In aller Frühe wird Lisa Nerz von einem höllischen Gepolter in der Wohnung über ihr geweckt.
Der körpereigene Adrenalinalarm wuppte mich aus dem Bett und trieb mich in Jeans und Pullover, ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte. (…) Das hölzerne Treppenhaus war dezembernachtkalt. Und es roch nach Stressschweiß. Hier waren Leute mit aggressiven Absichten in den vierten Stock gestiegen. Ich zitterte plötzlich. Nicht vor Kälte. Denn knapp unterhalb meines bundesrepublikanischen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit polizeilicher Maßnahmen staute sich das viel ältere Menschheitswissen von staatlicher Willkür und nächtlichen Abtransporten in Folterlager.
Zwei Frauen vom Jugendamt haben sich Zutritt zur Wohnung der alleinerziehenden zweifachen Mutter Nina Habergeiß verschafft und wollen deren fünfjährigen Sohn Tobias mitnehmen, da der Verdacht besteht, dass das Kind vernachlässigt und misshandelt wird. Lisa Nerz greift ein und kann fürs Erste die Vertreter der Staatsmacht vertreiben. Doch weder die Mutter noch die dreizehnjährige Tochter danken ihr die Einmischung.
Am gleichen Abend lernt Lisa Nerz die Familienrichterin Sonja Depper kennen und verabscheuen, und am kommenden Tag verschwindet der kleine Tobias – vom Jugendamt einfach aus dem Kindergarten abgeholt. Ist das möglich? Schwabenreporterin Lisa Nerz beginnt zu recherchieren. Sie stößt auf nahezu unkontrollierte Machtbefugnisse des Jugendamtes und zahlreiche blinde Flecken beim Thema Sorgerecht. Noch dazu ist plötzlich die Familienrichterin tot, und Nina Habergeiß scheint sich vor Verzweiflung über die Inobhutnahme ihres Sohnes das Leben genommen haben. Zu allem Überfluss verwandelt sich Lisas kopfgesteuerter Staatsanwalt in einen gurrenden, seelig lächelnden Trottel.
Blinde Flecken im Sorgerecht
Kinderwunsch und Kinderwahn, Vernachlässigung und Überforderung, Münchhausen-Stellvertetersyndrom und plötzlicher Kindstod, staatliche Einmischung und Willkür – glasklar und unerbittlich ist der Blick, den Christine Lehmann ist Familien und Fürsorgeeinrichtungen wirft. Und dabei kommt keiner gut weg, weder sind überforderte Mütter hilflose Opfer, noch Mitarbeiter vom Jugendamt selbstlose Helfer. Korruption und selbstgerechtes Gutmenschentum werden ebenso klar beschrieben wie Ohnmacht und unkontrollierte Amtsgewalt.
Die eigentlichen Leidtragenden sind dabei die Kinder, denn sie stehen am untersten Ende der Machtverhältnisse. Ihr Leben ist von Gewalterfahrung geprägt: sei es in körperlicher oder psychischer Form, sei es von elterlicher oder staatlicher Seite. Sie wachsen auf in einer Welt, die ihnen wenig Achtung und Aufmerksamkeit entgegenbringt, die ihnen aus Desinteresse oder Unsicherheit keine Grenzen setzt und keine Verhaltensrichtlinien mitgibt – außer Gewalt.
Präzise und schonungslos
»Mit Teufelsg’walt« bietet keinen Betroffenheitsquark, sondern die präzise und schonungslose Schilderung von genau beobachteten Verhaltensweisen und Verhältnissen. Es ist der achte Fall für Christine Lehmanns unkonventionelle Ermittlerin Lisa Nerz, die – unabhängig, unerschrocken, penetrant – sich in keine Schublade quetschen lässt, die genau hinsieht, den Finger in die Wunde legt und nachbohrt, die nicht nur Verhältnisse und Beziehungen, Überzeugungen und Glaubensgebäude, Werte und Institutionen hinterfragt, sondern auch stets sich selbst.
Es ist ein kraftvolles Buch. Mit seiner engverwobener dichten Sprache überrollt es einen ebenso mit Tempo wie mit Witz und lässt kein Ausweichen zu.
Der Herbst war abgeräumt, der erste Schnee des Winters hatte sich in den Ackerfurchen und Gräben eingelagert. Rabenkrähen schwärmten. Am Flughafen zackten die Dächer der neuen Messe. Das Parkhaus querte wuchtig und weithin sichtbar die Autobahn nach München. Schmal nadelte der Fernsehturm am Horizont.
Das ist stimmig, denn schließlich geht es in »Mit Teufelsg’walt« um Gewalt und Macht auf den unterschiedlichsten Ebenen und in den unterschiedlichsten Ausprägungen – überzeugend und konsequent bis zum schmerzhaft realistischen, unausweichlichen Ende.
Christine Lehmann: Mit Teufelsg’walt
Ariadne im Argument Verlag 2009
kart., 258 Seiten, 11,00 Euro
ISBN: 978-3-86754-179-4 auch erhältlich als eBook (hier klicken)
Am Montag, dem 26. Oktober, lief auf NDR Kultur die Besprechung des Handbuchs von Christine Lehmann und Manfred Büttner: »Von Arsen bis Zielfahndung«. Nun hat der Sender den Beitrag auch als Podcast bereitgestellt – einfach hier klicken, um ihn sich anzuhören.
Heute Mittag war (unerwarteter- und unangekündigterweise) auf NDR Kultur wieder eine Besprechung von Kirsten Reimers von Mord-und-Buch.de zu hören. Vorgestellt wurde das Handbuch von Christine Lehmann und Manfred Büttner: »Von Arsen bis Zielfahndung«. Auf der Website von NDR Kultur lässt sich der Beitrag zumindest lesen. In einigen Tagen dürfte er dort auch hörbar sein – hoffentlich …
Ein notwendiges Nachschlagewerk für alle Krimiautoren und -leser
Ein Mann hat sich an einem Baum erhängt. Der Pathologe Karl Friedrich Börne zieht dem Toten Schuhe und Socken aus und legt einen Finger an die Fußsohle. Seit fünf Stunden sei der Mann tot, verkündet der Pathologe selbstsicher. Beim nächsten Toten genügt es, dass Börne dessen Hals berührt, damit er weiß, dass der Tod von anderthalb Stunden eingetreten ist.
So geschehen im Münsteraner »Tatort« »Höllenfahrt« (Erstausstrahlung am 22. März 2009). Beeindruckend, dieser Börne. Denn was er dort treibt, grenzt an Wahrsagerei. Mit der Realität hat das wenig zu tun. »Denn«, so erklären die Autoren Christine Lehmann und Manfred Büttner, »trotz intensiver Forschung kann man den Todeszeitpunkt derzeit rückblickend nur auf eine Spanne von fünf Stunden eingrenzen.«
Krimis wimmeln von vergleichbaren Fehlern und groben Verfälschungen. Mitunter ist die Entfernung zwischen Realität und Fiktion so groß, dass es schon fast kriminell ist. Um diese Lücke zu verkleinern, gibt es nun das wunderbare Handbuch von Lehmann und Büttner. Den beiden geht es nicht darum, Krimiautoren zu bevormunden oder die Phantasie einzuschränken. Krimis sind Fiktion, und das sollen sie auch bleiben. »Logisch«, meint Manfred Büttner. »Das wissen wir auch und das kommt im Buch hoffentlich auch hinreichend rüber: dass es nicht darum geht, die Wirklichkeit eins zu eins abzubilden. Aber wenn dann Sachen da sind, die überhaupt nicht passen, stört’s einen doch gelegentlich.« Und es gibt definitiv Untergrenzen dessen, was erträglich ist:
Fanny Fuchs hat eine Mordswut auf ihren Mann. Im Streit schubst sie ihn gegen die Eichenschrankwand. Aus dem obersten Fach fällt eine Bronzeplastik auf seinen Schädel. Er ist tot!, stellt Fanny fest. So ganz unrecht ist es ihr nicht. Aber wer wird ihr glauben, dass sie ihn nicht ermordet hat? Die Mordkommission ermittelt. Kommissar Kalle Holbein jagt sie. Fanny taucht unter, doch er trifft sie zufällig in der Sauna, verhaftet sie und triumphiert: »Für den Mord an Ihrem Mann kommen Sie für den Rest Ihres Lebens ins Gefängnis.« Wie soll sie ihm beweisen, dass sie nicht zugeschlagen hat? Sie ergreift sein Handtuch und erdrosselt ihn.
Das Drama einer Frau, die ihren nicht geliebten Mann durch einen Zufall los wird, sich als Gejagte sieht und in ihrer Angst, für den Rest ihres Lebens für einen Mord büßen zu müssen, den sie nicht begangen hat, zur Mörderin wird, mag psychologisch interessant sein, doch würde es sich ums Verrecken in unserer Wirklichkeit nicht zutragen können.
Wechselwirkungen zwischen Fiktion und Realität
Christine Lehmann betont: »Uns lag am Herzen, zu sagen, dass unser Rechtsstaat immer noch ein Rechtsstaat ist und nach bestimmten Regeln funktioniert. Das ist wichtig.« Zumal sich auch in die Berichterstattung in den Nachrichten Fehler einschleichen – wenn zum Beispiel verkündet wird, dass der Staatsanwalt einen Haftbefehl ausgestellt habe, oder wenn es heißt, es habe eine Razzia gegeben, um Beweismaterial sicherzustellen. Und es gibt auch vereinzelte Fälle, in denen gar die Fiktion auf die Realität zurückwirkt und Polizisten sich in Stresssituationen an amerikanischen Krimis ein Vorbild nehmen.
Deshalb klären Lehmann und Büttner auf: Es geht nicht nur um die Grundlagen der Polizei- und Ermittlerarbeit, sondern die Autoren erläutern auch, was bei einer Autopsie passiert oder wie Profiler arbeiten – und wie sie heißen: In Deutschland bezeichnet man sie nämlich als Fallanalytiker; sie arbeiten mit Statistiken, nicht mit genialischer Intuition und unheimlichen Einfühlungsvermögen, wie manche Krimis uns weismachen wollen. Ebenso stellen die beiden Autoren verschiedene Mordwerkzeuge vor und zeigen auf, welchen Schaden diese anrichten können. (Reicht es tatsächlich, einen Föhn in die volle Badewanne zu werfen, um den ungeliebten Erbonkel ins Jenseits zu befördern?) Ein besonderes Bonbon – wenn man so will – ist die Übersicht über tödliche Gifte und ihre Wirkungsweisen.
Dieses notwendige Hintergrundwissen hilft, Krimis realistischer zu gestalten. Christine Lehmann fügt hinzu: »Abgesehen davon macht es die Krimis auch schöner. Denn manchmal steckt in der Polizeiarbeit selbst oder in einem Ermittlungsansatz schon eine Geschichte. Oder man hat in Hierarchien in der Polizei bereits ein Drama, was man für den Krimi verwenden kann. Also, ich finde, dass in der Realität oft Geschichten stecken, die wir nicht entdecken, wenn wir nur phantasieren.«
Amüsant, grundlegend, unentbehrlich
Ausschnitte des Handbuches gibt es seit geraumer Zeit im Titel-Magazin unter der Überschrift »Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde«. Christine Lehmann ist Politik- und Nachrichtenredakteurin beim SWR und schreibt seit vielen Jahren äußerst spannende und präzise recherchierte Kriminalromane; Manfred Büttner ist Steuerfahnder und Dozent an der Hochschule der Polizei – zwei Profis, die ihr Wissen zusammengetragen haben. Und das auf ebenso unterhaltsame wie profunde Weise: Ihr Handbuch ist nicht nur kenntnisreich, sondern auch witzig und frech geschrieben, sodass es für jede Krimiautorin und jeden Krimiautor zum unverzichtbaren Nachschlagewerk werden wird. Darüber hinaus gehört es ebenso in die Hände von Verlagslektoren, Journalisten und Rezensenten, um auch denen das nötige Grundwissen zu vermitteln. Und für interessierte Leserinnen und Leser ist es selbstverständlich ein Gewinn, denn hier wird einem endlich einmal erzählt, was man schon immer über Mord und Totschlag wissen wollte.
Christian Schünemann lässt seinen Starfrisör Tomas Prinz erneut ermitteln
Tot liegt der Dekan der Fakultät für Sprach- und Kulturwissenschaften der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in seinem Büro – gestorben an einer Über- dosis Digitalis. Galt der Anschlag womöglich seiner Frau Mara Markowski, der frisch berufenen Professorin für englische Literatur- wissenschaft? Oder wollte jemand mit drastischen Mitteln gegen die »Markowski-Mafia« vor- gehen, wie unzufriedene Privatdozenten das Paar hinter vorgehaltener Hand betiteln? Da auch Rose- marie, Au-pair-Mädchen der Schwester des Starfrisörs Tomas Prinz, Anglistik- studentin und seit neuestem studentische Hilfskraft der Professorin, sich verdächtig macht, nimmt der Coiffeur der Extraklasse die Ermittlungen auf. Zum dritten Mal und auf seine ebenso charmant-zurückhaltende wie unverwechselbare Weise.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Frisör zum Ermittler zu machen?
Schünemann: Die Idee liegt eigentlich relativ nah, wenn man mal ein bisschen darüber nachdenkt, welche Art Ermittler man wählen könnte. Weil ein Frisör ja immer alles Mögliche hört und sieht; die Leute kommen zu ihm und plaudern dort ganz offenen Herzens. Und der Frisör hört ja sozusagen auch Fortsetzungsgeschichten. Die Idee entstand ganz unspektakulär mit einer Freundin zusammen beim Kaffeetrinken: einfach mal probieren, einen Frisör zum Ermittler zu machen. Von Anfang an war mir aber auch klar, da brauche ich einen richtigen Frisör, der mir hilft bei den Haarschneide- und Haarfärbetechniken.
Dafür haben Sie sozusagen einen externen Berater.
Ganz genau. Ich habe den Ulrich Graf in München gefunden, dessen Salon in der Hans-Sachs-Straße ich nahezu eins zu eins beschreibe. Es hat sich eine richtig schöne Zusammenarbeit entwickelt. Der Ulrich Graf und seine Farbstylistin Moni sind meine ersten Leser. Mit denen bespreche ich die ganzen Frisuren und Haarfarben. Das passiert schon immer vor einem neuen Buch. Bei dem vierten »Frisör«, den ich jetzt gerade schreibe, haben wir am Anfang besprochen, wie die Frisuren aussehen von den Figuren, wenn sie in den Salon kommen.
Bis ins Detail besprechen Sie schon vorab, wie die Figuren aussehen?
Ja, ganz genau. Ich habe zum Beispiel bei einer Figur die Idee, dass sie mit ganz langen Haaren in den Salon kommt und ganz kurze Haare haben will. Und dann überlegen der Ulrich und die Moni gemeinsam mit mir, wie man da vorgeht.
Das Frisieren der Figuren liest sich in Ihren Büchern immer so plastisch und realistisch, dass ich mich schon manchmal gefragt habe, ob Sie vielleicht selbst eine Ausbildung gemacht haben oder zumindest ein Praktikum oder Ähnliches.
Praktikum kann man schon sagen. Ich bin immer mal wieder im Salon und gucke mich da ein bisschen um. Außerdem macht der Ulrich Schulungen für andere Frisöre, die sogenannten Modetage ein-, zweimal im Jahr. Da buchen andere Frisöre von überall bei ihm ein Wochenende, und der Frisör und seine Leute schneiden dann vor Publikum. Das ist für mich superpraktisch, weil das eine der wenigen Situationen ist, in der während des Schneidens über das Schneiden gesprochen wird. Da kann ich dann zum Teil richtig gut mitschreiben, wie etwas gemacht wird. Denn so auf Nachfrage kann der Ulrich das oft gar nicht sagen. Er zeigt mir, wie er vorgeht, ich gucke es mir an und fasse es in Worte, und dann liest der Ulrich es noch einmal gegen und gibt dem Ganzen einen Feinschliff sozusagen.
In den Namen von Tomas Prinz ist ja auch ein bisschen Ulrich Graf eingeflossen.
Ja, genau. Das ist so ein kleiner Scherz gewesen, die Idee, dass ich meinen Frisör Prinz nenne, während der Ulrich eben Graf heißt. Aber sonst ist die Figur eigenständig. Tomas Prinz ist nicht Ulrich Graf. Nur, was das Haareschneiden angeht und seine Philosophie als Frisör und auch die Abläufe im Salon. Das ist schon alles Ulrich Graf. Aber die Figur sonst ist eine Kunstfigur.
Aber da sind doch bestimmt auch Ideen eingeflossen von realen oder fiktiven Figuren, oder?
Ja, klar. Das ist dann so ein Mischmasch. Ein bisschen verändert sich der Frisör ja auch mit jedem Buch. Oder entwickelt sich. Das passiert natürlich beim Schreiben. Aber in den Grundzügen ist er ja vom ersten Buch an skizziert. Ebenso sein Umfeld, also sein Freund in Moskau, die Mutter in Zürich und die Schwester auch in München. Und auch die Stammkunden. Das sind die Figuren, die ich bei jedem Buch wieder benutze. Und dann schubse ich den Frisör in jedem Buch in ein anderes Milieu, in dem dann das Verbrechen stattfindet. Das ist eigentlich das Muster.
Der Frisör ist als Figur sehr dezent angelegt. Und auch sonst verzichten Sie auf alles Grelle und Schrille und ebenso weitgehend auf Klischees.
Ja. Ich glaube, gerade weil es sich so anbietet: schwul sein, Frisör sein, München. Das schreit ja alles nach Klischees. Und außerdem gerate ich eh immer in den Klischeeverdacht. Deshalb fahre ich das dann eher ein bisschen herunter und mache es dezenter.
Sie haben als Storyliner für verschiedene Serien gearbeitet.
Das ist richtig.
Machen Sie das immer noch?
Ja. Am Jahresanfang, also von Januar bis April, war ich in Köln bei der Serie »Verbotene Liebe«. Das mache ich eigentlich immer so im Wechsel. Wenn ein Roman fertig ist, gehe ich wieder zu einer Fernsehserie, wo man mit Kollegen zusammenarbeitet. Das ist eine schöne Abwechslung, dann wieder mit anderen Leuten zusammen zu plotten und zu schreiben. Sozusagen als Erholung von der einsamen Schreibtischtätigkeit.
An welchen Serien haben Sie mitgeschrieben?
Ganz am Anfang bei »Gute Zeiten, schlechte Zeiten«. Da hatte ich gerade begonnen, als der Vertrag mit Diogenes zustande kam für den ersten »Frisör«. Da musste ich dann gleich wieder kündigen. Und nach dem ersten Buch habe ich bei »Verliebt in Berlin« mitgeschrieben. Da war ich einer der Autoren der ersten Stunde und hab auch bis zum Schluss mitgearbeitet. Das hat sehr, sehr viel Spaß gemacht. Deswegen hat der zweite »Frisör«, »Der Bruder«, ein bisschen länger gedauert.
Beeinflusst sich das eigentlich gegenseitig – das Schreiben für Serien und das Schreiben an Krimis?
Ich weiß es nicht so genau. Vielleicht ein bisschen. Aber, wissen Sie, was ganz interessant ist: Es gibt bestimmte Formulierungen in der Storyline, diese schon hundert Mal benutzten Floskeln. Im Roman verwende ich die automatisch nicht, weil das für mich Storyline ist. Das ist wie eine andere Taste, eine andere Schublade. Also, beim Formulieren, da grenze ich mich richtig ab von der Storyline. Aber es gibt bestimmte Kniffe, Spannung zu erzeugen, zum Beispiel Kapitel mit einem kleinen Cliffhanger zu beenden oder so was. Das mache ich dann schon. Ich glaube, bestimmte Techniken benutze ich automatisch von der täglichen Serie, das kleinschrittige Erzählen zum Beispiel oder auch das Weiterspinnen von dem, was mit den Stammpersonen passiert.
»Die Studentin« ist Ihr drittes Buch. Das erste, »Der Frisör«, ist 2004 erschienen. Das heißt, seit mindestens fünf Jahren schreiben Sie jetzt schon Krimis.
Das stimmt. Das sind jetzt schon fünf Jahre …
Hat sich Ihr Schreiben verändert im Laufe der Jahre und im Laufe der Bücher?
Vielleicht ein bisschen. Das könnten Sie vielleicht eher erkennen. Aber vielleicht ja. Meine Lektorin und Freunde, die sagen, sie finden eigentlich jedes Buch besser als vorhergehende. Also vielleicht gibt es da eine Entwicklung. Aber ich kann das selbst gar nicht so genau sagen.
Fällt es Ihnen heute leichter zu schreiben oder …
Nein, nein, das kann ich wirklich nicht sagen.
Eher im Gegenteil?
Also, das Gegenteil auch eigentlich nicht. Jedes Buch ist eher gleich schwer. Aber jetzt, wenn ich so darüber nachdenke: Vielleicht bin ich inzwischen ambitionierter beim Schreiben. Ich bin stärker auf der Suche nach Bildern, nach Vergleichen, die man so noch nicht gelesen hat. Das war beim ersten Buch noch nicht so ausgeprägt. Das entdeckt man dann erst, bestimmte Vorlieben, die man mit der Zeit entwickelt, die man dann natürlich kultiviert. Wissen Sie, mich macht das ganz glücklich. Letztens hat eine Buchhändlerin gesagt, in der Regel sei es so, dass bei einer Serie die Bücher immer schwächer werden, dass sich eine Idee abnutzt. Aber beim »Frisör« hätte sie den Eindruck, da sei das Gegenteil der Fall. Auch sie fand den zweiten besser als den ersten und den dritten besser als den zweiten.
Haben Sie schon vor dem »Frisör« Bücher geschrieben, also Romane oder Erzählungen, sei es für die Schublade oder zur Veröffentlichung?
Nein, gar nicht. Oder nur insofern, dass ich journalistisch geschrieben habe und mit meinen Geschichten oft im Feuilleton gelandet bin. Aber das waren eher Reportagen, die auf einer wahren Geschichte basierten. »Der Frisör« war die erste fiktionale Geschichte.
… die dann auch gleich Anklang fand.
Das ist immer sehr schön; auch jetzt bei der »Studentin«. Es gibt immer wieder Leute, die die Bücher erst jetzt für sich entdecken und die dann auch gleich die drei Bücher hintereinander weglesen. Das heißt, das erste Buch verkauft sich jetzt auch wieder neu. Wenn es keine Folgebücher gäbe, wäre »Der Frisör« vielleicht schon verschwunden. Das ist eigentlich ganz schön bei der Serie: dass die immer wieder neu entdeckt wird.
Haben Sie jemanden vor Augen, für den Sie schreiben?
Niemand Konkretes, aber ja, ich hab schon den Leser im Blick insofern, als ich ihn nicht verlieren will. Ich will ihn nicht langweilen. Man muss das immer ein bisschen ausloten: Kann ich ihm das jetzt auch noch zumuten, diese Schleife auch noch dranhängen? Nicht dass er denkt: Jetzt reicht’s, jetzt werf ich das Buch in die Ecke. Ich will ihn schon bei der Stange halten. An einen konkreten Leser denke ich eigentlich nicht. Aber ich muss schon für einen potenziellen Leser schreiben, sonst wär’s für die Schublade, und das kann ich wirklich nicht. Aber meist vergesse ich den Leser dann auch während des Schreibens, und dann kommt es darauf an, dass mir das Spaß macht und dass ich die Figuren mag. Dann weiß ich automatisch: dann mag es der Leser auch.
Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Ich überleg mir immer zuerst, in welchem Milieu das Buch spielt. Das war beim ersten Buch das Zeitschriftenmilieu, beim zweiten das Künstler- beziehungsweise das Galeristenmilieu und im dritten das Uni-Milieu. Das vierte wird hinter den Kulissen einer täglichen Fernsehserie spielen – also immer da, wo ich mich selbst ein bisschen auskenne. Und dann gucke ich einfach, was ich für ein Personal brauche. Eine bestimmte Anzahl von Figuren sind nötig, und dann schreibe ich über jede Figur einfach, was mir zu ihr einfällt und wie ich mir sie vorstelle, ohne groß auf einen Kriminalfall zu achten. Und dann treibe ich jede einzelne Figur in eine Ecke, wo sie sterben oder zum Mörder werden könnte. Danach entscheide ich: Du stirbst, und alle anderen brauchen ein Motiv. Und dann geht es ans Plotten, also ich gucke, wie kommt es zur Auflösung und was sind die Hintergründe der Tat, was sind die falschen Fährten.
Das heißt, wenn Sie anfangen, haben Sie noch gar keine Vorstellung, wie es verlaufen wird?
Nein, gar nicht. Das kommt erst im Laufe der Zeit. Ich hab nur die Idee für das Milieu, und da pflanz ich dann die verschiedenen Figuren hinein. Bei der »Studentin« ist da dann eine Professorin, eine Studentin, Privatdozenten und so weiter, und ich schaue, wie die so sind. Und dann geht’s meist ganz schnell, dass sie lebendig und eigenständig werden. Auch natürlich das Aussehen und speziell die Haare – und damit kommt dann wieder Ulrich Graf ins Spiel.
Sie schreiben nun schon bereits am nächsten Krimi.
Ja, genau, der Plot steht. Die Lektorin hat’s schon gelesen und abgesegnet. Mit Ulrich Graf hab ich auch schon die Frisuren besprochen. Inzwischen habe ich angefangen, zu schreiben, und bin auf Seite sieben.
Das heißt, nächstes Jahr erscheint es dann.
Das hoffe ich. Das hoffe ich.
Warum Krimis?
Weil das so herrlich ist. Da haben Sie ganz automatisch eine dramatische Handlung, immer etwas, das den Plot vorantreibt, sodass die Geschichte eigentlich nie absacken kann, weil es immer etwas gibt, das interessant bleibt. Und das kann man auch benutzen, um die privaten Geschichten zu erzählen. Weshalb ich den Frisör auch sehr liebe, weil der ja immer auch Frisör ist und sein anderes Leben hat. Es gibt immer den Punkt, an dem er sagen muss, ich kann mich jetzt nicht mehr um den Mörder kümmern, ich habe meinen vollen Terminkalender und muss Haare schneiden. Das heißt, der muss auch immer wieder zurück in den Salon. Dann gleichzeitig aber passiert wieder irgendetwas, weshalb er wieder auf Mörderjagd geht sozusagen. Deshalb finde ich den Krimi einfach herrlich, weil man das beides so schön miteinander verknüpfen kann.