Die Kosten des Wohlstands

Hopetoun in Westaustralien. Bis vor kurzem war dies ein kleines unbedeutendes Kaff am Südpolarmeer ohne nennenswerte Kriminalität. Deswegen hat sich Detective Tess Maguire herversetzen lassen: Nach traumatischen Erlebnissen ist sie gerade erst wieder diensttauglich. Doch wegen der Nickelminen, die ganz in der Nähe betrieben werden, ist die Kleinstadt auf dem Weg zur Boomtown. Gesichtslose Siedlungen, Gewerbegebiete, neue Restaurants sprießen aus dem Boden: Das neue Geld hinterlässt seine Spuren.

Das Ende der Unschuld

Als am Strand ein kopfloser Torso gefunden wird, ein chinesischer Leiharbeiter, der kein Opfer der Haie, sondern einer scharfen Klinge wurde, zeigt sich die negative Seite des Aufschwungs. Zur Unterstützung wird Tess Maguire Detective Philip »Cato« Kwong zur Seite gestellt, ein ehemaliger Vorzeigepolizist mit chinesischen Wurzeln, der wegen eines Korruptionsskandals in Ungnade fiel und ins Viehdezernat strafversetzt wurde. Mit diesem Fall, so hofft er, wird er sich rehabilitieren. Nicht einfach, weil ein toter Chinese selbst innerhalb der Polizei auf nur wenig Interesse stößt, weil der örtliche Geldadel die Ermittlungen behindert und weil Cato Tess vor ein paar Jahren unschön sitzen lies.

Parallel dazu nimmt der Ex-Detective Stuart Miller die Spur eines alten Falles wieder auf, der ihm nie Ruhe gelassen hatte: Vor 35 Jahren ermordete in England ein Mann seine schwangere Frau und seinen kleinen Sohn und verschwand spurlos. Nun gibt es Anzeichen, dass er damals nach Australien geflohen ist und dort weitere Morde begangen hat. Beide Fälle überschneiden sich, als in Hopetoun erneut ein Mord geschieht.

Goldrausch und heranrollende Finanzkrise

»Prime Cut« ist der erste Kriminalroman von Alan Carter. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise des Jahres 2008 zeichnet er ein vielschichtiges Porträt einer Stadt im Goldrausch. Der Wohlstand hat seinen Preis und hinterlässt tiefe Spuren in der kleinen Stadt: wachsende Kriminalität, Drogen, Korruption, Filz, offener Rassismus. Die Aussicht auf Reichtum lockt viele Menschen an – doch tatsächlich profitieren vom Boom nur die, die sowieso schon ausreichend Geld, Kontakte und Skrupellosigkeit besitzen, und dies auf Kosten derjenigen, die kaum für ihre eigenen Rechte einstehen können: Maori und im besonderen Maße chinesische Leiharbeiter.

Zwischen den Welten

Der Krimiplot mag an der einen oder anderen Stelle etwas holprig und zu konstruiert sein, doch Carter gelingen stimmige Charaktere: Sie alle haben ihre dunklen Seiten und tiefen Wunden; dies wird zum Glück nicht ausgewalzt und unnötig zelebriert, sondern dient dazu, die Figuren glaubwürdiger zu machen. Dazu kommt, unterstrichen vom trockenen Humor, ein klarer Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, auf Abhängigkeitsstrukturen und Hierarchien, und auf die schwierige Frage des australischen Selbstverständnisses zwischen Asien und Westeuropa, zwischen geopolitischer Wirklichkeit und kulturellen Wurzeln der weißen Bevölkerung.

Alan Carter ist Dokumentarfilmer, stammt wie mehrere seiner Figuren ursprünglich aus England und lebt seit langem in Australien. »Prime Cut« sind inzwischen zwei Romane um Cato Kwong nachgefolgt: »Getting Warmer« (2013) und »Bad Seed« (erscheint 2015).

Kirsten Reimers

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Alan Carter: Prime Cut
(Prime Cut, 2011)
Aus dem Englischen von Sabine Schulte
Edition Nautilus 2015
kart., 368 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-89401-812-2

 Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf
satt.org


Verwüstungen und Zerstörungen

James Lee Burke erlebt derzeit eine kleine Renaissance auf dem deutschen Krimimarkt. Für ein paar Jahre hierzulande fast völlig vergessen, liegt nun nach »Regengötter« (Deutscher Krimi Preis 2015; besprochen in den MordsBüchern vom März) bereits ein weiterer Roman vor: »Sturm über New Orleans«. Vor dem Hintergrund des Hurrikan Katrina, der im August 2005 New Orleans innerlich wie äußerlich fast komplett verwüstete, schildert Burke die Suche nach dem Mörder eines schwarzen Jugendlichen und nach einem verschollenen kranken Priester.

Im Vorwort erklärt Burke, »Sturm über New Orleans« sei sein zornigstes Buch – und das trifft es im besten Sinne. Der Autor zeigt die Verwüstungen und Zerstörungen, die der Hurrikan in der Stadt und in den Menschen angerichtet hat, das Versagen des Staates und der Menschlichkeit, den Egoismus, die Rücksichtslosigkeit. Wieder beweist Burke, dass er einen genauen Blick für Details hat, ohne dabei je das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Dies gelingt ihm dank lebendiger, vielschichtiger Charaktere in einer hoch spannenden, komplexen, aber nie unübersichtlichen Story.

Bis zum bitteren Ende

Auch Richard Stark hat zur Zeit ein kleines Comeback. Stark ist eines der vielen Pseudonyme des Krimiautors Donald E. Westlake. Mit »The Hunter« liegt eine Neuübersetzung seines ersten Parker-Krimis von 1962 vor – in den siebziger Jahren erstmals auf Deutsch erschienen unter dem Titel »Jetzt sind wir quitt«, verfilmt als »Point Blank« (deutsch: »Keiner darf überleben«), Neuverfilmung 1997 unter dem Titel »Payback« mit Mel Gibson.

Parker, die Hauptfigur, ist Profi, durch und durch. Cool und schnörkellos – so schnörkellos, dass er nicht mal einen Vornamen hat; spezialisiert auf Überfälle, so ein richtig harter Bursche. Als er bei einem Überfall über den Tisch gezogen wird, beginnt er einen Rachefeldzug, bei dem er nicht einmal davor zurückschreckt, sich mit der New Yorker Mafia anzulegen.

Parker wird so cool und hartgesotten dargestellt, dass er fast an eine Karikatur grenzt, ebenso wie das Frauenbild, das der damaligen Zeit entsprechend unterirdisch ist. Aber alles in allem ist der Roman ist sehr schön knapp, schnell, spannend und auf den Punkt.

Tödliche Nähe

Ein deutlich moderneres Frauenbild bietet der neue Roman von Robert Brack: »Die drei Leben des Feng Yun-Fat«. Die Privatdetektivinnen Lenina Rabe und Nadine Adler sollen den verschwundenen Koch ihres Lieblings-Chinarestaurants suchen. Ein etwas undurchsichtiger Auftrag, erteilt vom etwas undurchsichtigen Besitzer des Restaurants. Und tatsächlich stellt sich die Suche als deutlich schwieriger heraus, als gedacht – und als deutlich gefährlicher. Denn bei ihren Recherchen kommen die Detektivinnen einer großen chinesischen Mafiaorganisation viel zu nah.

Bracks Kriminalroman greift ein wenig bekanntes Thema auf: moderne Sklavenhaltung mitten in Deutschland und deren Absegnung durch ein deutsch-chinesisches Abkommen. Spannend, engagiert und mit trockenem Humor macht der Krimi einen Schlenker ins Utopische, um dann aber doch auf dem ernüchternden Boden der Realität aufzuschlagen. Angesiedelt ist die Handlung in der Nähe des Hamburger Hafens, zwischen Subkultur und hanseatischen Anwaltsbüros, jenseits von Hafenromantik und Kiezseligkeit. Sehr angenehm sind die unaufgeregt ungewöhnlichen Ermittlerinnen: mit Berufung und Idealen, stets schlagfertig dank Karate, Aikido und Konfuzius.

Kirsten Reimers

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James Lee Burke: Sturm über New Orleans
(The Tin Roof Blowdown, 2007)
Aus dem Englischen von Georg Schmidt
Pendragon 2015
kart., 576 Seiten, 17,99 Euro
ISBN 978-3-86532-450-4
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Richard Stark: The Hunter
(The Hunter, 1962)
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Zsolnay 2015
geb., 191 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-552-05715-9
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Robert Brack: Die drei Leben des Feng Yun-Fat
Edition Nautilus 2015
kart., 192 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-89401-813-9

 Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse


Tiefe Wunden

Südafrika, eine Farm im Nichts. Und aus dem Nichts wird sie von mehreren Seiten plötzlich beschossen. Die Bewohner, eine langansässige weiße Familie, ihre Angestellten und zufällig Anwesende flüchten ins Innere des Hauses und versuchen – ohne Telefonempfang vollständig von der Außenwelt abgeschnitten – sich irgendwie zu wehren.

Rund acht Stunden, von 17:32 bis 2:49 Uhr, so lang dauert die Belagerung in Max Annas’ Roman »Die Farm«. Das Geschehen – versehen mit exakten Zeitangaben – wird aus verschiedenen Perspektiven geschildert, teilweise parallel und sich über- schneidend.

Der Roman hat etwas von einem Kammerspiel: Das Zentrum des Geschehens ist die Farm und ihre direkte Umgebung, nur selten bewegt sich der Blick von dort weg, das Figurenensemble ist übersichtlich. Durch diese Konzentration gelingt es Annas, die tiefen Wunden zu zeigen, die die Jahrzehnte der Apartheid geschlagen haben: die sozialen Abhängigkeiten, die gesellschaftliche Zerklüftung, die immer noch existierende Diskriminierung, den tiefen, gnadenlosen Hass. Ohne Betroffenheitsquark, ohne moralischen Zeigefinger und ohne vereinfachende Schwarzweißzeichnung skizziert der in Deutschland geborene und in Südafrika lebende Autor ein scharfsichtiges Porträt der südafrikanischen Gesellschaft, eingebettet in eine hochspannende Story.

Monster oder Held?

Gerade aus dem Gefängnis entlassen, versucht in Dave Zeltsermans Kriminalroman »Killer« der Mafiakiller Leonard March wieder Fuß zu fassen. Das fällt nicht gerade einfach, wenn man weiß, dass es der ehemalige Auftraggeber sowie die Familien der 28 Todesopfer auf einen abgesehen haben. Dazu die Presse, aber auch Ghostwriter und Anwaltskanzleien, die in der Story des Killers ein gutes Geschäft wittern. Immer wieder wird March mit seiner Vergangenheit konfrontiert, offener Hass und unverhohlene Verachtung schlagen ihm entgegen, auch Angst und ebenso Profitgier.

Abwechselnd wird Marchs Werdegang zum Killer aufgerollt und sein Leben in der Gegenwart dargestellt, seine Versuche, mit seinen Kindern wieder Kontakt aufzunehmen wie auch sein Umgang mit seinen Lebenslügen. Dies geschieht geradlinig, unprätentiös und nicht ohne Gewalt, mit Sinn für Absurditäten und trockenen Humor, zum Beispiel wenn March für einen Moment vom Monster zum Helden wird, weil er einen Überfall verhindert.

Lebenslügen, Lügen überhaupt sind eines der zentralen Themen des Romans, denn nicht nur March macht sich was vor – und auch nicht nur sich selbst. Ein wunderbar schnörkelloser Noir, der in seiner Unverfrorenheit diverse Lebenslügen entlarvt.

Schatten der Vergangenheit

Auf ganz andere Weise geradlinig ist »Das Vergessen« von Denise Mina: Detective Inspector Alex Morrow von der Glasgower Polizei soll als Zeugin gegen Michael Brown aussagen und so die Anklage gegen den Waffenhändler untermauern. Noch während des Prozesses erhält sie die Nachricht, dass Browns Fingerabdrücke bei einem aktuellen Mord aufgetaucht sind. Ein Ding der Unmöglichkeit, sitzt Brown doch seit Wochen im Gefängnis. Das Mordopfer, Aziz Balfour, ist ein wohlhabender Pakistani, der sich für Erdbebenopfer in Pakistan einsetzt – ein beliebter junger Mann, dessen Ermordung eine Menge Fragen aufwirft. Die Spuren, die Alex Morrow verfolgt, reichen zurück bis ins Jahr 1997, in die Nacht, in der Lady Di starb.

»Das Vergessen« von Denise Mina ist ein angenehm unaufdringlicher Krimi, der auf grelle Effekte verzichtet, ohne dabei beschönigend oder harmonietüdelig zu sein. Alex Morrow, die Hauptfigur, ist eine Ermittlerin ohne große emotionale Beschwernisse, Mutter von Zwillingen, glücklich verheiratet, und bemüht, moralisch richtig zu handeln, sich nicht korrumpieren zu lassen – auch wenn das bedeutet, für den Freispruch von jemandem zu kämpfen, der sie bedroht hat, oder gegen korrupte Kollegen vorzugehen. Damit macht sie sich nicht gerade beliebt. Selbstbewusst und ohne laut zu werden verfolgt Alex Morrow einen eigenen Weg. Das macht diesen Kriminalroman so angenehm anders als viele andere – und spannend, vielschichtig sowie scharfsinnig noch dazu.

Kirsten Reimers

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Max Annas: Die Farm
Diaphanes 2015
kart., 188 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-03734-701-0
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Dave Zeltserman: Killer
(Killer, 2010)
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Pulp Master 2015
Tb., 262 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-927734-50-0
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Denise Mina: Das Vergessen
(The Red Road, 2013)
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer
Heyne 2014
Tb., 348 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-453-41787-8
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse


Eine zerrissene Gesellschaft voller Hass

Südafrika, eine Farm im Nichts. Und aus diesem Nichts heraus wird sie ohne Vorwarnung beschossen. Die Bewohner, eine langansässige weiße Familie, deren Angestellte und zufällig Anwesende – unter anderem Handwerker, ein Paketbote, ein korrupter Polizist – flüchten ins Haus und versuchen, sich irgendwie zu wehren. Kein Mobilfunknetz, die Festnetzleitung unterbrochen, abgeschnitten von der Außenwelt, sind die Anwesenden ohne jede Möglichkeit, Hilfe zu holen.

Es gibt etwas Geld im Haus, ein paar Waffen, doch nichts, was den Überfall wirklich rechtfertigen würde. Andererseits sind Überfälle auf Farmen mit weit weniger Besitztümern alles andere als eine Seltenheit in diesem Land, das sozial völlig zerrissen ist, in dem verzweifelte Armut neben großem Reichtum herrscht. Und dass der Farmbesitzer Franz Muller Dreck am Stecken hat, das ist sicher. Oder geht es um seinen Sohn Zak, der die Tochter eines der Angestellten vergewaltigt hat? Oder um die Tochter, die sich am Unfalltod eines Taschendiebs schuldig fühlt? Ist das Motiv Rache? Oder etwas anderes?

Konzentriert und intensiv

Rund acht Stunden, von 17:32 bis 2:49 Uhr, so lang dauert die Belagerung in Max Annas’ Roman »Die Farm«. Das Geschehen – mit exakten Zeitangaben versehen – wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, teilweise parallel, sich überschneidend, sich ergänzend. Das Figurenensemble ist begrenzt, die Geschehnisse auf die Farm und ihre nächste Umgebung – von wenigen Ausnahmen abgesehen – konzentriert. Annas gelingt auf diese Weise ein pointiertes, scharfsichtiges Porträt der südafrikanischen Gesellschaft.

Das Motiv für den Überfall bleibt lange Zeit im Dunklen – und es verliert zudem immer mehr an Gewicht. Denn angesichts der tiefen Wunden, die die Apartheid gerissen hat, scheint eine Explosion der Gewalt unausweichlich: gesellschaftliche Abhängigkeiten, unverhohlene Rassendiskriminierung, gnadenloser, gärender Hass zwischen den verschiedenen ethnischen und sozialen Gruppen.

Pointiertes, scharfsichtiges Gesellschaftsporträt

Durch die konzentrierte und aufs Wesentliche reduzierte Darstellung schildert Annas dies in hoher Intensität, ohne Betroffenheitsgetue, moralischen Zeigefinger und verkürzende Schwarz-Weiß-Zeichnung, eingebettet in eine hochspannende Story.

Dafür wurde der Autor mit dem Deutschen Krimi Preis (Platz 3 in der Kategorie National) ausgezeichnet. Der gebürtige Kölner arbeitet derzeit an einem Forschungsprojekt zu südafrikanischem Jazz an der University of Fort Hare in East London, Südafrika. Zuvor war Max Annas freier Journalist und Sachbuchautor mit zahlreichen Veröffentlichungen zu Popkultur, Politik und anderem. »Die Farm« ist sein erster Roman.

Kirsten Reimers

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Max Annas: Die Farm
Diaphanes 2015
kart., 188 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-03734-701-0
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf
FaustKultur


Monster oder Held?

Als er nach 14 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, versucht Mafiakiller Leonard March wieder Fuß zu fassen. Das fällt nicht gerade einfach, wenn man weiß, dass der ehemalige Auftraggeber sowie die Familien der 28 Todesopfer einem nach dem Leben trachten. Dazu kommt die Presse, aber auch Ghostwriter und Anwaltskanzleien, die in der Story des Killers und den Verwertungsrechten daran ein gutes Geschäft wittern. Immer wieder wird March mit seiner Vergangenheit konfrontiert, offener Hass und unverhohlene Verachtung schlagen ihm entgegen, ebenso Angst und Profitgier, nicht selten gleichzeitig.

Abwechselnd wird Marchs Werdegang zum Killer aufgerollt und sein Leben in der Gegenwart geschildert, seine Versuche, mit seinen erwachsenen Kindern wieder Kontakt aufzunehmen wie auch sein Umgang mit seinen Lebenslügen. Die Morde an 28 Männern versucht er seinem Sohn gegenüber zum Beispiel damit zu rechtfertigen, dass sie selbst Dreck am Stecken hatten:

»Sie waren Teil des Ganzen«, murmelte ich. Und dann lauter: »Sie kannten die Risiken und Gefahren genau wie ich. Wenn ich sie nicht umgelegt hätte, hätte Lombard jemand anderen angeheuert. Ich habe einen Job gemacht, mehr nicht.«
»Du benutzt die alte Ausrede der Nazis, du hättest nur Befehle ausgeführt. Großmutter wäre stolz auf dich, nicht wahr?«

Düster, schnörkellos und unaufgeregt

Die Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart geschieht unaufgeregt, unprätentiös und nicht ohne Gewalt, mit Sinn für Absurditäten und trockenen Humor, zum Beispiel wenn March für einen Moment vom Monster zum Helden wird, weil er einen Überfall verhindert hat, woraufhin ihn die Polizei widerwillig mit Respekt behandeln muss – und March dann frech behauptet, die Cops hätten ihm bei der Festnahme 150 Dollar gestohlen, was deren Vorgesetzter ihm unwidersprochen glaubt. Ehrlich oder rechtschaffen ist in diesem Roman niemand.

Lebenslügen, überhaupt Lügen sind eines der zentralen Themen von Zeltsermans »Killer«, denn nicht nur March macht sich was vor – und auch nicht nur sich selbst. Das wird konsequent durch alle Ebenen getragen. Ein wunderbar schnörkelloser, sehr gut übersetzter Noir, der in seiner Unverfrorenheit diverse Lebenslügen und Trugbilder entlarvt.

Kirsten Reimers

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Dave Zeltserman: Killer
(Killer, 2010)
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Pulp Master 2015
Tb., 262 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-927734-50-0
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satt.org