Tödliche Lebenslügen

So abgehalftert wie sein Kumpel Beale wird Alan Slater nicht enden, da ist er sich ganz sicher. Beide sind Vertreter für Doppelverglasungen, doch Beale ist auf dem Weg nach ganz unten, seit seine Ehe den Bach runter ist, er seine Zeit überwiegend mit Glücksspiel verbringt und seinen Job schleifen lässt. Alan hingegen hat alles im Griff: den Job, die Abschlüsse, die Ehe, die Geliebte. Er hat ein Auge auf Beale, wenn der sich wieder einmal zusäuft und dann aggressiv wird. Ihm, Alan, würde das nie passieren, weil er sich im Griff hat.

Ein Leben am Anschlag: nur der Abschluss zählt, die Konkurrenz schläft nicht – und unter den Kollegen preschen die Jungen, Hungrigen vor. Alan hält zahlreiche Bälle in der Luft, das erfordert Selbstbeherrschung und Kontrolle. Als Beale sich auf eine Pokerpartie einlässt, die vollkommen anders verläuft als geplant, und daraufhin seine Selbstüberschätzung implodiert, reißt dies auch Alan mit rein. Dessen fragiles Lebenskonstrukt bekommt Risse, die durch hohle Selbstmotivationsformeln, noch stärkere Kontrolle und noch mehr Alkohol nicht mehr zu kitten sind.

Ray Banks legt in seinem Krimidebüt »Dead Money« einen rabenschwarzen Roman über Lebenslügen, aggressive Leistungsfixierung und fatale Überheblichkeit vor. Und über Poker natürlich.

Abgrund der Sprachlosigkeit

Um Lebenslügen ganz anderer Art geht es in Friedrich Anis neuem Roman »Der namenlose Tag«, der den pensionierten Kriminalkommissar Jakob Franck als neue Hauptfigur einführt. Dieser wird kurze Zeit nach seinem Eintritt ins Rentnerleben gebeten, in einem alten Fall zu recherchieren: Vor zwanzig Jahren starb ein junges Mädchen – und der Vater kann bis heute nicht glauben, dass es sich um einen Selbstmord handelte. Franck, dem dieser Fall in Erinnerung geblieben ist, begibt sich auf die Suche.

Diese Suche ist ein Abtauchen in Seelenabgründe – Franck öffnet Türen in die Vergangenheit, hinter denen sich jedoch kein reißerisches Geheimnis, kein blutiges Verbrechen versteckt. Vielmehr ist es der traurige graue Alltag und das Unvermögen, über Gefühle und Wünsche zu sprechen. Mit großer Intensität und klugem Feingefühl zeichnet Ani die Welt einer Generation, die nie gelernt hat, über sich nachzudenken, die stets nur fleißig gearbeitet hat, ohne die generationenalten Lebensentwürfe zu hinterfragen. Einfache, unauffällige Menschen, die sich nie Träume oder ein Ausbrechen erlaubt haben, keine Wünsche nach einem anderen Leben.

Friedrich Ani macht die Einsamkeit sowie das Unglück, das aus dieser Sprachlosigkeit erwächst, fühlbar. Man möchte die Figuren schütteln und ihnen zurufen: Redet, macht den Mund auf, sagt, was ihr denkt und fühlt, worauf ihr hofft. Ein ganz wunderbarer Roman von großer Traurigkeit und zarter Leichtigkeit.

Brüll das Leben an!

Leider ein wenig in Vergessenheit geraten ist Léo Malet, einer der Begründer des französischen Polar. Umso höher ist es der Hamburger Edition Nautilus anzurechnen, dass sie zumindest Malets sogenannte »Schwarze Trilogie« verfügbar hält. Vor kurzem ist der erste Band erschienen: »Das Leben ist zum Kotzen«, eine überarbeitete Neuausgabe, ergänzt um ein unverzichtbares Nachwort des Krimiexperten Tobias Gohlis.

Malet, Surrealist und Anarchist, Chansonnier und Krimiautor, schrieb Anfang der 1940er Jahre zunächst unter englischem Pseudonym Hard-boiled-Kriminalromane im Stil von Dashiell Hammett und Raymond Chandler. Bekannt wurde er später mit seinen Romanen um den Privatdetektiv Nestor Burma, die zwar angelehnt an die angloamerikanische Tradition, aber dennoch völlig anders und durch und durch französisch waren. Dazwischen erschien die »Schwarze Trilogie«: Dunkler, verzweifelter, abgründiger als alles, was Malet vorher oder nachher verfasst hat.

»Das Leben ist zum Kotzen« ist geschrieben aus der Sicht eines gesellschaftlichen Außenseiters, der vom Revolutionär zum Verbrecher und Mörder wird – voller Wut und Frustration, Brutalität und Einfühlsamkeit; voller Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit, gepaart mit allesdurchdringenden Hass. Groß. Sehr, sehr groß.

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Ray Banks: Dead Money
(Dead Money, 2011)
Aus dem Englischen von Antje Maria Greisiger
Polar Verlag 2015
kart., 205 Seiten, 12,90 Euro
ISBN 978-3-945133-04-0
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Friedrich Ani: Der namenlose Tag
Suhrkamp 2015
geb., 299 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-518-42487-2
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Léo Malet: Das Leben ist zum Kotzen
(La vie est dégueulasse, 1948)
Aus dem Französischen von Sarah Baumfelder und Thomas Mittelstädt
Edition Nautilus 2015
kart., 159 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-89401-823-8

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse