Südafrika, eine Farm im Nichts. Und aus dem Nichts wird sie von mehreren Seiten plötzlich beschossen. Die Bewohner, eine langansässige weiße Familie, ihre Angestellten und zufällig Anwesende flüchten ins Innere des Hauses und versuchen – ohne Telefonempfang vollständig von der Außenwelt abgeschnitten – sich irgendwie zu wehren.
Rund acht Stunden, von 17:32 bis 2:49 Uhr, so lang dauert die Belagerung in Max Annas’ Roman »Die Farm«. Das Geschehen – versehen mit exakten Zeitangaben – wird aus verschiedenen Perspektiven geschildert, teilweise parallel und sich über- schneidend.
Der Roman hat etwas von einem Kammerspiel: Das Zentrum des Geschehens ist die Farm und ihre direkte Umgebung, nur selten bewegt sich der Blick von dort weg, das Figurenensemble ist übersichtlich. Durch diese Konzentration gelingt es Annas, die tiefen Wunden zu zeigen, die die Jahrzehnte der Apartheid geschlagen haben: die sozialen Abhängigkeiten, die gesellschaftliche Zerklüftung, die immer noch existierende Diskriminierung, den tiefen, gnadenlosen Hass. Ohne Betroffenheitsquark, ohne moralischen Zeigefinger und ohne vereinfachende Schwarzweißzeichnung skizziert der in Deutschland geborene und in Südafrika lebende Autor ein scharfsichtiges Porträt der südafrikanischen Gesellschaft, eingebettet in eine hochspannende Story.
Monster oder Held?
Gerade aus dem Gefängnis entlassen, versucht in Dave Zeltsermans Kriminalroman »Killer« der Mafiakiller Leonard March wieder Fuß zu fassen. Das fällt nicht gerade einfach, wenn man weiß, dass es der ehemalige Auftraggeber sowie die Familien der 28 Todesopfer auf einen abgesehen haben. Dazu die Presse, aber auch Ghostwriter und Anwaltskanzleien, die in der Story des Killers ein gutes Geschäft wittern. Immer wieder wird March mit seiner Vergangenheit konfrontiert, offener Hass und unverhohlene Verachtung schlagen ihm entgegen, auch Angst und ebenso Profitgier.
Abwechselnd wird Marchs Werdegang zum Killer aufgerollt und sein Leben in der Gegenwart dargestellt, seine Versuche, mit seinen Kindern wieder Kontakt aufzunehmen wie auch sein Umgang mit seinen Lebenslügen. Dies geschieht geradlinig, unprätentiös und nicht ohne Gewalt, mit Sinn für Absurditäten und trockenen Humor, zum Beispiel wenn March für einen Moment vom Monster zum Helden wird, weil er einen Überfall verhindert.
Lebenslügen, Lügen überhaupt sind eines der zentralen Themen des Romans, denn nicht nur March macht sich was vor – und auch nicht nur sich selbst. Ein wunderbar schnörkelloser Noir, der in seiner Unverfrorenheit diverse Lebenslügen entlarvt.
Schatten der Vergangenheit
Auf ganz andere Weise geradlinig ist »Das Vergessen« von Denise Mina: Detective Inspector Alex Morrow von der Glasgower Polizei soll als Zeugin gegen Michael Brown aussagen und so die Anklage gegen den Waffenhändler untermauern. Noch während des Prozesses erhält sie die Nachricht, dass Browns Fingerabdrücke bei einem aktuellen Mord aufgetaucht sind. Ein Ding der Unmöglichkeit, sitzt Brown doch seit Wochen im Gefängnis. Das Mordopfer, Aziz Balfour, ist ein wohlhabender Pakistani, der sich für Erdbebenopfer in Pakistan einsetzt – ein beliebter junger Mann, dessen Ermordung eine Menge Fragen aufwirft. Die Spuren, die Alex Morrow verfolgt, reichen zurück bis ins Jahr 1997, in die Nacht, in der Lady Di starb.
»Das Vergessen« von Denise Mina ist ein angenehm unaufdringlicher Krimi, der auf grelle Effekte verzichtet, ohne dabei beschönigend oder harmonietüdelig zu sein. Alex Morrow, die Hauptfigur, ist eine Ermittlerin ohne große emotionale Beschwernisse, Mutter von Zwillingen, glücklich verheiratet, und bemüht, moralisch richtig zu handeln, sich nicht korrumpieren zu lassen – auch wenn das bedeutet, für den Freispruch von jemandem zu kämpfen, der sie bedroht hat, oder gegen korrupte Kollegen vorzugehen. Damit macht sie sich nicht gerade beliebt. Selbstbewusst und ohne laut zu werden verfolgt Alex Morrow einen eigenen Weg. Das macht diesen Kriminalroman so angenehm anders als viele andere – und spannend, vielschichtig sowie scharfsinnig noch dazu.
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Max Annas: Die Farm
Diaphanes 2015
kart., 188 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-03734-701-0
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Dave Zeltserman: Killer
(Killer, 2010)
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Pulp Master 2015
Tb., 262 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-927734-50-0
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Denise Mina: Das Vergessen
(The Red Road, 2013)
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer
Heyne 2014
Tb., 348 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-453-41787-8
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse