Dunkle Dämonen

Bevor die Amerikanerin Sara Gran so hervorragende und preisgekrönte Kriminalromane wie »Dope« oder »Die Stadt der Toten« geschrieben hat, veröffentlichte sie Horrorromane – zum Beispiel »Come closer«, in neuer Übersetzung bei DroemerKnaur erschienen. »Come closer« ist die Geschichte einer schleichenden Besessenheit – oder ist es eine Befreiung? Diese Vagheit macht unter anderem den bestechenden Reiz des kurzen Romans aus.

Geschrieben aus Sicht von Amanda, die ein sehr geordnetes Leben führt, bis plötzlich Dinge geschehen, die die gepflegten Routinen durchbrechen. Erst Klei- nigkeiten, es könnten auch Zufälle und Missgeschicke sein. Doch die Vorfälle häufen sich, nehmen an Boshaftigkeit und Sinnlichkeit zu. Ist Amanda von einer Dämonin besessen – oder bricht sie einfach aus ihrem stinklangweiligen Leben mit ihrem stinklangweiligen Mann und einem stinklangweiligen Job aus? Vergeblich sucht sie Hilfe und trifft stattdessen auf Unterstützung. Oder ist auch das alles ganz anders, als es scheint?

Dieser kleine fiese Roman über eine schleichende Veränderung und Entwicklung ist verstörend und begeisternd, geschrieben in Sara Grans knapper, lakonischer Sprache. Dunkel, gemein und sehr gut.

Dämonen mit Rechenschieber

Dunkel ist auch der Roman »Die Toten schauen zu« von Gerald Kersh aus dem Jahr 1943, aber auf eine ganz andere Art. Kersh greift eine tatsächliche Begebenheit auf: Die Vernichtung des Dorfes Lidice in Tschechien und die Ermordung sämtlicher männlicher Bewohner im Jahr 1942 durch NS-Truppen als Vergeltung für das Attentat auf Reinhard Heydrich, einem der maßgeblichen Organisatoren des Holocaust.

Gerald Kersh verwebt Historisches und Fiktionales und schafft auf nicht einmal 200 Seiten eine scharfsichtige Analyse der Unmenschlichkeit und Verkommenheit von Moral und Geist im Dritten Reich. Ohne schlichte Schwarzweißmalerei, ohne platte Parteinahme – aber mit Haltung – schildert er differenziert und erschreckend, wie sich kalter Bürokratismus und Grausamkeit verbinden, um Menschen zu Zahlen zu reduzieren und anschließend auszuradieren. Und das bereits im Jahr 1943. Sehr zu empfehlen!

Stillleben mit Serienmörder

Der Österreicher Thomas Raab ist vor allem bekannt für seine skurrilen Kriminalromane um den Möbelrestaurator Willibald Adrian Metzger. Mit »Still« – vor kurzem als Taschenbuch erschienen – lässt er diese Reihe hinter sich und legt, so der Untertitel, die »Chronik eines Mörders« vor.

Die Lebensgeschichte des Serienmörders Karl Heidemann von seiner Geburt bis zu – das weiß man von Anfang an – seinem Tod erzählt Raab mit so viel Einfühlungsvermögen und Sprachgewalt, dass bei aller Erstaun- und Ungeheuerlichkeit die Entwicklung Karls ganz selbstverständlich und unausweichlich scheint. Den Tod umfängt dabei eine große Zartheit und die Erfüllung einer tiefen Sehnsucht: eine glückliche Erlösung in tiefer Stille.

»Still« ist von wuchtiger, barocker Sprache, die zunächst etwas gestelzt und manieriert wirkt, doch letztlich in ihrer Sinnlichkeit und Üppigkeit ganz hervorragend zu dem Erzählten passt: einem übervollen Vanitas-Stillleben.

Kirsten Reimers

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Sara Gran: Come Closer
(Come closer, 2003)
Aus dem Englischen von Christine Strüh
DroemerKnaur 2016
kart., 192 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-426-30539-3

Gerald Kersh: Die Toten schauen zu
(The Dead Look On, 1943)
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
kart., 227 Seiten, 12,80 Euro
ISBN 978-3-927734-74-6
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Thomas Raab: Still
DroemerKnaur 2016
kart., 357 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-426-30511-9
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse