»Und dann schubse ich den Frisör in jedem Buch in ein anderes Milieu«

Christian Schünemann lässt seinen Starfrisör Tomas Prinz erneut ermitteln

Tot liegt der Dekan der Fakultät für Sprach- und Kulturwissenschaften der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in seinem Büro – gestorben an einer Über- dosis Digitalis. Galt der Anschlag womöglich seiner Frau Mara Markowski, der frisch berufenen Professorin für englische Literatur- wissenschaft? Oder wollte jemand mit drastischen Mitteln gegen die »Markowski-Mafia« vor- gehen, wie unzufriedene Privatdozenten das Paar hinter vorgehaltener Hand betiteln? Da auch Rose- marie, Au-pair-Mädchen der Schwester des Starfrisörs Tomas Prinz, Anglistik- studentin und seit neuestem studentische Hilfskraft der Professorin, sich verdächtig macht, nimmt der Coiffeur der Extraklasse die Ermittlungen auf. Zum dritten Mal und auf seine ebenso charmant-zurückhaltende wie unverwechselbare Weise.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Frisör zum Ermittler zu machen?

Schünemann: Die Idee liegt eigentlich relativ nah, wenn man mal ein bisschen darüber nachdenkt, welche Art Ermittler man wählen könnte. Weil ein Frisör ja immer alles Mögliche hört und sieht; die Leute kommen zu ihm und plaudern dort ganz offenen Herzens. Und der Frisör hört ja sozusagen auch Fortsetzungsgeschichten. Die Idee entstand ganz unspektakulär mit einer Freundin zusammen beim Kaffeetrinken: einfach mal probieren, einen Frisör zum Ermittler zu machen. Von Anfang an war mir aber auch klar, da brauche ich einen richtigen Frisör, der mir hilft bei den Haarschneide- und Haarfärbetechniken.

Dafür haben Sie sozusagen einen externen Berater.

Ganz genau. Ich habe den Ulrich Graf in München gefunden, dessen Salon in der Hans-Sachs-Straße ich nahezu eins zu eins beschreibe. Es hat sich eine richtig schöne Zusammenarbeit entwickelt. Der Ulrich Graf und seine Farbstylistin Moni sind meine ersten Leser. Mit denen bespreche ich die ganzen Frisuren und Haarfarben. Das passiert schon immer vor einem neuen Buch. Bei dem vierten »Frisör«, den ich jetzt gerade schreibe, haben wir am Anfang besprochen, wie die Frisuren aussehen von den Figuren, wenn sie in den Salon kommen.

Bis ins Detail besprechen Sie schon vorab, wie die Figuren aussehen?

Ja, ganz genau. Ich habe zum Beispiel bei einer Figur die Idee, dass sie mit ganz langen Haaren in den Salon kommt und ganz kurze Haare haben will. Und dann überlegen der Ulrich und die Moni gemeinsam mit mir, wie man da vorgeht.

Das Frisieren der Figuren liest sich in Ihren Büchern immer so plastisch und realistisch, dass ich mich schon manchmal gefragt habe, ob Sie vielleicht selbst eine Ausbildung gemacht haben oder zumindest ein Praktikum oder Ähnliches.

Praktikum kann man schon sagen. Ich bin immer mal wieder im Salon und gucke mich da ein bisschen um. Außerdem macht der Ulrich Schulungen für andere Frisöre, die sogenannten Modetage ein-, zweimal im Jahr. Da buchen andere Frisöre von überall bei ihm ein Wochenende, und der Frisör und seine Leute schneiden dann vor Publikum. Das ist für mich superpraktisch, weil das eine der wenigen Situationen ist, in der während des Schneidens über das Schneiden gesprochen wird. Da kann ich dann zum Teil richtig gut mitschreiben, wie etwas gemacht wird. Denn so auf Nachfrage kann der Ulrich das oft gar nicht sagen. Er zeigt mir, wie er vorgeht, ich gucke es mir an und fasse es in Worte, und dann liest der Ulrich es noch einmal gegen und gibt dem Ganzen einen Feinschliff sozusagen.

In den Namen von Tomas Prinz ist ja auch ein bisschen Ulrich Graf eingeflossen.

Ja, genau. Das ist so ein kleiner Scherz gewesen, die Idee, dass ich meinen Frisör Prinz nenne, während der Ulrich eben Graf heißt. Aber sonst ist die Figur eigenständig. Tomas Prinz ist nicht Ulrich Graf. Nur, was das Haareschneiden angeht und seine Philosophie als Frisör und auch die Abläufe im Salon. Das ist schon alles Ulrich Graf. Aber die Figur sonst ist eine Kunstfigur.

Aber da sind doch bestimmt auch Ideen eingeflossen von realen oder fiktiven Figuren, oder?

Ja, klar. Das ist dann so ein Mischmasch. Ein bisschen verändert sich der Frisör ja auch mit jedem Buch. Oder entwickelt sich. Das passiert natürlich beim Schreiben. Aber in den Grundzügen ist er ja vom ersten Buch an skizziert. Ebenso sein Umfeld, also sein Freund in Moskau, die Mutter in Zürich und die Schwester auch in München. Und auch die Stammkunden. Das sind die Figuren, die ich bei jedem Buch wieder benutze. Und dann schubse ich den Frisör in jedem Buch in ein anderes Milieu, in dem dann das Verbrechen stattfindet. Das ist eigentlich das Muster.

Der Frisör ist als Figur sehr dezent angelegt. Und auch sonst verzichten Sie auf alles Grelle und Schrille und ebenso weitgehend auf Klischees.

Ja. Ich glaube, gerade weil es sich so anbietet: schwul sein, Frisör sein, München. Das schreit ja alles nach Klischees. Und außerdem gerate ich eh immer in den Klischeeverdacht. Deshalb fahre ich das dann eher ein bisschen herunter und mache es dezenter.

Sie haben als Storyliner für verschiedene Serien gearbeitet.

Das ist richtig.

Machen Sie das immer noch?

Ja. Am Jahresanfang, also von Januar bis April, war ich in Köln bei der Serie »Verbotene Liebe«. Das mache ich eigentlich immer so im Wechsel. Wenn ein Roman fertig ist, gehe ich wieder zu einer Fernsehserie, wo man mit Kollegen zusammenarbeitet. Das ist eine schöne Abwechslung, dann wieder mit anderen Leuten zusammen zu plotten und zu schreiben. Sozusagen als Erholung von der einsamen Schreibtischtätigkeit.

An welchen Serien haben Sie mitgeschrieben?

Ganz am Anfang bei »Gute Zeiten, schlechte Zeiten«. Da hatte ich gerade begonnen, als der Vertrag mit Diogenes zustande kam für den ersten »Frisör«. Da musste ich dann gleich wieder kündigen. Und nach dem ersten Buch habe ich bei »Verliebt in Berlin« mitgeschrieben. Da war ich einer der Autoren der ersten Stunde und hab auch bis zum Schluss mitgearbeitet. Das hat sehr, sehr viel Spaß gemacht. Deswegen hat der zweite »Frisör«, »Der Bruder«, ein bisschen länger gedauert.

Beeinflusst sich das eigentlich gegenseitig – das Schreiben für Serien und das Schreiben an Krimis?

Ich weiß es nicht so genau. Vielleicht ein bisschen. Aber, wissen Sie, was ganz interessant ist: Es gibt bestimmte Formulierungen in der Storyline, diese schon hundert Mal benutzten Floskeln. Im Roman verwende ich die automatisch nicht, weil das für mich Storyline ist. Das ist wie eine andere Taste, eine andere Schublade. Also, beim Formulieren, da grenze ich mich richtig ab von der Storyline. Aber es gibt bestimmte Kniffe, Spannung zu erzeugen, zum Beispiel Kapitel mit einem kleinen Cliffhanger zu beenden oder so was. Das mache ich dann schon. Ich glaube, bestimmte Techniken benutze ich automatisch von der täglichen Serie, das kleinschrittige Erzählen zum Beispiel oder auch das Weiterspinnen von dem, was mit den Stammpersonen passiert.

»Die Studentin« ist Ihr drittes Buch. Das erste, »Der Frisör«, ist 2004 erschienen. Das heißt, seit mindestens fünf Jahren schreiben Sie jetzt schon Krimis.

Das stimmt. Das sind jetzt schon fünf Jahre …

Hat sich Ihr Schreiben verändert im Laufe der Jahre und im Laufe der Bücher?

Vielleicht ein bisschen. Das könnten Sie vielleicht eher erkennen. Aber vielleicht ja. Meine Lektorin und Freunde, die sagen, sie finden eigentlich jedes Buch besser als vorhergehende. Also vielleicht gibt es da eine Entwicklung. Aber ich kann das selbst gar nicht so genau sagen.

Fällt es Ihnen heute leichter zu schreiben oder …

Nein, nein, das kann ich wirklich nicht sagen.

Eher im Gegenteil?

Also, das Gegenteil auch eigentlich nicht. Jedes Buch ist eher gleich schwer. Aber jetzt, wenn ich so darüber nachdenke: Vielleicht bin ich inzwischen ambitionierter beim Schreiben. Ich bin stärker auf der Suche nach Bildern, nach Vergleichen, die man so noch nicht gelesen hat. Das war beim ersten Buch noch nicht so ausgeprägt. Das entdeckt man dann erst, bestimmte Vorlieben, die man mit der Zeit entwickelt, die man dann natürlich kultiviert. Wissen Sie, mich macht das ganz glücklich. Letztens hat eine Buchhändlerin gesagt, in der Regel sei es so, dass bei einer Serie die Bücher immer schwächer werden, dass sich eine Idee abnutzt. Aber beim »Frisör« hätte sie den Eindruck, da sei das Gegenteil der Fall. Auch sie fand den zweiten besser als den ersten und den dritten besser als den zweiten.

Haben Sie schon vor dem »Frisör« Bücher geschrieben, also Romane oder Erzählungen, sei es für die Schublade oder zur Veröffentlichung?

Nein, gar nicht. Oder nur insofern, dass ich journalistisch geschrieben habe und mit meinen Geschichten oft im Feuilleton gelandet bin. Aber das waren eher Reportagen, die auf einer wahren Geschichte basierten. »Der Frisör« war die erste fiktionale Geschichte.

… die dann auch gleich Anklang fand.

Das ist immer sehr schön; auch jetzt bei der »Studentin«. Es gibt immer wieder Leute, die die Bücher erst jetzt für sich entdecken und die dann auch gleich die drei Bücher hintereinander weglesen. Das heißt, das erste Buch verkauft sich jetzt auch wieder neu. Wenn es keine Folgebücher gäbe, wäre »Der Frisör« vielleicht schon verschwunden. Das ist eigentlich ganz schön bei der Serie: dass die immer wieder neu entdeckt wird.

Haben Sie jemanden vor Augen, für den Sie schreiben?

Niemand Konkretes, aber ja, ich hab schon den Leser im Blick insofern, als ich ihn nicht verlieren will. Ich will ihn nicht langweilen. Man muss das immer ein bisschen ausloten: Kann ich ihm das jetzt auch noch zumuten, diese Schleife auch noch dranhängen? Nicht dass er denkt: Jetzt reicht’s, jetzt werf ich das Buch in die Ecke. Ich will ihn schon bei der Stange halten. An einen konkreten Leser denke ich eigentlich nicht. Aber ich muss schon für einen potenziellen Leser schreiben, sonst wär’s für die Schublade, und das kann ich wirklich nicht. Aber meist vergesse ich den Leser dann auch während des Schreibens, und dann kommt es darauf an, dass mir das Spaß macht und dass ich die Figuren mag. Dann weiß ich automatisch: dann mag es der Leser auch.

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?

Ich überleg mir immer zuerst, in welchem Milieu das Buch spielt. Das war beim ersten Buch das Zeitschriftenmilieu, beim zweiten das Künstler- beziehungsweise das Galeristenmilieu und im dritten das Uni-Milieu. Das vierte wird hinter den Kulissen einer täglichen Fernsehserie spielen – also immer da, wo ich mich selbst ein bisschen auskenne. Und dann gucke ich einfach, was ich für ein Personal brauche. Eine bestimmte Anzahl von Figuren sind nötig, und dann schreibe ich über jede Figur einfach, was mir zu ihr einfällt und wie ich mir sie vorstelle, ohne groß auf einen Kriminalfall zu achten. Und dann treibe ich jede einzelne Figur in eine Ecke, wo sie sterben oder zum Mörder werden könnte. Danach entscheide ich: Du stirbst, und alle anderen brauchen ein Motiv. Und dann geht es ans Plotten, also ich gucke, wie kommt es zur Auflösung und was sind die Hintergründe der Tat, was sind die falschen Fährten.

Das heißt, wenn Sie anfangen, haben Sie noch gar keine Vorstellung, wie es verlaufen wird?

Nein, gar nicht. Das kommt erst im Laufe der Zeit. Ich hab nur die Idee für das Milieu, und da pflanz ich dann die verschiedenen Figuren hinein. Bei der »Studentin« ist da dann eine Professorin, eine Studentin, Privatdozenten und so weiter, und ich schaue, wie die so sind. Und dann geht’s meist ganz schnell, dass sie lebendig und eigenständig werden. Auch natürlich das Aussehen und speziell die Haare – und damit kommt dann wieder Ulrich Graf ins Spiel.

Sie schreiben nun schon bereits am nächsten Krimi.

Ja, genau, der Plot steht. Die Lektorin hat’s schon gelesen und abgesegnet. Mit Ulrich Graf hab ich auch schon die Frisuren besprochen. Inzwischen habe ich angefangen, zu schreiben, und bin auf Seite sieben.

Das heißt, nächstes Jahr erscheint es dann.

Das hoffe ich. Das hoffe ich.

Warum Krimis?

Weil das so herrlich ist. Da haben Sie ganz automatisch eine dramatische Handlung, immer etwas, das den Plot vorantreibt, sodass die Geschichte eigentlich nie absacken kann, weil es immer etwas gibt, das interessant bleibt. Und das kann man auch benutzen, um die privaten Geschichten zu erzählen. Weshalb ich den Frisör auch sehr liebe, weil der ja immer auch Frisör ist und sein anderes Leben hat. Es gibt immer den Punkt, an dem er sagen muss, ich kann mich jetzt nicht mehr um den Mörder kümmern, ich habe meinen vollen Terminkalender und muss Haare schneiden. Das heißt, der muss auch immer wieder zurück in den Salon. Dann gleichzeitig aber passiert wieder irgendetwas, weshalb er wieder auf Mörderjagd geht sozusagen. Deshalb finde ich den Krimi einfach herrlich, weil man das beides so schön miteinander verknüpfen kann.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Kirsten Reimers

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