Düstere Abgründe hinter harmloser Kulisse

Spannende und aufwühlende neue Kriminalromane von Gillian Flynn, Charlotte Otter und Frank Göhre

Eine junge Frau verschwindet spurlos aus einer ruhigen Vorstadtsiedlung. Alles deutet auf ein Gewaltverbrechen hin, doch es gibt keinerlei Spur – niemand hat auch nur irgendetwas gesehen, kein Entführer meldet sich, keine Leiche wird gefunden. Verdächtigt wird natürlich unter anderem ihr Ehemann, denn wer sollte es sonst gewesen sein? Schließlich war die Frau allseits beliebt, eine harmlose, freundliche Ehefrau. Oder?

In Gillian Flynns Thriller »Gone Girl« ist nichts so, wie es zunächst scheint – es ist noch nicht mal so, wie man es auf den zweiten Blick vermuten würde. Hinter der Fassade der guten Ehefrau, des liebenden Mannes steckt Unerwartetes und Ungeheuerliches. Das Buch ist von wunderbar perfider Gemeinheit und fieser Boshaftigkeit, gespickt mit schwarzem Humor, erzählt aus zwei verschiedenen Perspektiven. Dazu ist es wunderbar geplottet und mit spitzen Seitenhieben auf die Mediengesellschaft versehen.

In den USA erstürmte das Buch Platz 1 der New-York-Times-Jahresbestsellerliste, eine Verfilmung unter der Regie von David Fincher ist geplant.

Engagierte Story, spannend erzählt

Pietermaritzburg in Südafrika, Hauptstadt der Provinz KwaZulu-Natal. Vor dem Gebäude der AIDS-Hilfe-Mission wird ein Mann mit vier Schüssen in die Brust getötet. Die Polizei geht von einem aus dem Ruder gelaufenen Raubüberfall aus – doch die Kriminalreporterin Mag- dalena Cloete zweifelt an dieser Version. Nur wenige Tage zuvor hatte dieser Mann sie angerufen, um sie auf einen Prozess hinzuweisen, in dem es um den Verkauf wirkungsloser AIDS-Medikamente ging. Oder handelte es sich um einen Racheakt für ein lang zurückliegendes Verbrechen, wie der Vater des Opfers glaubt? Oder war es ein Attentat, dass sich gegen die Arbeit der AIDS-Hilfe-Mission richtete?

Charlotte Otter schickt in ihrem schnellen und engagierten Debüt »Balthasars Vermächtnis« eine unkonventionelle Hauptfigur auf die Suche nach den Hintergründen der Tat im Post-Apartheid-Südafrika der Jahrtausendwende. Maggie Cloete trifft auf absurden Aberglauben, der viel zu vielen Menschen auch heute noch das Leben kostet, Korruption, verdrängte Vergangenheit und eines der zentralen Probleme Südafrikas: AIDS und die gesellschaftliche Leugnung der Brisanz des Problems. Viel zu viele Betroffene haben auch heute noch keinen Zugang zu antiretroviralen Medikamenten, stattdessen sind sie mit Scharlatanen konfrontiert, die sie betrügen und abzocken. Otter schildert dies in ihrem Thriller anschaulich und aufwühlend, ohne belehrend oder bemüht betroffen zu wirken.

Ungeschminkt und messerscharf

Im Dezember 2013 feiert Frank Göhre, einer der interessantesten und besten deutschen Krimiautoren, seine siebzigsten Geburtstag. Aus diesem Grund legt der Pendragon Verlag mit »Geile Meile« einen dicken Band mit bekannten wie bislang unveröffentlichten Erzählungen vor. Alle spielen rund um die Reeperbahn in Hamburg. Göhre wirft in jeder seiner Geschichten einen ungeschminkten und messerscharfen Blick auf das Rotlichtmilieu und hinter seine Kulissen.

In »Geile Meile« findet sich neben »Zappas letzter Hit« – sozusagen dem vierten Band zu Göhres bekannter »Kieztrilogie« – »St. Pauli Nacht«, erfolgreich verfilmt von Sönke Wortmann; Frank Göhre schrieb das Drehbuch dazu und wurde dafür mit dem Deutschen Drehbuchpreis ausgezeichnet. Hinzu kommen die Erzählungen »Rentner in Not«, »Der letzte Freier« und – bislang unveröffentlicht – »Es war einmal St. Pauli«. Unbedingt lesenswert!

Kirsten Reimers

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Gillian Flynn: Gone Girl. Das perfekte Opfer
(Gone Girl, 2012)
Deutsch von Christine Strüh
Scherz 2013
broschiert, 584 Seiten, 16,99 Euro
ISBN 978-3-502-10222-9
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Charlotte Otter: Balthasars Vermächtnis
Deutsch von B. Szelinski und Else Laudan
Ariadne/Argument 2013
Tb., 316 Seiten, 13 Euro
ISBN 978-3-86754-214-2
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Frank Göhre: Geile Meile
Pendragon 2013
Tb., 507 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-86532-365-1

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Perfides Spiel mit Ängsten

Neue Kriminalromane von Matthias Wittekindt, Stephen Dobyns und Donald Ray Pollock

»Marmormänner«, so werden die vier jungen Männer genannt, die vor mehr als 40 Jahren im Städtchen Fleurville in der Nähe der deutsch-französischen Grenze verschwanden. Nur einen von ihnen fand man wieder: mit durchtrennter Kehle und marmorähnlich verfärbter Haut. Dies gab dem Fall den Namen. Bei Bauarbeiten werden nun Überreste von Kleidungsstücken entdeckt, die einem der Männer zugeordnet werden können. Dies gibt den Ausschlag, den Fall erneut aufzurollen.

Unaufgeregt und präzise beschreibt Matthias Wittekindt die akribische und manchmal mühselige Spurensuche des Ermittlerteams. Aus verschiedenen Perspektiven wird das Vorgehen der Polizei geschildert, hinzu kommen die persönlichen Lebensverhältnisse der Figuren, aber auch die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb des Städtchens spielen eine Rolle. Alles zusammen verwebt sich zu einem sehr soliden und sorgfältig geformten Kriminalroman.

Teufel, Hexen oder Einbildung?

Deutlich dramatischer und auch überzogener ist Stephen Dobyns Thriller »Das Fest der Schlangen«: In einer amerikanischen Kleinstadt verschwindet ein Baby von der Kinderstation des Krankenhauses, statt seiner wird eine Schlange im Kinderbettchen gefunden. Kurz darauf wird ein Mann mit einem Ritualdolch ermordet und skalpiert, und außerdem scheint es immer mehr Kojoten zu geben, die zudem immer dreister und gefährlicher werden. Oder sind es gar Menschen, die ihre Gestalt wandeln können? Ist Satanismus im Spiel? Tragen Hexen die Schuld?

Dobyns Roman kommt als Mischung aus Krimi und Horrorgeschichte daher und erinnert mitunter an Stephen King, ist aber besser. Dobyns spielt gekonnt mit Ängsten; was Wirklichkeit, was Übernatürliches und was nur Hysterie ist, lässt sich nicht immer unterscheiden. Dabei erfindet der Autor seinen Genremix nicht neu, füllt ihn aber mit großer Schreibfreude und Kreativität. Munter und ironisch überspitzt, ohne jedoch die Bodenhaftung zu verlieren, nimmt sich der Roman selbst nicht allzu ernst und hält gleichzeitig die Spannung straff.

Schlag sie tot

Donald Ray Pollocks Roman »Das Handwerk des Teufels« beeindruckte im letzten Jahr so stark, dass er mit dem Deutschen Krimi Preis in der Sparte »international« ausgezeichnet wurde. Mit »Knockemstiff« liegt nun Pollocks Debüt von 2008 vor: eine Sammlung von Kurzgeschichten, die alle über die gleichnamige Kleinstadt verbunden sind, ein trostloses Kaff in Ohio, übersetzt bedeutet der Name ungefähr »Schlag sie tot«. »Unser Leben zu vergessen ist das Beste, was wir zustande bringen«, meint einer der Bewohner – und das versuchen alle Protagonisten von Pollocks Geschichten: mit Alkohol, Drogen, Sex, mit Gewalt und Inzest. Hoffnungslosigkeit überall, kein Ausweg, nirgends.

Die Kurzgeschichten spielen in einem Zeitraum von den vierziger Jahren bis Anfang dieses Jahrhunderts, sie überkreuzen sich, was Orte und Personen angehen – und in all den Jahren scheint sich außer den Rauschmitteln nur wenig zu ändern. Das könnte beim Lesen unerträglich werden, aber Pollock schafft es, seine Figuren aus sich heraus zu schildern, ohne die Distanz zu ihnen zu verlieren. Er verrät sie weder noch entschuldigt er sie. So erwachsen schmerzhaft-schonungslose und sehr eindringliche Geschichten aus dem dunklen Herzen der USA.

Kirsten Reimers

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Matthias Wittekindt: Marmormänner
Edition Nautilus 2013
kart., 284 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-89401-772-9

Stephen Dobyns: Das Fest der Schlangen
(The Burn Palace, 2013)
Aus dem Englischen von Rainer Schmidt
Bertelsmann 2013
kart., 542 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-570-10154-4
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Donald Ray Pollock: Knockemstiff
(Knockemstiff, 2008)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
geb., 256 Seiten, 18,90 Euro
ISBN 978-3-95438-014-5
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Schlechtigkeit braucht keinen Lernprozess

Aufregende neue Bücher von Patrícia Melo, Denise Mina und Giancarlo De Cataldo

»Lange Zeit habe ich geglaubt, Schlechtigkeit erfordere einen langen Lernprozess. In jenen Tagen begriff ich, dass das Schwere ist, ein guter Mensch zu sein«, stellt die namenlose Hauptfigur in Patrícia Melos in Brasilien spielendem »Leichendieb« fest. Er selbst ist überrascht von dem Ausmaß an Schlechtigkeit, dass er in sich entdeckt. Zufällig wird der ehemalige Call-Center-Manager Zeuge eines Flugzeugabsturzes. Um den Piloten zu retten, kommt er zu spät, doch im Cockpit findet er einen Packen Kokain. Warum nicht den Stoff nehmen und sich davonmachen? Schnell verdientes Geld. Doch wie jeder einfache Plan, sich mit gestohlenen Drogen rasch und unkompliziert etwas dazuzuverdienen, scheitert auch der des Namenlosen, der sich immer tiefer im Verbrechen verstrickt.

»Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ein halbwegs guter«, betont der Mann immer wieder. Und das stimmt: Er ist ein ganz normaler gieriger Mensch in einer ganz normalen gierigen Welt, die von Korruption und Ausbeutung bestimmt ist. Patrícia Melo erzählt temporeich, mit dunklem Witz und Sinn für perfide Wendungen. Ein gutes, böses Buch.

Dunkle Geheimnisse

Ins Schottland der neunziger Jahre führt Denise Minas Kriminalroman »Der letzte Wille« (das Original heißt etwas treffender »The last breath«): Der Journalist Terry Hewitt wird ermordet, geradezu hingerichtet, doch aus unersichtlichem Grund. Früher berichtete Hewitt aus Krisen- gebieten in aller Welt, doch das ist lange her. Aktuell arbeitete er gemeinsam mit einem Foto grafen an einem interessanten, aber nicht brisanten Bildband. Seine ehemalige Freundin Paddy Meehan, ebenfalls Journalistin, glaubt an eine Verbindung zur IRA und geht den spärlichen Hinweisen nach.

Denise Mina, die hierzulande leider noch viel zu wenig bekannt ist, schildert spannend und mit einem glaubwürdigen Plot, wie der Nordirlandkonflikt selbst außerhalb Irlands bis in die Familienbeziehungen hinein das Denken und Leben der Iren bestimmt. Mit ihrem unaufgeregten Stil und den lebendigen, abseits von Klischees geformten Figuren zählt Denise Mina zu den interessantesten schottischen Krimiautorinnen der Gegenwart.

Die Verquickung von Verbrechen und Politik

Ebenfalls angenehm unaufgeregt ist »Der König von Rom« von Giancarlo De Cataldo. De Cataldo schildert darin die Vorgeschichte zu seinem beeindruckenden »Romanzo Criminale«, dem umfangreichen Roman, in dem der römische Richter und Schriftsteller Aufstieg wie Fall der sogenannten Magliana-Bande, der größten organisierten Verbrecherbande Roms, in den siebziger und achtziger Jahren nachzeichnet – nicht als Tatsachenbericht, sondern als Roman und so nah an der Wirklichkeit, wie Fiktion es zu sein vermag. Nicht nur die Geschichte der organisierten Kriminalität, auch die Roms und Italiens erzählt De Cataldo in »Romanzo Criminale«, ebenso wie von der Verquickung von Verbrechen und Politik.

»Der König von Rom« schildert die Anfänge der Magliana-Bande, den verzweifelten Versuch Libaneses, wie De Cataldo seine Hauptfigur nennt, ausreichend Geld aufzutreiben, um im großen Stil ins Drogengeschäft einzusteigen und die kleinkriminellen Handlangertätigkeiten hinter sich zu lassen. Aber noch ist auch ein bürgerliches Leben möglich, noch steht Libanese vor der Wahl. Auch »Der König von Rom« ist ein Zeitporträt der frühen siebziger Jahre Italiens, das der Verbindung von Kriminalität und Gesellschaft nachspürt, unaufgeregt und faszinierend. Den Abschluss des Buches bildet ein Nachwort von Literaturkritiker Tobias Gohlis und Giancarlo De Cataldo, in dem der Autor, seine Bücher und seine Ziele näher vorgestellt werden.

Kirsten Reimers

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Patrícia Melo: Leichendieb
Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita
Tropen/Klett-Cotta 2013
geb., 201 Seiten, 18,95 Euro
ISBN 978-3-608-50118-6
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Denise Mina: Der letzte Wille
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Heyne 2013
Tb., 477 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-453-43442-4

Giancarlo De Cataldo: Der König von Rom
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Folio Verlag 2013
geb., 174 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-85256-619-1
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Kleinstadttristesse und Blutrausch

Neue Kriminalromane von Cathi Unsworth, P. D. James und Madison Smartt Bell

Vor zwanzig Jahren geschah im langweiligen Küstenstädtchen Ernemouth ein Mord. Offenbar ein Ritualmord, durchgeführt von Satanisten. Verurteilt wurde dafür die damals fünfzehnjährige Corinne Woodrow. Doch heute gibt es dank DNA-Analysen neue Spuren. Deshalb wird der Privatdetektiv Sean Ward in den Nordosten Englands geschickt, um diesen Fall erneut aufzurollen und herauszufinden, was 1984 tatsächlich geschehen ist.

Cathi Unsworth fängt in ihrem Kriminalroman »Opfer« die Tristesse einer unattraktiven Kleinstadt in der Ära des Thatcherismus gelungen ein. Der Fall der »Hexe des Ostens« ist zwar insgesamt etwas konventionell gehalten und wirkt mitunter arg konstruiert, aber die Stimmung, die die ehemalige Musikjournalistin Unsworth kreiert, unterlegt durch düsterm Sound der Gothic-Szene der achtziger Jahre, überzeugt. Was im ersten Moment wie ein Gruselthriller scheinen mag, entwickelt sich zu einem Kriminalroman irgendwo zwischen Whodunit und Noir, der den Kleinstadtfilz gestern wie heute ebenso demaskiert wie bürgerliche Doppelmoral.

Mord und Vorurteil

Ebenfalls in die Vergangenheit der britischen Insel, aber in eine wesentlich entferntere führt der neue Kriminalroman von P. D. James. Mit ihrem Roman »Der Tod kommt nach Pemberley« hat sich die Grande Dame des britischen Krimis einen lange gehegten Traum erfüllt, wie sie in einem Interview berichtete: eine Fortschreibung von Jane Austens »Stolz und Vorurteil« mit Mitteln des Kriminalromans.

James’ Roman setzt ungefähr sechs Jahre nach dem glücklichen Ende von Austens Buch ein. Es ist der Oktober des Jahres 1803, England befindet sich im Krieg gegen Frankreich. Von den See- und Kolonialschlachten ist zwar auf der Insel nicht allzu viel zu spüren, doch befindet sich die Gesellschaft im Umbruch, die Ständeordnung wie die Geschlechterrollen sind nicht mehr so selbstverständlich gültig wie bislang. Dies gibt P. D. James die Möglichkeit, ihre Frauenfiguren etwas selbstbestimmter handeln zu lassen als Austen – zum Glück. Dem Original entsprechend geht es eher etwas weitschweifig und umständlich zu. Das mag zunächst ungewohnt erscheinen, ist aber dem Vorbild angemessen. P. D. James gelingt es zwar nicht, mit vergleichbar spitzer Feder wie Jane Austen zu schreiben, doch hat »Der Tod kommt nach Pemberley« etwas Charmant-Behäbiges, was an die Mystery Thriller von Wilkie Collins erinnert.

Ins Herz der Finsternis

Weit entfernt davon ist der Roman »Die Farbe der Nacht« von Madison Smartt Bell. In seinem Mittelpunkt steht Mae, die erste Hälfte der Nacht Croupière in einem Kasino in der Nähe von Las Vegas, die restliche Zeit schlaflos durch die Wüste streifend. Mae ist eine der letzten Überlebenden des »Volks« – gemeint ist damit die »Family« von Charles Manson. Als im September 2001 die Twin Towers in New York einstürzen, sieht sie in den Nachrichten zufällig ihre frühere Freundin Laurel, wie sie Mitglied der Hippiekommune und beteiligt an grausamen Morden. Mit diesem Wiedererkennen wird die Vergangenheit wieder lebendig.

Madison Smartt Bell verbindet 9/11 mit den Morden der Manson-Family, dem Vietnam-Krieg und indianischen Opferritualen – Gewalt erleiden, Gewalt zufügen als wesentlicher Bestandteil der US-amerikanischen Geschichte und Gesellschaft, dazu Drogen, religiöser Wahn und Blutrausch. Der Roman erinnert ein wenig an »American Psycho« von Brett Easton Ellis, wirkt aber insgesamt sehr viel rauer und durch Rückbezüge auf die griechische Mythologie opaker. Nicht schön, vielleicht nicht einmal gut, sondern verstörend und so abstoßend wie beeindruckend.

Kirsten Reimers

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Cathi Unsworth: Opfer
(Weirdo, 2012)
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
Suhrkamp 2013
Tb, 384 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-518-46433-5
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P. D. James: Der Tod kommt nach Pemberley
(Death comes to Pemberley, 2011)
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
Droemer 2013
geb., 383 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-426-19962-6
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Madison Smartt Bell: Die Farbe der Nacht
(The Color of Night, 2011)
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel
und Klaus Timmermann
Liebeskind 2013
geb., 237 Seiten, 18,90 Euro
ISBN 978-3-95438-005-3

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Im Netz der Schuld

Neue Kriminalromane von Pete Dexter, Sara Gran und Ian Rankin

Moat County, irgendwo in den Sümpfen Floridas, Ende der 60er Jahre. Wegen des Mordes am rassistischen Sheriff soll der psychopathische Hinterwäldler Hillary Van Wetter auf den elektrischen Stuhl. Doch bevor es soweit kommen kann, heuert seine Verlobte Charlotte Bless zwei Reporter an: Es gibt Ungereimtheiten in der Beweisführung, Schlampigkeiten bei den Ermittlungen. Van Wet- ter sei unschuldig, da ist sie sich ganz sicher, obwohl sie ihn bislang nur aus Briefen kennt. Bless ist eine verwitterte White-Trash-Nymphe mit bröckeligem Sexappeal und einem Hang zu Todeskandidaten, Van Wetter ihr neuestes Projekt.

Die Journalisten Ward James und Yardly Acheman von der Miami Times beginnen nachzuhaken und zu graben – und tatsächlich können sie Van Wetter vor der Hinrichtung retten. Dafür bekommen sie den Pulitzer-Preis. Aber in der Folge auch massive Zweifel: Haben sie in ihrer Reportage tatsächlich die Wahrheit erzählt? Oder wurden sie von der Van-Wetter-Sippe nur benutzt? Doch diese Frage ist nur ein Aspekt von Pete Dexters Roman »Paperboy«, denn eigentlich geht es um sehr viel mehr: um die Bigotterie der US-Provinz Ende der 60er Jahre, um die Qualitätserosionen des Journalismus, um das Erwachsenwerden, ohne dem Wahnsinn anheimzufallen.

»Paperboy« erschien bereits 1996 ein erstes Mal auf Deutsch unter dem Titel »Schwarz auf Weiß« und blieb viel zu unbeachtet. Anlässlich der Romanverfilmung durch Lee Daniel legt der wunderbare Verlag Liebeskind den beeindruckenden Noir nun in einer hervorragenden Neuübersetzung vor. Lakonisch und sehr präzise erzählt aus Sicht des jüngeren Bruders eines der Reporter, mit dichten Bildern und grandios ausdifferenzierten Figuren zeigt Pete Dexter in der schwülen Hitze des US-amerikanischen Südens das Tasten nach Wahrheit, Sex und Sinn.

Die beste Ermittlerin der Welt

In »Das Ende der Welt«, dem zweiten Buch um Claire DeWitt, der besten Ermittlerin der Welt, schickt Sara Gran ihre fragile, drogenaffine und gewaltbereite Detektivin auf die Suche nach dem Mörder ihres Exfreundes Paul. Wie Claire und den Lesern im Laufe der Zeit klar wird, war der Musiker aber nicht nur irgendein Liebhaber, sondern die große Liebe. Claire übersteht diese wachsende Erkenntnis und das Eingeständnis, ihn und sich zutiefst verletzt zu haben, vielleicht in letzer Konsequenz sogar Schuld an seinem Tod zu sein, nur mit wachsenden Mengen Kokain und zahllosen Tabletten.

Parallel dazu berichtet Claire von einem zweiten Fall, den sie noch als Jugendliche in New York gelöst hat. Die Erinnerung daran bringt sie in der Gegenwart einen Schritt weiter auf der Suche nach ihrer schon vor Jahren verschollenen Freundin Tracy.

Wie bereits in »Die Stadt der Toten«, dem ersten Buch mit Claire DeWitt – für das Sara Gran hochverdient mit dem Deutschen Krimi Preis 2013 ausgezeichnet wurde –, bedient Gran einerseits gekonnt Krimikonventionen, um sie auf der anderen Seite im gleichen Atemzug mit ihrer Hauptfigur zu unterlaufen. Claire DeWitt ist eine der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Figuren der aktuellen Krimilandschaft: Neben den üblichen Ermittlungsmethoden vertraut sie auf ihre Intuition, auf bewusstseinserweiternde Drogen, auf Schamanen, das I Ging und Träume, sodass Realität und Visionen miteinander verfließen und der Wahrheit eine neue Dimension hinzufügen. Und bei aller Fragilität und Verletzlichkeit ist der Roman beinhart mit einer gnadenloser Selbstironie. Wahrhaft grandios.

Rebus’ Rückkehr

17 Mal hatte Ian Rankin seinen Inspector John Rebus in Schottland ermitteln lassen, bevor er ihn vor rund sechs Jahren in den Ruhestand schickte. Doch nun ist Rebus wieder da, weder dem Autor noch der Figur gefiel offenbar deren Rentnerdasein: Im Kriminalroman »Mädchengrab« untersucht John Rebus – nun als ziviler Berater der Polizei – sogenannte »Cold Cases«, ungelöste alte Fälle. Dabei wird er auf das aktuelle Verschwinden eines Mädchens aufmerksam, das mit mehreren Fällen aus der Vergangenheit in Verbindung stehen könnte.

Kauzig und knurrig, rauchend und saufend beißt sich Rebus durch Edinburgh, trifft dabei unter anderem auf seinen literarischen Nachfolger und charakterlichen Gegenpol Malcom Fox von der »Abteilung für interne Ermittlungen« und hat wenig Skrupel, Kontakte zu Gangstern zu nutzen. Seine Ermittlungen führen ihn quer durch Schottland – und durch eine Welt, die sich in den letzten Jahren deutlich verändert hat – auch für Rankins sarkastischen Ermittler. Welcome back, Mr. Rebus.

Kirsten Reimers

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Pete Dexter: Paperboy
Deutsch von Bernhard Robben
Liebeskind 2013
geb., 319 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-95438-008-4
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Sara Gran: Das Ende der Welt
Deutsch von Eva Bonné
Droemer 2013
Tb., 367 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-426-22637-7
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Ian Rankin: Mädchengrab
Deutsch von Conny Lösch
Manhattan 2013
geb., 507 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-442-54722-7
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