumig gequirlte »Gutmenschen-Krimis« einfach nie haben werden. Am liebsten wäre mir dafür die Bezeichnung schwarze Ironie. Du brauchst beim Lesen kein Taschentuch, weil du bittere Tränen über die Schlechtigkeit der Welt vergießen müsstest, nein, bei meinen Büchern kannst du, hoffe ich jedenfalls, drüber lachen.

Wird es weitere Krimis mit Gossec geben? Das Ende lässt ja mindestens zwei Schlüsse zu.

Richtig, »Nackige Engel«, das ist der vierte Gossec-Krimi, insofern ist die Tetralogie jetzt abgeschlossen. Die Klammer, die diese vier Bücher zusammenhält, ist übrigens eine ganz, ganz schlichte. Es geht um die vier Jahreszeiten in München: Begonnen hat es mit dem Sommer im »Sister Sox«, dann kam der Herbst in »München Blues«, »Schampanninger« spielt im Winter, und der vierte widmet sich jetzt naturgemäß dem Frühling. Die Frage jetzt, ob es weitergeht und wie es weitergeht, die ist für mich zur Zeit noch vollkommen offen. Ich hab mich da noch überhaupt nicht entschieden.

Sie haben eine Weile Theologie studiert. Hat das Einfluss auf Gossecs Verständnis von Gerechtigkeit, Schuld und Sühne? Was heißt für Sie überhaupt Verbrechen? Gibt es für Sie eine treffende Definition von Gut und von Böse?

Erst mal schön, dass man meinen Büchern die theologische Schulung auch anmerkt. Trotzdem, Fragen nach Gerechtigkeit, Schuld und Sühne, die halte ich für meine Romane doch deutlich zu hoch gegriffen. Wenn ich allerdings nach einer treffenden Definition für Gut und Böse gefragt werde, fällt mir sofort »Die fromme Helene« von Wilhelm Busch ein. Dort heißt es: »Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.« Gossecs Problem ist damit scharf umrissen. Ein wirklich Guter wäre er nur dann, wenn er es endlich einmal lassen könnte. Einfach dasitzen, Hände in den Schoß und Ruhe. Stattdessen versucht er das Gute auch noch zu tun; gut zu handeln. Damit verstrickt er sich erst, weil ihm Situationen aufgezwungen werden, in denen er das eine, das Gute, vom anderen, dem Bösen, nicht mehr unterscheiden kann. Wenn man das jetzt weiterdenkt, dann kommt man vielleicht doch noch auf die ganz großen Fragen. Allerdings, der Mensch Gossec, der schafft es leider nie.

Wie gehen Sie beim Schreiben vor: Planen Sie alles voraus? Wissen Sie von Anfang an, wie es ausgeht? Oder ergibt sich das erst während des Schreibens? Und warum überhaupt Krimis?

Maj Sjöwall, die schwedische Autorin, die hat mal gesagt, dass ein Krimi auf zwanglose Weise von Problemen in der Gesellschaft erzählt. Beim Krimi kommt jetzt noch der segensreiche Nebeneffekt dazu, dass es sich bei ihm wesentlich um ein Trivialgenre handelt, in dem solche Absichten nicht zu hoch gehängt werden müssen. Das finde ich sehr angenehm. Wie gehe ich nun beim Schreiben vor? Ein genauer Plan existiert definitiv, am Anfang zumindest. So ein Plan besteht bei mir in aller Regel aus einem Plot, einem Handlungsrahmen, vor allem aber der Atmosphäre, die ich mir für meinen Roman vorstelle. Dann aber, wenn ich begonnen habe zu schreiben, kommt eine Sache ins Spiel, die renommierte Kollegen ja oft genug beschrieben haben: Dass nämlich die eigenen Figuren auf eine ganz seltsame Art und Weise zunehmend selbstständiger zu agieren beginnen. Und derjenige, der so zu agieren beginnt, ist bei mir Gossec. Gossec war die Leitfigur und, wenn man so will, die Ausgangsidee; sonst hätte ich nie einen Krimi geschrieben. Und Gossec hat jetzt schon viele Pläne durchkreuzt, die ich für ihn ausgeheckt habe. Man schreibt ihn in eine Stelle, dieser bockige Mensch steht davor und gibt ganz klar zu erkennen: Mache ich nicht, kannst du komplett vergessen. Na ja, und dann lässt man ihn eben alleine weitermachen. Den ersten Krimi habe ich in wenigen Wochen runter geschrieben. Eine so sturzbachartige Produktion, das war für mich eine vollkommen neue Erfahrung. Von Mal zu Mal wurde es dann aufwendiger. Das kann man sich vorstellen, wie in »Dinner for One«. Das erste Mal lässt du Freddie einfach über den Tigerkopf stolpern. Wenn er ihn aber das vierte Mal ansteuert, dann musst du dir echt ein bisschen mehr einfallen lassen. Das wird wesentlich aufwendiger dann und das kostet natürlich auch deutlich mehr Zeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Max Bronski: Nackige Engel
Antje Kunstmann Verlag 2010
geb., 208 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-88897-644-5
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Diese Besprechung ist zuerst erschienen im Titel-Magazin