Literaturtheoretisches, spannend und abgründig verpackt
Wie wichtig ist die Person des Autors für das Verständnis seines Werks? Ende der sechziger Jahre proklamierte Roland Barthes den Tod des Autors: Literatur steht für sich, der Autor, seine Biographie und seine Absichten sind zweitrangig. Nur wenig später strahlte – zumindest in Louise Welsh’s Roman »Das Alphabet der Knochen« (im Original »Naming the Bones«, 2010) – der Dichter Archie Lunan kurz und kräftig am Poetenhimmel auf. Dr. Murray Watson, Literatur- dozent an der Uni Glasgow, ist seit seiner Jugend fasziniert von diesem Lyriker, über den nur wenig bekannt ist – außer dass er in seinem kurzen, heftigen, von Drogen und Alkohol geprägten Leben einen Gedichtband veröffentlichte und wenig später mit einer kleinen lecken Jolle auf die stürmische Nordsee hinaus segelte.
Für seine geplante Biografie des Dichters kann Dr. Watson nur auf wenige Dokumente zurückgreifen, deshalb beginnt er, mit Zeitzeugen und früheren Freunden Lunans zu sprechen. Davon gibt es in seiner Umgebung weitaus mehr, als er zuvor vermutet hätte. Doch näher an seinen Forschungsgegenstand bringt ihn dies nicht, denn seine Gesprächspartner schönen die Vergangenheit, sparen Dinge aus, interpretieren ihre eigene Rolle damals um. Damals, das sind die rebellisch-psychedelischen Tage Anfang der siebziger Jahre, als die Neugestaltung der Welt dank Literatur, Alkohol, bewusstseinserweiternden Drogen, New Age und Okkultismus kurz bevorzustehen schien.
Wirklichkeit entsteht im Diskurs
Doch selbst wenn Murray sich dicht auf Archie Lunans Spuren wähnt, entzieht sich der ins Dunkel das Ungreifbaren, nur gespiegelt durch die Erinnerungen anderer, die mehr über sich selbst als über den Gesprächsgegenstand aussagen. Den treffendsten Kommentar gibt ein Kater, der völlig zufällig den gleichen Namen trägt:
»Archie, der Kater, erhob sich auf Murrays Schoß, reckte den Schwanz in die Höhe und bot eine Frontalansicht des winzigen Arschlochs in der Mitte seines schlanken Hinterteils.«
Statt über Lunan erfährt Murray eine ganze Menge äußerst Verstörendes über andere Menschen und sich, was ihm lieber verborgen geblieben wäre.
Louise Welsh beherrscht es perfekt, mit jeder Antwort weitere Fragen aufzuwerfen. Dadurch entwickelt sich ein dunkler Sog, der tief ins Ungewisse führt. Welsh ist eine Meisterin des Vagen und Opaken. Wahrheit? Eindeutigkeit? Überschätzt und eh unmöglich, denn Erinnern und Erzählen bedeuten neu konstruieren, die Vergangenheit wird im Heute erschaffen, und Fakten bilden kaum mehr als einen Webrahmen, in dem sich die Netze des Damals immer wieder neu spinnen lassen. Oder um es mit Barthes (und Foucault) zu sagen: Wirklichkeit entsteht im Diskurs.
Welsh mischt in ihrem vierten Buch höchst souverän Elemente des Campusromans, des Krimis und der Künstlernovelle. Die Fragen, wie Vergangenheit (re-)konstruiert wird und welche Bedeutung die Person des Künstlers für die Kunst hat, spiegeln sich bis in die Nebenhandlungen hinein. Das ist wirklich gut geformt, intelligent, spannend und ungeheuer dicht.
Dr. Peter Brown hieß früher Pietro Brnwa und war Profikiller für die Mafia. Heute ist er im Zeugenschutzprogramm des FBI und Assistenzarzt im Manhattan Catholic Hospital in New York. Das ist zwar gewagt für einen Ex-Mafioso aus New Jersey, aber hier wird schon kein Mobster auftauchen, schließlich können die sich bessere Krankenhäuser leisten. Davon ist Brown überzeugt – bis ein Mafioso eingeliefert wird, der ihn erkennt. Und nicht nur das: Der verpfeift ihn an seinen früheren besten Freund, heute Todfeind. Die einzige Möglichkeit für Brown, da lebend rauszukommen, ist dafür zu sorgen, dass der Mobster überlebt – keine leichte Aufgabe angesichts von Krebs im Endstadium.
Es wird nicht einfacher dadurch, dass Brown durch einen blöden Zufall mit irgendetwas Undefinierbaren infiziert wird und er durch seine Arbeit als Assistenzarzt sowieso ständig extrem unter Strom steht. Also: verschiedenste Antibiotika und noch mehr Wachmacher eingeworfen, und los geht’s.
»Die Station ist ein Alptraum«
Wie Brown durch das Krankenhaus rast, um das Leben anderer und das eigene zu retten, erinnert an eine Flipperkugel auf Speed. Er hechtet von Patient zu Patient, von Station zu Station und kommentiert in grandiosen Fußnoten den Alltag des Medizinerdaseins. Bazell legt in seinem Debüt (im Original: »Beat the Reaper«, 2009) ein hohes Tempo vor, und er hält es gekonnt durch. Da sieht man mal, welche Welten sich eröffnen, wenn man wie Bazell Literatur und Medizin studiert hat.
Mit der Genialität eines Dr. House erkennt Bazells Dr. Brown die ungewöhnlichsten Krankheiten und unterläuft dies gleichzeitig souverän parodistisch. Dazu kommt die schon fast sprichwörtliche Ausbeutung von Assistenzärzten, wodurch Anklänge an frühe Folgen von »Grey’s Anatomy« und »Emergency Room« hineinkommen. Ebenso gibt es zahllose weitere Zitate aus der Popkultur, Seitenhiebe auf das amerikanische Gesundheitswesen, die Wechselbeziehung von Fiktion und Realität und und und. Dies alles bringt Bazell auf gerade mal 304 Seiten unter, und er schafft es auch noch, Brown in Rückblenden erzählen zu lassen, wie es überhaupt zu dieser Situation kommen konnte. Das Ganze kulminiert im ekligsten und originellsten Showdown seit langem. (Um das lesen zu können, musste ich mir ein Auge zuhalten.)
Dieses Buch ist rasant, lakonisch, abgebrüht, drogenstarrend, voller abstruser Überraschungen, brutal, respektlos, intelligent, mit tiefschwarzem Humor und einer sagenhaften Unverfrorenheit versehen – kurz: Es ist wirklich klasse.
Große Gefühle, fiese Schurken, eiskalte Psychopathen, ewig währende Liebe, atemberaubende Spannung und noch eine ganze Menge mehr sollen »Julia« und »Hingabe« bereithalten. Ob das wirklich alles da ist? Und ob sich die Bücher außerdem noch angenehm lesen lassen?
Anne Fortier: Julia
Die 25-jährige Amerikanerin Julia erbt beim Tod der Tante, die sie und ihre Zwillingsschwester Janice an Mutterstatt erzogen hat, den Schlüssel zu einem Bankschließfach in Siena. Doch darin versteckt sich nicht der erhoffte Familienschatz, sondern Notizen und alte Manuskripte. Bei deren Lektüre muss Julia feststellen, dass sie offenbar verwandt ist mit der Shakespearschen Julia – genau: jener aus »Romeo und Julia« -, beziehungsweise deren realen Vorbild. Frühe Fassungen der unglücklichen Liebesgeschichte, auf die auch der britische Dramatiker zurückgriff, siedeln die ursprüngliche Begebenheit in Siena an. Dort befehdeten sich im späten Mittelalter die Familien Tolomei und Salimbieni aufs Blutigste – und Julia ist ein Spross der Tolomei. Doch damit nicht genug: Auf den Familien scheint bis heute ein Fluch zu liegen, und die Feindschaft ist so frisch wie ehedem. Damit beginnt ein Abenteuer mit finsteren Schurken, ewiger Liebe und einem verborgenen Schatz.
Das klingt ziemlich abgedroschen und schmalzig – doch tatsächlich schafft es Anne Fortier, haarscharf am unerträglich Süßlichen vorbeizuschrappen. Die Figuren sind nicht ganz so klischeelastig, wie sie im ersten Augenblick scheinen, denn ihr Verhalten wird ziemlich gut motiviert und recht plausibel in den Persönlichkeiten verankert. Die Handlung wechselt zwischen dem 14. Jahrhundert und der Gegenwart. Für die mittelalterlichen Passagen hat Fortier offenbar auf historische Dokumente und alte Fassungen der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt zurückgegriffen. Die Gegenwart wird aus Sicht der naiven, verträumten Julia geschildert, und zwar rollengerecht romantisch-verklärt. Doch die sarkastischen Bemerkungen, mit denen die illusionslose Janice die versponnene Perspektive der Zwillingsschwester immer wieder konterkariert, verhindern ein Abgleiten ins Zuckrige. Mitunter wird es munter überdreht, mit Zufällen und netten Einfällen gespickt, so dass keinerlei düstere Dramatik aufkommen will, wie der Trailer suggeriert. Stattdessen ist »Julia« (»Juliet«, 2010) eine fluffig-leichte Sommerschmonzette, die sich selbst nicht übermäßig ernst nimmt.
Esther Verhoef: Hingabe
Deutlich gravitätischer kommt Esther Verhoefs »Hingabe« (»Close-up«, 2007) daher. Dessen Protagonistin ist die 32-jährige Margot, die ihren langjährigen und untreuen Freund verlassen hat. Margot zieht aus ihrem Heimatdorf in die nächstgrößere Stadt, lernt einen ebenso attraktiven wie undurchsichtigen Mann kennen und löst sich vom Altbekannten und Ver- trauten. Dies könnte ein solider Roman über erwachende Selbstbestimmung sein. Denn Verhoef schafft es, ihre Hauptfigur nach und nach selbstbewusster und mutiger agieren zu lassen, ohne groß darüber reflektieren zu müssen oder gar zu dozieren. Das ist ein sehr überzeugender Prozess. Nicht neu, nicht überraschend, aber gut gemacht.
Doch leider wird dem Ganzen eine Thrillerhandlung aufgepfropft. Während Margot neue Seiten an sich, der Welt und dem Sex entdeckt, nimmt sie ein psychopathischer Mörder ins Visier. In kurzen Kapiteln schildert der seine Leidenschaft, seine Handlungen und Pläne. Das ist weder spannend noch wirklich überzeugend, denn die Motivation dahinter ist eher dürftig. So wirkt Esther Verhoefs »Hingabe« wie ein unentschiedener Hybrid, der sich letztlich im Banalen verliert.
Esther Verhoef: Hingabe
Aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer
btb 2010
geb., 413 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-442-75238-6 auch erhältlich als eBook (hier klicken)
Von Finnland über Tibet nach Serbien und Frankreich
Drei Krimis aus der Aufbau Verlagsgruppe: Alle drei führen in verschiedene Ecken der Welt und auf unterschiedliche Ebenen von Realität, stets aber in unsichere Randbezirke. Eines jedoch eint sie: das Ambulatorium. Kaum noch gebräuchlich, findet sich dieser Begriff in allen dreien. Aber das mehr am Rande.
Taavi Soininvaara: Der Finne
In Finnland ist Soininvaara eine große Nummer in der Krimilandschaft. Sein »Finnisches Requiem« wurde zum besten finnischen Kriminalroman gekürt, mehrere seiner Bücher wurde verfilmt. Auf Deutsch sind bislang sieben Krimis von Soininvaara erschienen. Der aktuellste trägt den etwas unspezifischen Titel »Der Finne« (im Original: »Marsalkan miekka«). In ihm schickt der Autor seinen Serienhelden Arto Ratamo, Ermittler bei der Sicherheitspolizei, gemein- sam mit einem Historiker und einer Wanderführerin auf die Suche nach einem historischen Dokument, genannt »Das Schwert des Marschalls«. Dieses Manuskript ist der Schlüssel für die »Unabhängigkeit Finnlands heute und in aller Zukunft« (jaha!) und ist der Grund, warum Finnland nicht komplett vom mächtigen Nachbarn Russland geschluckt wurde. Klar, dass mehrere Parteien ein Interesse haben, an das Buch heranzukommen. Neben dem Trio ist auch der russische Geheimdienst hinter dem Buch her, und die russische Kirche hat ein ganz eigenes Interesse an dem Dokument.
Und so hetzen Ermittler Arto, Historiker Eerik und Fremdenführerin Taru von Hinweis zu Hinweis, in ihrem Nacken stets der heiße Atem der Verfolger, zu denen sich auch ein skrupelloser Auftragskiller gesellt. Es steht nichts Geringeres auf dem Spiel als die Existenz des finnischen Staats und der russischen Regierung.
Also – zumindest theoretisch. Denn tatsächlich ist diese Rätselralley in das Grenzgebiet zwischen Finnland und Russland und wieder zurück, an historische Stätten Finnlands und in seine Geschichte, durch Missetaten der russischen Regierung gegen ihre Bevölkerung total langweilig. Zweidimensionale Figuren, hölzerne Dialoge, typisch Skandinavienkrimi-mäßige Persönlichkeitsprobleme, vollkommene Humorlosigkeit, steife Bierernstigkeit, Gefühlsumschwünge im Sekundentakt auf Knopfdruck und eine etwas verworrene Handlung, die aber eigentlich die immergleiche Schleife fährt, machen das Buch nicht gerade zu einem Lesegenuss. Die ziemlich ungelenke Übersetzung tut ein Übriges hinzu, sodass man das Buch gern wieder beiseite legt.
Eliot Pattison: Der tibetische Verräter
Ganz anders verhält es sich mit Eliot Pattisons sechsten Band um seinen chinesischen Ex-Ermittler Shan. In China in Ungnade gefallen, lebt Shan nach Jahren im Gulag heute illegal in Tibet. Von den Chinesen verachtet, von den Tibetern als Teil der feindlichen Besatzer äußerst misstrauisch beäugt, schlägt er sich mit niederen Jobs durch. Im aktuellen Buch – »Der tibetische Verräter«, im Original »The Lord of Death« (2009) – hat er in den Bergen Tibets Arbeit gefunden bei einem Geschäftsmann, der unter anderem Ausrüstungen für Kletterexpeditionen verkauft. Shan ist in diese Gegend ge- kommen, weil sein Sohn hier in einem berüchtigten Lager interniert wurde, das auch als »Yeti-Fabrik« bekannt ist: eine psychiatrische Anstalt, in der mit den Insassen experimentiert wird; wem die Flucht gelingt, stolpert meist ziellos durch die Berge, »nackt, im Schnee, mit den geistigen Fähigkeiten von Affen«.
Als ganz in der Nähe ein Attentat auf die chinesische Tourismusministerin verübt wird, ist Shan als einer der Ersten zur Stelle. Das macht ihn den chinesischen Behörden verdächtig: Er wird verhaftet, gefoltert und schließlich wieder freigelassen. Stattdessen ist nun Oberst Tan ins Visier der Polizei geraten – und er ist der Einzige, der Shan helfen kann, seinen Sohn zu retten. Also beginnt Shan zu ermitteln, um im Gegenzug für Tans Freiheit das Leben seines Sohnes zu erhandeln.
Die Suche nach Tätern und Hintergründen führt zurück in die Zeit der Besetzung Tibets durch China, der Verheerungen durch Maos Rote Garden während der chinesischen Kulturrevolution und der tibetischen Wiederstandsarmee Vier Flüsse, sechs Gebirge, deren letzte Überbleibsel erst 1971 die Waffen niederlegten. Aber auch die Gegenwart bietet Sprengstoff: die Bergsteigerindustrie, die zwar Geld ins Land bringt, die aber auch die heiligen Berge vermüllt und profanisiert, die allgegenwärtige Bespitzelung und grausame Unterdrückung durch die Besatzer, die Zerstörung der tibetischen Kultur.
Es ist eindeutig, wo Pattisons Sympathien liegen. Und das könnte zu einem fürchterlich bedrückenden, gutmenschelnden und anklagenden Geschreibsel führen. Aber Pattison hütet sich vor einfachen Konstruktionen. Und er vermeidet jede Schwarzweiß-Zeichnung und folkloristische Exotisierung. Stattdessen hat er mit seiner Hauptfigur einen Außenseiter geschaffen, der einen Blick unten auf eine unvertraute, aber nicht vollkommen fremde Kultur wirft, die eine andere Weltinterpretation bietet. Mit Rationalität ist das nicht immer zu fassen. So ist die Handlung nicht immer leicht nachzuvollziehen, weil sie komplex und mehrbödig ist und nicht immer zwingend linear, sondern in Kreisen und Schleifen, in Gleichgewichten und Spiralen verläuft.
Pattison schildert das Tibet der Gegenwart zwischen Tradition und Moderne, zwischen Fremdbestimmung und Selbstbehauptung. Wie der Autor im Nachwort seines Buches sagt, habe er in allen seinen Romanen »besonderes Augenmerk darauf gelegt, das politische und soziale Elend der Tibeter nicht zu überzeichnen«, dennoch sind die Lebensumstände erschreckend. Trotzdem schafft es Pattison, seinen Romanen eine Ruhe zu geben, die beeindruckt. Und einen zarten, untergründigen Witz, der die Absurditäten, die sich aus diesem Leben ergeben, bestechend einfängt.
Fred Vargas: Der verbotene Ort
Gleich mehrere und dabei völlig unterschiedliche Grenzregionen berührt Fred Vargas’ Roman »Der verbotene Ort« (»Un lieu incertain«, 2008), der im Frühling 2009 bei Aufbau erschienen ist. 17 Schuhe, die vor dem Londoner Friedhof Highgate stehen, und ein bemerkenswert schauriger Mord, bei dem das Opfer in zahllose Einzelteile zerrieben, zerrissen und zerquetscht wurde, führen Kommissar Adamsberg, den intuitiven Wolken- schaufler, in ein kleines Dorf in Serbien. Dort gelangt er an den »verbotenen Ort«: das Grab des Untoten Peter Plogojowitz. Den hat es tatsächlich gegeben – nicht oder vermutlich doch gestorben 1725 -, ebenso wie Arnold Paole, der aus der gleichen Gegend stammt – und 1732 vielleicht gestorben ist.
Diese beiden dokumentierten Fälle gelten als zwei der bekanntesten Beispiele von Vampirismus oder zumindest dem Glauben daran. Vargas verbindet und vermischt sie mit vielen anderen phantastischen Dingen – unter anderem einem Mann, der einen Schrank gegessen hat, und einem Mann, der das Sofa des Kammerdieners von Immanuel Kant besitzt – zu einem wunderbar versponnenen Krimi, der letztlich aber tatsächlich im Rationalen wurzelt. Das macht sie in ihrer bezaubernden Erzählweise, die Realitäten, Mythen, Irrationales und Klischees unbekümmert unterläuft.
Taavi Soininvaara: Der Finne
Aus dem Finnischen von Peter Uhlmann
Aufbau Verlag 2009
geb., 398 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-351-03270-8 auch erhältlich als eBook (hier klicken)
Eliot Pattison: Der tibetische Verräter
Aus dem Amerikanischen von Edgar Rai
Rütten & Loening 2009
geb., 358 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-352-00765-1 auch erhältlich als eBook (hier klicken)
Fred Vargas: Der verbotene Ort
Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze
Aufbau Verlag 2009
geb., 423 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-351-03256-2 auch erhältlich als eBook (hier klicken)
»Wohin nur mit der Spannung?« Das mag sich der Autor beim Schreiben des Buches gefragt haben. Schließlich geht es in »Rot wie Schnee« um Drogen, um mächtige Kartelle, eiskalte Killer und hasserfüllte Rächer. Es geht um Jugendkriminalität und um die Gefahren, die im Dunkeln lauern. Mütter bangen um ihre Kinder, Kinder um ihre Eltern, Geschwister um ihre Brüder. Es geht um Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die im schwedischen Uppsala, im Restaurant »Dakar« aufeinandertreffen: in der Küche, an der Bar, an den Tischen. Menschen, die einander näherkommen, einander berühren, belügen, verletzen.
Wohin nur mit der Spannung, die aus der Konfrontation gegenläufiger Lebensentwürfe entsteht? Die aus entgegengesetzten Träumen entspringt? Die aufkommt, wenn selbstbewusste, ehrgeizige Menschen mit unterschiedlichen Zielen und unbedingtem Willen aufeinanderstoßen?
Wohin nur mit der intensiven Spannung? Schließlich geht es hier um Macht, Gewalt, Sex, Drogen, Essen, Liebe, Mord. Um unerfüllte Liebe, um missbrauchte Gefühle, um zarte Sehnsucht. Um bedrohte Unschuld und tiefe Verdorbenheit. Um die schnelle Gelegenheit zur kleinen Bereicherung, um lang geplante Verbrechen.
Wohin nur mit der großen Spannung, mag sich der Autor beim Schreiben gefragt haben – und er hat eine radikale, eine konsequente und überraschende Lösung gefunden: weg damit! Raus mit der Spannung aus diesem Buch! Weg mit Lust und Leidenschaft, mit Ironie und Humor! Mit Leben! Weg, weg, weg! Lieber faltet Eriksson pastellfarbene Figürchen aus Papier und klebt ihnen kleine Charakter-Post-its auf (böse; naiv; gierig), die beim ersten Atemhauch davon flattern. Statt knisternde Spannung zwischen Menschen spürbar zu machen, lässt der Autor seine Figuren Dialoge führen, die starren vor staubtrockenem Gutmenschentum. Da raschelt noch nicht einmal Papier.
Kjell Eriksson: Rot wie Schnee
(Mannen från bergen, 2005)
Aus dem Schwedischen von Sigrid Engeler
dtv 2009
Tb, 428 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-423-21180-2