Wenn alles zu aufregend wird …
»Wohin nur mit der Spannung?« Das mag sich der Autor beim Schreiben des Buches gefragt haben. Schließlich geht es in »Rot wie Schnee« um Drogen, um mächtige Kartelle, eiskalte Killer und hasserfüllte Rächer. Es geht um Jugendkriminalität und um die Gefahren, die im Dunkeln lauern. Mütter bangen um ihre Kinder, Kinder um ihre Eltern, Geschwister um ihre Brüder. Es geht um Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die im schwedischen Uppsala, im Restaurant »Dakar« aufeinandertreffen: in der Küche, an der Bar, an den Tischen. Menschen, die einander näherkommen, einander berühren, belügen, verletzen.
Wohin nur mit der Spannung, die aus der Konfrontation gegenläufiger Lebensentwürfe entsteht? Die aus entgegengesetzten Träumen entspringt? Die aufkommt, wenn selbstbewusste, ehrgeizige Menschen mit unterschiedlichen Zielen und unbedingtem Willen aufeinanderstoßen?
Wohin nur mit der intensiven Spannung? Schließlich geht es hier um Macht, Gewalt, Sex, Drogen, Essen, Liebe, Mord. Um unerfüllte Liebe, um missbrauchte Gefühle, um zarte Sehnsucht. Um bedrohte Unschuld und tiefe Verdorbenheit. Um die schnelle Gelegenheit zur kleinen Bereicherung, um lang geplante Verbrechen.
Wohin nur mit der großen Spannung, mag sich der Autor beim Schreiben gefragt haben – und er hat eine radikale, eine konsequente und überraschende Lösung gefunden: weg damit! Raus mit der Spannung aus diesem Buch! Weg mit Lust und Leidenschaft, mit Ironie und Humor! Mit Leben! Weg, weg, weg! Lieber faltet Eriksson pastellfarbene Figürchen aus Papier und klebt ihnen kleine Charakter-Post-its auf (böse; naiv; gierig), die beim ersten Atemhauch davon flattern. Statt knisternde Spannung zwischen Menschen spürbar zu machen, lässt der Autor seine Figuren Dialoge führen, die starren vor staubtrockenem Gutmenschentum. Da raschelt noch nicht einmal Papier.
Eine ungewohnte, eine bestechende Lösung.
Kjell Eriksson: Rot wie Schnee
(Mannen från bergen, 2005)
Aus dem Schwedischen von Sigrid Engeler
dtv 2009
Tb, 428 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-423-21180-2
Diese Besprechung ist zuerst erschienen in
Titel – Kulturmagazin