Wie eine Flipperkugel auf Speed

Rasanter Wahnsinn, souverän abgründig

Dr. Peter Brown hieß früher Pietro Brnwa und war Profikiller für die Mafia. Heute ist er im Zeugenschutzprogramm des FBI und Assistenzarzt im Manhattan Catholic Hospital in New York. Das ist zwar gewagt für einen Ex-Mafioso aus New Jersey, aber hier wird schon kein Mobster auftauchen, schließlich können die sich bessere Krankenhäuser leisten. Davon ist Brown überzeugt – bis ein Mafioso eingeliefert wird, der ihn erkennt. Und nicht nur das: Der verpfeift ihn an seinen früheren besten Freund, heute Todfeind. Die einzige Möglichkeit für Brown, da lebend rauszukommen, ist dafür zu sorgen, dass der Mobster überlebt – keine leichte Aufgabe angesichts von Krebs im Endstadium.

Es wird nicht einfacher dadurch, dass Brown durch einen blöden Zufall mit irgendetwas Undefinierbaren infiziert wird und er durch seine Arbeit als Assistenzarzt sowieso ständig extrem unter Strom steht. Also: verschiedenste Antibiotika und noch mehr Wachmacher eingeworfen, und los geht’s.

»Die Station ist ein Alptraum«

Wie Brown durch das Krankenhaus rast, um das Leben anderer und das eigene zu retten, erinnert an eine Flipperkugel auf Speed. Er hechtet von Patient zu Patient, von Station zu Station und kommentiert in grandiosen Fußnoten den Alltag des Medizinerdaseins. Bazell legt in seinem Debüt (im Original: »Beat the Reaper«, 2009) ein hohes Tempo vor, und er hält es gekonnt durch. Da sieht man mal, welche Welten sich eröffnen, wenn man wie Bazell Literatur und Medizin studiert hat.

Mit der Genialität eines Dr. House erkennt Bazells Dr. Brown die ungewöhnlichsten Krankheiten und unterläuft dies gleichzeitig souverän parodistisch. Dazu kommt die schon fast sprichwörtliche Ausbeutung von Assistenzärzten, wodurch Anklänge an frühe Folgen von »Grey’s Anatomy« und »Emergency Room« hineinkommen. Ebenso gibt es zahllose weitere Zitate aus der Popkultur, Seitenhiebe auf das amerikanische Gesundheitswesen, die Wechselbeziehung von Fiktion und Realität und und und. Dies alles bringt Bazell auf gerade mal 304 Seiten unter, und er schafft es auch noch, Brown in Rückblenden erzählen zu lassen, wie es überhaupt zu dieser Situation kommen konnte. Das Ganze kulminiert im ekligsten und originellsten Showdown seit langem. (Um das lesen zu können, musste ich mir ein Auge zuhalten.)

Dieses Buch ist rasant, lakonisch, abgebrüht, drogenstarrend, voller abstruser Überraschungen, brutal, respektlos, intelligent, mit tiefschwarzem Humor und einer sagenhaften Unverfrorenheit versehen – kurz: Es ist wirklich klasse.

Kirsten Reimers

Josh Bazell: Schneller als der Tod
Aus dem amerikanischen Englisch von Malte Krutzsch
S. Fischer 2010
geb., 304 Seiten, 18,95 Euro
ISBN 978-3-10-003912-5
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