Archiv für den Monat: August 2011

Von wegen Seifenoper

Mord hinter den Kulissen einer täglichen Serie

Intrigen, Eifersucht und große Gefühle – die tägliche Serie »So ist das Leben« bietet sie in Hülle und Fülle. Aber nicht nur vor der Kamera, auch hinter den Kulissen geht es dramatisch und leidenschaftlich zu. In seinem vierten Krimi schickt Christian Schünemann seinen stilsicheren Ermittler, den Starfrisör Tomas Prinz, in das Milieu der Daily Soap. Durch einen Zufall wird Prinz der persönliche Stylist des neuen Stars der Serie und erfährt so hautnah, wie weit Serienfiktion und Realität auseinander liegen. Hinter der Kamera wird mit harten Bandagen gekämpft – und schon bald gibt es das erste Todesopfer.

Christian Schünemann weiß sehr genau, worüber er schreibt, schließlich ist er nicht nur Krimiautor, sondern hat auch als Storyliner für tägliche Serien wie »Verliebt in Berlin« oder »Verbotene Liebe« gearbeitet. Dank dieser Erfahrungen wirkt der Krimi lebendig, realitätsnah und spannend. Wie schon in seinen vorherigen Büchern vermeidet Schünemann alles Schrille und Aufgedrehte, hält sich von Klischees und allzu Absehbarem fern. Stattdessen ist der Whodunit in angenehmer Zurückhaltung geschrieben und entwickelt einen betörenden, unaufdringlichen Charme.

Kirsten Reimers

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Christian Schünemann: Daily Soap
Zürich: Diogenes Verlag
Tb., 237 Seiten, 9,90 Euro
ISBN 978-3-257-24052-8
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Diese Besprechung ist erstmals erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse.


Hic sunt dracones

Ein Mammut in Alaska? Ende des 19. Jahrhundert? Ein Brontosaurier im afrikanischen Dschungel, nur wenige Jahr zuvor? Und dann ist da noch das hartnäckige Gerücht, dass im geheimen Tunnelsystem – von dem gar nicht klar ist, ob es tatsächlich existiert – unter der Grenzstadt Mexicali ein chinesischer Drache gehalten wird. Abenteurer, Spione, Trickbetrüger, Großwildjäger, besessene Museumsdirektoren – sie alle sind in Bernardo Fernández Roman mit an Fanatismus grenzender Leidenschaft auf der Suche nach Geld, nach Ruhm, nach dem Fabelwesen oder einfach nach Sicherheit. An der Grenze zwischen den USA und Mexiko, im kleinen Städtchen Mexicali treffen die Erzählstränge, die Suchen und Fluchten zusammen. Für manchen endet es in einer Katastrophe.

Fernández mixt gekonnt Elemente des Abenteuer- und des Fantasy-Romans mit denen des Westerns (Woher kommt eigentlich derzeit diese Neigung zum Western mit starken Mädchenfiguren?). Eingestreute historische Personen und Ereignisse verwischen die Grenze zwischen Realität und Fiktion, und die Gleichzeitigkeit des Unmöglichen mit dem Selbstverständlichen gibt dem Roman etwas Poetisches. Unterstrichen wird dies durch die Erzählung aus verschiedenen Perspektiven und unterschiedlichen Haltungen. Spannend, ungewöhnlich und am Ende ziemlich blutig.

Kirsten Reimers

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Bernardo Fernández: Das Auge des Drachen
(Ojos de lagarto, 2009)
Aus dem Mexikanischen von Petra Strien
Berlin: Suhrkamp Nova 2011
272 Seiten, 12,95 Euro
ISBN: 978-3-518-46214-0

Diese Besprechung ist erstmals erschienen im Crimemag.


Trocken auf den Punkt

»Entfernte Verwandte« ist das vierte Buch von Matti Rönkä, das nun auf Deutsch erschienen ist. Wiederum ist die Hauptfigur der Russland-Finne Viktor Kärppä mit dem höchst durchwachsenen Lebenslauf. Seit einer Weile versucht Kärppä, seinen Lebensunterhalt halbwegs legal zu verdienen, was angesichts der angespannten Wirtschaftslage und der unterschwelligen Ressentiments gegen oststämmige Menschen nicht ganz einfach ist. Kärppäs Situation entspannt sich nicht gerade, als in einer seiner Wohnungen – die er unter der Hand an einen undurchsichtigen Russen vermietet hat, der dort mehrere osteuropäische Prostituierte untergebracht hat – große Mengen an Drogen auftauchen. Zusätzlich verschwindet ein entfernter Verwandter, und dessen Ehefrau bittet Kärppä, sich nach ihm umzusehen.

Drogenhandel, Prostitution, Schwarzarbeit, Korruption und Menschenhandel – und die alten Ostblockstaaten als billiges Menschenwarenlager, ob nun für Sexarbeit oder für die Baubranche. Matti Rönkä schildert das alles andere als pädagogisch wertvoll: Sehr lakonisch, ohne größere Schnörkel erzählt er kraftvoll und mit dünn gesätem, dafür aber äußerst treffenden Witz. Seine Hauptfigur ist ein halbwegs sympathischer Nicht-Held, der von moralischen Skrupeln kaum angeknabbert ist. Der einzige Grund, warum Kärppä nicht mehr in allzu viele illegale Sachen hineingezogen werden möchte, ist seine Freundin: Wenn die mitbekäme, dass er immer noch krumme Dinger dreht, gäbe es richtig Ärger.

»Entfernte Verwandte« ist nicht spektakulär, im Prinzip geschieht auch nichts sonderlich Aufregendes, aber das, was passiert, kommt auf den Punkt – intelligent, unaufdringlich, geradeaus.

Kirsten Reimers

Matti Rönkä: Entfernte Verwandte
(Isä, poika ja paha henki, 2008)
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
Köln: Lübbe 2010
Tb., 253 Seiten. 12,99 Euro
ISDN 978-3-7857-6042-0
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Diese Besprechung ist zuerst erschienen im CrimeMag.


Engstirnige Abgründe hinter der toleranten Fassade

Ein Gespräch mit Rosa Ribas über ihren neuen Frankfurt-Krimi

Aufregung in der Frankfurter Werbeagentur Baumgart & Holder: Während alle Mitarbeiter fieberhaft am Entwurf einer Imagekampagne für die Stadt Frankfurt arbeiten, hat es jemand auf die Agentur abgesehen. Zunächst sind es nur anonyme Droh- briefe, dann werden die Autos mehrerer Werber beschädigt, und eine Konfettibombe explodiert in den Agenturräumen. Was wie ein geschmackloser Scherz beginnt, nimmt eine dramatische Wende: Einer der führenden Köpfe der Agentur wird ermordet.

Ist jemand von der Konkurrenz der Täter? Schließlich geht es bei der Imagekampagne um sehr viel Geld. Oder stecken rechtsradikale Gruppierungen dahinter, denen das liberal-tolerante Bild, das Baumgart & Holder von Frankfurt entwirft, ein Dorn im Auge ist? Hauptkommissarin Cornelia Weber-Tejedor ermittelt.

Nach dem Erfolg ihres Debüts »Kalter Main« legt Rosa Ribas nun ihren zweiten Krimi um die Frankfurter Kommissarin mit spanisch-deutschen Wurzeln vor. Wie der Erstling erscheint es beim Suhrkamp Verlag. Rosa Ribas, 1963 in Barcelona geboren, lebt seit 15 Jahren in Frankfurt. Sie war 10 Jahre lang Lektorin für Spanisch an der Uni Frankfurt, hatte danach eine Professur für Hispanistik in Heilbronn inne und hat sich vor zwei Jahren selbstständig gemacht, um sich mehr dem zu widmen, was sie schon seit Jahren möchte: Romane schreiben. Und das gelingt ihr sehr erfolgreich.

Schauplatz der Verbrechen ist Frankfurt, ermittelt wird – mit hohem Wiedererkennungswert – in der Innenstadt und in verschiedenen Stadtteilen. Und wer aufmerksam liest, kann auch entdecken, in welcher Straße im östlichen Nordend die Kommissarin lebt. Aber es geht Rosa Ribas nicht darum, kuschelige Regionalkrimis zu schreiben. Sie schaut genauer hin und entdeckt hinter der weltoffenen Fassade Frankfurts manch dunkle Engstirnigkeit.

In »Tödliche Kampagne« sagt eine Ihrer Figuren, Frankfurt liege weiter weg vom Meer als andere deutsche Städte. Spricht der Mann da für Sie?

Ja, das ist mein Gefühl. Es ist eine der Sachen, die mir hier in Frankfurt am meisten fehlen: das Meer, dieses Gefühl von Meer, von richtig viel Wasser, diese Weite. Deswegen ist Frankfurt für mich so ausgeprägt meerlos.

Sie kommen aus Barcelona?

Aus der Umgebung von Barcelona. Aus einer kleinen Industriestadt, acht Kilometer von Barcelona entfernt. Eher hässlich, aber direkt am Meer Gut, es gibt hier den Main. Ein Fluss ist schön. Für spanische Augen sind deutsche Flüsse richtig groß … aber das ist kein Ersatz für ein Meer. Ich mag Frankfurt sehr gerne, aber das ist ein kleines Manko.

In Ihrem Buch werfen Sie einen freundlich distanzierten Blick auf Frankfurt, sprechen von seiner Provinzialität – trotz aller Versuche, weltläufig zu erscheinen -, von der Enge.

Etwas zu mögen bedeutet ja nicht, blind zu sein für die Macken. Ich mag die Stadt, aber weil ich schon mehr als 15 Jahre hier lebe, bin ich nicht mehr in diesem Zustand der Verliebtheit. Man wird ein bisschen aufgeklärter mit der Zeit. Man weiß, nicht alles ist so schön, wie die Frankfurter es manchmal gerne hätten. Darum geht es auch in »Tödliche Kampagne«. Ein wichtiges Thema darin ist dieses Bild der liberalen Stadt, die sich als so tolerant und offen sieht und zeigt. Aber dieses Bild ist eher ein oberflächliches Bild.

Mit der Zeit, wenn man mehr kleine alltägliche Situationen erlebt, entdeckt man, dass viele Leute, die sich als sehr liberal oder tolerant verstehen, ständig Vorurteile äußern. Manchmal ist die Offenheit nur eine dünne Schicht, wie Lack, das geht nicht richtig in die Tiefe. Das war eines der Dinge, die ich in diesem Buch zeigen wollte.

Ihre Hauptkommissarin Cornelia Weber-Tejedor steht als Tochter einer Spanierin und eines Deutschen ein wenig zwischen den Kulturen. Hat sie viel von Ihnen?

Manchmal mehr als ich selbst dachte. Eigentlich wollte ich keine Figur erschaffen, die autobiografisch ist. Aber dann entdeckte ich, dass sie immer mehr Züge oder Einstellungen übernimmt. Ich denke, ein Grundmerkmal von Cornelia ist die Suche nach Identität. Das habe ich aus einer anderen Perspektive erlebt: als Ausländerin in Deutschland.

Aber andererseits komme ich aus Barcelona, das heißt, ich bin Katalanin, meine Familie spricht katalanisch. Aber ich bin spanisch erzogen worden, in der Schule haben wir kein Katalanisch gelernt. Das bedeutet, ich habe mich ständig zwischen zwei Sprachen, zwischen zwei Kulturen bewegt. Das war für mich als Kind kein Thema. Erst als ich hierher nach Deutschland gekommen bin, wurde ich mit dieser Frage konfrontiert: »Was bist du eigentlich?«

Inwiefern?

Für die Deutschen bin ich Spanierin, und als Spanierin erwartet man Bestimmtes von mir, weil jeder bestimmte Stereotypen im Kopf hat. Ich bin zum Beispiel sehr pünktlich und höre immer den Kommentar: »Ach, für eine Spanierin bist du aber sehr pünktlich.« Dann denke ich immer: Moment mal: Das ist meine Persönlichkeit. Es liegt nicht daran, dass ich Spanierin bin.

Ich bin hier aber auch mit vielen Spaniern und Lateinamerikanern in Kontakt gekommen, die nicht aus Katalonien stammen. Von ihnen werde ich immer zuerst als Katalanin wahrgenommen. Sie projizieren auf mich die Erwartungen, wie eine Katalanin sein soll: ein bisschen ernsthaft, arrogant, geizig, und ich höre ständig den Kommentar: »Ich, für eine Katalanin bist du sehr sympathisch.«

Das bedeutet, ich muss immer gegen ein Bild ankämpfen. Oft sind das nur Kleinigkeiten, aber das ist mein Alltag. Deswegen spiegelt sich das auch in den Büchern, in den Kommentaren der Kollegen von Cornelia, die mitunter sagen: »Ach, da bist du jetzt aber sehr spanisch.«

Sie schreiben Ihre Bücher auf Spanisch, Ihr erster Krimi ist mit dem spanischen Krimipreis 2007 ausgezeichnet worden. Das heißt, es gibt eine Menge Menschen in Spanien, die lesen Krimis, die in Deutschland spielen?

Deutschland ist nicht so populär wie andere Länder. In Spanien lesen die Leute viele, viele Krimis, die in den USA spielen. Aber bei meinen Büchern ist für die spanischen Leser diese halbspanische Kommissarin das Interessanteste. Diese Tochter von Einwanderern. Das ist ein Teil der jetzigen spanischen Geschichte. Das ist sozusagen der Punkt, mit dem man die Aufmerksamkeit der Leser gewinnen kann.

Warum schreiben Sie auf Spanisch?

Als ich angefangen habe zu schreiben, hatte ich zuerst die Wahl zwischen zwei Sprachen, zwischen Spanisch und Katalanisch. Ich habe beides probiert. Und ich hab festgestellt, mein Werkzeug ist die spanische Sprache, vielleicht durch die Schulzeit und mein Studium der Hispanistik. Da habe ich viel mehr Möglichkeiten, mich auszudrücken. Ich fühlt mich darin viel, viel wohler.

Aber Sie übersetzen Ihre Bücher nicht selbst?

Nein. Wenn ich Spanisch schreibe, verspüre ich eine Leichtigkeit dabei. Auf Deutsch habe ich nicht diese Genauigkeit des Ausdrucks. Man muss in der Sprache schreiben, in der man richtig stark ist. Ich lese die Übersetzung meiner Bücher, und dann bespreche ich das mit der Übersetzerin. Ich kann dann sagen: »Das hätte ich lieber so oder so«, aber sie kann’s hundert Mal besser formulieren als ich. Weil sie in dieser Sprache extrem versiert ist.

Sie arbeiten also eng mit der Übersetzerin zusammen?

Ja, und das ist eine luxuriöse Situation. Denn die Übersetzerin wohnt in Offenbach, also ganz nah. Wenn sie irgendwelche Fragen hat, ruft sie mich sofort an. Besser kann man sich das nicht wünschen. Und wir haben uns sehr schön angefreundet.

Sie schreiben auch Romane, die keine Krimis sind. Warum aber immer wieder Krimis?

Die Geschichte, die ich im Kopf hatte, war perfekt für dieses Genre. Und ich mag Krimis. Wenn ich einen Krimi schreibe, schreibe ich auch über die Stadt, in der ich lebe, über Sachen, die ich hier mag oder nicht mag, wie ich die Menschen hier erlebe. Mir geht es in erster Linie um die Kriminalgeschichte, aber die Kriminalgeschichte transportiert auch andere Dinge, die mir wichtig sind, wie Fragen der Identität, Toleranz oder Intoleranz, das Zusammenleben von Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen, Freundschaft. Das alles kommt in dem Buch vor. Und die Form des Krimis erlaubt es mir, alles zu thematisieren, ohne dass es aufgesetzt wirkt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kirsten Reimers

Zum Bestellen bei eBook.de einfach auf den Titel klicken:

Rosa Ribas: Tödliche Kampagne
Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt
Suhrkamp Verlag 2010
Tb., 450 Seiten, 9,95 Euro
ISBN 978-3-518-46184-6

Dieses Interview ist auch im Buchmessen-Special von HR-online erschienen (einfach hier draufklicken).