Perfides Spiel mit Ängsten

Neue Kriminalromane von Matthias Wittekindt, Stephen Dobyns und Donald Ray Pollock

»Marmormänner«, so werden die vier jungen Männer genannt, die vor mehr als 40 Jahren im Städtchen Fleurville in der Nähe der deutsch-französischen Grenze verschwanden. Nur einen von ihnen fand man wieder: mit durchtrennter Kehle und marmorähnlich verfärbter Haut. Dies gab dem Fall den Namen. Bei Bauarbeiten werden nun Überreste von Kleidungsstücken entdeckt, die einem der Männer zugeordnet werden können. Dies gibt den Ausschlag, den Fall erneut aufzurollen.

Unaufgeregt und präzise beschreibt Matthias Wittekindt die akribische und manchmal mühselige Spurensuche des Ermittlerteams. Aus verschiedenen Perspektiven wird das Vorgehen der Polizei geschildert, hinzu kommen die persönlichen Lebensverhältnisse der Figuren, aber auch die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb des Städtchens spielen eine Rolle. Alles zusammen verwebt sich zu einem sehr soliden und sorgfältig geformten Kriminalroman.

Teufel, Hexen oder Einbildung?

Deutlich dramatischer und auch überzogener ist Stephen Dobyns Thriller »Das Fest der Schlangen«: In einer amerikanischen Kleinstadt verschwindet ein Baby von der Kinderstation des Krankenhauses, statt seiner wird eine Schlange im Kinderbettchen gefunden. Kurz darauf wird ein Mann mit einem Ritualdolch ermordet und skalpiert, und außerdem scheint es immer mehr Kojoten zu geben, die zudem immer dreister und gefährlicher werden. Oder sind es gar Menschen, die ihre Gestalt wandeln können? Ist Satanismus im Spiel? Tragen Hexen die Schuld?

Dobyns Roman kommt als Mischung aus Krimi und Horrorgeschichte daher und erinnert mitunter an Stephen King, ist aber besser. Dobyns spielt gekonnt mit Ängsten; was Wirklichkeit, was Übernatürliches und was nur Hysterie ist, lässt sich nicht immer unterscheiden. Dabei erfindet der Autor seinen Genremix nicht neu, füllt ihn aber mit großer Schreibfreude und Kreativität. Munter und ironisch überspitzt, ohne jedoch die Bodenhaftung zu verlieren, nimmt sich der Roman selbst nicht allzu ernst und hält gleichzeitig die Spannung straff.

Schlag sie tot

Donald Ray Pollocks Roman »Das Handwerk des Teufels« beeindruckte im letzten Jahr so stark, dass er mit dem Deutschen Krimi Preis in der Sparte »international« ausgezeichnet wurde. Mit »Knockemstiff« liegt nun Pollocks Debüt von 2008 vor: eine Sammlung von Kurzgeschichten, die alle über die gleichnamige Kleinstadt verbunden sind, ein trostloses Kaff in Ohio, übersetzt bedeutet der Name ungefähr »Schlag sie tot«. »Unser Leben zu vergessen ist das Beste, was wir zustande bringen«, meint einer der Bewohner – und das versuchen alle Protagonisten von Pollocks Geschichten: mit Alkohol, Drogen, Sex, mit Gewalt und Inzest. Hoffnungslosigkeit überall, kein Ausweg, nirgends.

Die Kurzgeschichten spielen in einem Zeitraum von den vierziger Jahren bis Anfang dieses Jahrhunderts, sie überkreuzen sich, was Orte und Personen angehen – und in all den Jahren scheint sich außer den Rauschmitteln nur wenig zu ändern. Das könnte beim Lesen unerträglich werden, aber Pollock schafft es, seine Figuren aus sich heraus zu schildern, ohne die Distanz zu ihnen zu verlieren. Er verrät sie weder noch entschuldigt er sie. So erwachsen schmerzhaft-schonungslose und sehr eindringliche Geschichten aus dem dunklen Herzen der USA.

Kirsten Reimers

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Matthias Wittekindt: Marmormänner
Edition Nautilus 2013
kart., 284 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-89401-772-9

Stephen Dobyns: Das Fest der Schlangen
(The Burn Palace, 2013)
Aus dem Englischen von Rainer Schmidt
Bertelsmann 2013
kart., 542 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-570-10154-4
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Donald Ray Pollock: Knockemstiff
(Knockemstiff, 2008)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
geb., 256 Seiten, 18,90 Euro
ISBN 978-3-95438-014-5
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse