Die diskrete Blutspur der amerikanischen Mittelschicht

Angenehm bissig

Nach einem Banküberfall, der nicht ganz so erfolgreich verlaufen ist wie geplant, versteckt sich der Gewaltverbrecher Dixon im Haus des Collegeprofessors Elias White. Dixon – intelligent, kaltblütig, skrupellos – erpresst den jungen Historiker damit, dass er ihn beim Sex mit der minderjährigen Nachbarstochter beobachtet hat. Außerdem verspricht ihm der Bankräuber eine Menge Geld. White, karrierefixiert, opportunistisch und nicht gerade mit Courage gesegnet, geht darauf ein. Zum Glück für Dixon, denn das FBI hat seine Spur aufgenommen, Agentin Denise Lupo ist bereits eingetroffen in dem Collegestädtchen Tiburn, dem Schauplatz des Geschehens. Und sie kommt dem Gesuchten recht nah – allerdings ohne es zu ahnen: Während sich Lupo auf einen One-Night-Stand mit dem ehrgeizigen Historiker einlässt, hockt ihr Verbrecher im Keller darunter.

Verbrechen – für manche durchaus lukrativ

„Tiburn“ ist ein kleiner, bösartiger, rotziger und netter Thriller. Sehr unterhaltsam. Die Figuren sind angenehm zwiespältig, ihre Handlungen hübsch durchtrieben. Und das Buch zeigt: Verbrechen lohnt sich durchaus für manche – man muss nur wissen, wie man es für sich nutzt.

Warum ich Banken ausraube? Mann, was für eine Frage. Die Frage ist, warum tut es nicht jeder? Was ist los mit Arschlöchern wie Ihnen, dass man es Leuten wie mir überlässt, Banken auszurauben? Warum machen Typen wie Sie nie dabei mit?

Ein neues Leben um fast jeden Preis

Alle drei Hauptfiguren – Dixon, White und Lupo – träumen von einer anderen Existenz und sind bereit, dafür moralische Skrupel fallen zu lassen – die einen bewusster, die anderen weniger. Dixon möchte endlich ein Leben in Ruhe führen, er träumt von einer Farm in Kanada. Deshalb macht er bei dem Banküberfall mit, obwohl er seine Raubkollegen für unfähige Idioten hält. Er hat halt seinen eigenen Plan. Professor White strebt nach einem Lehrstuhl, am besten an einer so renommierten Uni wie Harvard. Von seriöser Wissenschaft hält er aber im Prinzip wenig und unterrichten mag er nun gar nicht. Er schreibt lieber reißerische Artikel („Hitler hatte recht“), um die Aufmerksamkeit der Scientific Community zu erregen und ein Interview auf CNN abzustauben. Denise Lupo wäre gern Profilerin, aber ihre Bewerbungen werden immer wieder abgeschmettert – weil sie keinen Penis hat, wie sie vermutet. Sie fühlt sich ins Karriereaus abgeschoben. Deshalb ist sie die meiste Zeit maulig, stichelig und nicht besonders engagiert.

Die amerikanische Mittelschicht: Hort von Neid, Gier und Selbstverliebtheit

Der sympathischste dieses Trios ist noch der Bankräuber Dixon. Er handelt überlegt, hat feste Grundsätze (die er sich selbst auferlegt hat und die nicht unbedingt auf andere übertragbar sind), strebt einfach nur nach einem Leben in Ruhe und Bescheidenheit. Die beiden anderen wirken schmieriger, gieriger, moralisch verkommener. Iain Levison macht keinen Hehl daraus, dass er die amerikanische Mittelschicht nicht für den Hort von Moral und Nächstenliebe hält. Das hat er schon in seinen vorherigen Büchern – der Gesellschaftssatire „Abserviert. Mein Leben als Humankapital“ und dem Kriminalroman „Betriebsbedingt gekündigt“ – dargelegt. Das ist sehr angenehm zu lesen. Vergnüglich und amüsant, mit hübschen Seitenhieben auf die Campus-Welt und die saturierte Mittelschicht, die selbstverliebt um den eigenen Nabel kreist.

Kirsten Reimers

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Iain Levison: Tiburn
Aus dem amerikanischen Englisch von Hans Therre
Matthes & Seitz Berlin 2008, 254 Seiten, Euro 18,80
ISBN: 978-3-88221-728-5

Diese Besprechung ist auch erschienen auf satt.org