Drei höchst unterschiedliche Romane, doch alle drei klug, faszinierend und spannend
Schon als Kind war Dr. Faraday fasziniert vom Herrenhaus Hundreds Hall, dem jahrhundertealten Stammsitz der Familie Ayres. Jahre später wird er durch einen Zufall Hausarzt der Familie. Das Anwesen hat längst seinen Glanz eingebüßt, die finanziellen Mittel fehlen, um es instand zu halten, es verfällt langsam, aber stetig. Der Landarzt verkehrt bald auf freundschaftlichem Fuß mit der Familie und muss feststellen, dass die Bewohner offenbar glau- ben, dass das Haus mit etwas infiziert sei, mit etwas Bösem, das sie in den Wahnsinn treiben will. Faraday lehnt diese Vorstellung ab – doch erklären kann er die vielen seltsamen Vorfälle mit reiner Logik nicht. Hat Caroline, die Tochter des Hauses tatsächlich recht, dass hier etwas Übernatürliches im Gang ist? Dass im Haus die Abspaltung einer hassenden Seele umgeht?
Sarah Waters knüpft mit ihrem atmosphärisch dichten Roman an die Tradition des Schauerromans an. Es gibt keine groben Schockeffekte, keine aufgebauschte Action. Stattdessen kreiert Waters mit leisen Tönen eine Atmosphäre der Unsicherheit und Ungewissheit – elegant geschrieben, mit sorgsam gezeichneten Charakteren, klug konstruiert und sehr spannend.
Unbestechlich, klar und intelligent
Vollkommen diesseitig und mit Schauereffekten ganz anderer Art versehen ist »Roter Glamour« von Dominique Manotti: In der Türkei explodiert ein Flugzeug voller Waffen, und in Paris wird eine Frauenleiche auf einem abgelegenen Parkplatz gefunden. Zwischen beiden Ereignissen besteht eine Verbindung, die bis in die höchsten politischen Kreise Frankreichs reicht.
Schon der erste Roman, der von Dominique Manotti auf Deutsch erschien, »Letzte Schicht«, begeisterte Leser wie Kritiker gleichermaßen. Mit »Roter Glamour« liegt nun ein weiterer äußerst beeindruckender Politthriller der Französin vor. Der hochbrisante Fall um Korruption und illegale Waffengeschäfte im ganz großen Stil spielt Anfang der achtziger Jahre unter der Regierung Mitterand. Manotti schreibt glasklar, ohne ein überflüssiges Wort und unbestechlich intelligent. Erschienen ist der Roman in Frankreich erstmals 2001 – doch an Aktualität und Relevanz hat er nichts eingebüßt.
Mit schwermütiger Leichtigkeit
Ganz heutig ist der neueste Roman von Friedrich Ani: Vor sechs Jahren quittierte Anis Ermittler Tabor Süden nach dreizehn Fällen und Büchern den Polizeidienst und ließ München hinter sich. Nun kommt er zurück, weil ihn ein Lebenszeichen seines verschollenen Vater erreicht hat. Süden nimmt einen Job als Privatdetektiv an und macht im Prinzip damit weiter, womit er vor sechs Jahren aufgehört hat: mit dem Aufspüren von Vermissten. Neben seinem Vater sucht Süden nun einen Kneipenwirt, einen freundlichen, zurückhaltenden Menschen, der vor zwei Jahren erst verstummte und dann verschwand.
Südens Suche führt nicht nur in Vorstädte und auf die Insel Sylt, sie führt vor allem in die Leben von einsamen, müden, ausgelaugten Menschen, denen alles oft viel zu viel ist, in Randbezirke der Gesellschaft und immer wieder in die Melancholie. Anrührend, ohne rührend oder moralisierend zu sein, leuchtet Ani seine Figuren aus und erzählt in hoher literarischer Qualität mit melancholischem Humor viele kleine Geschichte, die doch untrennbar zusammengehören und bei aller Traurigkeit von leuchtender Schönheit und schwermütiger Leichtigkeit sind.
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Sarah Waters: Der Besucher
(The Little Stranger, 2009)
Aus dem Englischen von Ute Leibmann
Lübbe 2011
geb., 571 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-431-03830-9
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Dominique Manotti: Roter Glamour
(Nos fantastiques années frie, 2001)
Aus dem Französischen von Andrea Stephani
Ariadne Krimi/Argument Verlag 2011
Tb., 246 Seiten, 12,90 Euro
ISBN 978-3-86754-192-3
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Friedrich Ani: Süden
Droemer Verlag 2011
geb., 364 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-426-19907-7
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Diese Besprechung ist ermals erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse.