Dreckige Juwelen

Der gutherzige Bob führt ein einsames Leben in Boston, schüchtern bedient er in Cousin Marvs Kneipe und geht regelmäßig sonntags zur Kirche – doch tief in ihm rumort die Hoffnung, eines Tages vielleicht doch Freundschaft und Liebe zu erfahren. Alles gerät in Bewegung, als er einen verletzten Pitbull-Welpen aus dem Müll rettet. Zugleich tritt Nadia in sein Leben, keine einfache Frau, aber eine, die ihn mag. Doch mit Nadia kommt auch der psychopathische Eric, dann wird Bobs Stammkirche geschlossen, die Kneipe überfallen, und überhaupt überkreuzen sich jede Menge Pläne, die sich vor allem um eines drehen: Bargeld. Denn Cousin Marvs Kneipe gehört eigentlich der tschetschenischen Mafia, die die Bar – neben mehreren anderen – als Drop-Bar nutzen: Hier werden große Geldsummen aus Prostitution und Drogenhandel kurzfristig zwischengelagert – verlockend für größenwahnsinnige Kleinkriminelle. Aber Achtung: Don’t mess with Bob, denn der hat nun etwas zu verlieren.

Der Roman »The Drop – Bargeld« von Dennis Lehane (u. a. Autor von »Mystic River« und »Shutter Island«) basiert auf der Kurzgeschichte »Animal Rescue«, die Lehane schon vor ein paar Jahren veröffentlichte. Für ihre Verfilmung lieferte Lehane das Drehbuch – und legte dann diesen Roman nach: ein kleines, unverschämtes Juwel: dunkler Humor, fiese Wendungen, Kleingangstertristesse.

Illusionsloses Glasgow

Für den desillusionierten Glasgower Detective Inspector Jack Laidlaw sind Verbrechen weder der Anfang noch das Ende von Ereignissen. Er sieht in ihnen Knotenpunkte von Prozessen: Geschehnisse, Überzeugungen, Handlungen führen zu einer Tat, die wiederum Auslöser für weitere Geschehnisse, Überzeugungen und Handlungen ist. Dies trifft auch auf den Mord an der jungen Jennifer Lawson zu: Es gibt keine einfachen Antworten, kein Verbrechen steht isoliert für sich, kein Verbrecher ist ein Monster. Kriminalität ist wie das Leben: komplex, vielschichtig, verwoben. Und dunkel. Sehr dunkel. Gnadenlos.

»Laidlaw« von William McIlvanney ist 1977 das erste Mal erschienen, jetzt liegt es in einer wunderbaren Neuübersetzung von Conny Lösch vor. McIlvanneys Trilogie um den sarkastischen Detective gilt als grundlegend für den »Tartan noir«, die schottische Variante des Noir. Sein Alter merkt man dem ersten Band in keiner Weise an: rau und hart, mit eindrucksvollen Bildern, vielschichtig und intelligent. Das zweite Buch der Trilogie folgt zum Glück in Kürze.

Zerstörtes New York

»Boogie Man« von Nathan Larson ist bereits der zweite Band einer Trilogie, nämlich jener um den Ex-Soldaten Dewey Decimal. Im postapokalyptischen New York – es bleibt wie im ersten Band »2/14« unklar und vage, was am vergangenen Valentinstag tatsächlich geschehen ist, eindeutig ist nur, dass die Metropole größtenteils zerstört ist – gerät Decimal ins Visier des zwielichtigen Senators Clarence Howard, der den Mord an einer Prostituierten und ihrem Kind vertuschen will, außerdem überwirft er sich mit Gangstern aus Koreatown und einer obskuren Sicherheitsorganisation.

Der erste Teil der Trilogie hatte einen sehr ungeschliffenen Charme, der zweite wirkt etwas glatter und blasser. Dennoch bleibt der Ex-Soldat eine der faszinierendsten und ungewöhnlichsten Gestalten der aktuellen Kriminalliteratur: ein unsicherer Erzähler, der mit Macken und Neurosen durch das zerstörte New York humpelt (vor 11 Uhr nur links abbiegen, Straßen nur in alphabetischer bzw. aufsteigender Ziffernfolge nutzen), ein Hygienefanatiker, der ohne Desinfektionsmittel, Pistazien und Psychopharmaka (oder doch Placebos?) Schwindelanfälle bekommt, der nicht weiß, ob seine Erinnerungen echt sind oder durchs Militär implantiert und manipuliert – und der keine Ahnung hat, wer er eigentlich ist. Denn sein Name bleibt unbekannt, er selbst nennt sich nach dem Dewey-Decimal-System, ein System zur Klassifizierung von Bibliotheksbeständen – weil DD in den Überresten der New York Public Library lebt und die verbliebenen Bücher neu sortiert, wenn er nicht als Killer für jemanden aus der korrupten Stadtverwaltung unterwegs ist.

Temporeich und mit trockenem, tiefschwarzem Witz zeichnet Larson ein düsteres Bild vom Überleben in Ruinen, jenseits von verbindlichen Regeln und Mitmenschlichkeit, verstört von vagen Erinnerungen, die besser im Dunkeln blieben.

Kirsten Reimers

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Dennis Lehane: The Drop – Bargeld
(The Drop, 2014)
Aus dem Englischen von Jeffen Jacobs
Diogenes 2014
Tb., 224 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-257-06915-0
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William McIlvanney: Laidlaw
(Laidlaw, 1977)
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Kunstmann 2014
geb., 302 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-88897-967-5
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Nathan Larson: Boogie Man
(The Nervous System, 2012)
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf
Diaphanes 2014
kart., 284 Seiten, 17,95 Euro
ISBN 978-3-03734-703-4
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse