Mörderische Intrigen

Eine Frau, ein Mann, ein Restaurant und die Frage, wer einen verhängnisvollen Telefonanruf machte – Olen Steinhauer hat für seinen Thriller »Der Anruf« eine sehr konzentrierte Form gewählt. In einem Restaurant im idyllischen Carmel-by-the-Sea in Kalifornien treffen zwei frühere Kollegen aufeinander: die ehemalige CIA-Agentin Celia Favreau und der noch aktive Agent Henry Pelham, vor Jahren ein Paar, dessen schwierige Beziehung über ein Attentat auf dem Wiener Flughafen 2006 zerbrochen ist.

Wechselnd aus der Sicht Henrys und Celias sowie in Rückblenden werden die Geschehnisse auf- gerollt. Was als Smalltalk unter ehemals Liebenden beginnt, wird mehr und mehr ein Katz-und-Maus-Spiel, ein wendungsreiches Verhör, denn bei dem Anschlag in Europa gab es einen Verräter.

In einer Zeit, in der politische Feindbilder uneindeutig und der Gegner ein nicht zu lokalisierender Terrorismus ist, gelingt Olen Steinhauer ein hochspannender, unaufdringlicher, komplexer und intelligenter Thriller, der sich die Frage nach Schuld nicht einfach macht – und das trotz (oder vielleicht gerade wegen) des minimalistischen Settings und des verhältnismäßig geringen Umfangs. Unbedingte Leseempfehlung!

Ohne Hoffnung auf ein Morgen

Am 19. November 2004 starb der Aborigine Cameron Doomadgee im Polizeigewahrsam auf Palm Island, Australien – nur 40 Minuten, nachdem er durch den Senior Sergeant Chris Hurley festgenommen worden war. Dass Aborigines auf einer Polizeiwache oder im Gefängnis ums Leben kommen, ist in Australien keine Seltenheit. Dass dies juristische Konsequenzen hat, allerdings schon: Dies war das erste Mal, dass sich ein Polizeibeamter vor Gericht dafür zu verantworten hatte.

Chloe Hooper beschreibt in »Der große Mann. Leben und Sterben auf Palm Island« die Geschehnisse von der Voruntersuchung bis zum Prozess, die sich über rund drei Jahre erstreckten. Anhand des Todes von Cameron Doomadgee rollt sie die Geschichte der Unterdrückung der Aborigines auf. Man spürt die Wut, die unter der klaren und sachlichen Sprache Hoopers brodelt. Dabei ergreift sie allerdings nicht Partei. Sie nähert sich den Motiven des Polizisten genauso offen, wie sie die Lebensumstände des Opfers beleuchtet. Sie hinterfragt ihre eigenen Vorurteile ebenso wie die der Menschen, mit denen sie spricht, ganz gleich welcher sozialen Schicht sie entstammen und welche Hautfarbe sie haben.

Hooper schildert feinfühlig und mit klarem Blick die Zerrissenheit der australischen Gesellschaft. Entstanden ist ein kluger, wütender und poetischer Bericht von großer Wucht, vom Schriftsteller Philip Roth zu recht als ein »moralischer Thriller über Macht, Elend und Gewalt« gelobt.

Im Menschenschlachthaus

Veganer gegen Allesfresser, Menschen gegen Tiere, Menschen gegen Menschen. Christine Lehmanns neuer Kriminalroman »Allesfresser« nimmt aktuelle Ernährungstrends beißend in die Zange. Dafür schickt die Autorin die ungewöhnlichste und spannendste Ermittlerin der deutschsprachigen Kriminalliteratur ins Zentrum des Sturms: Weil der bekannte Fernsehkoch Hinni Rapp entführt wurde – man vermutet die oder den Täter in der Szene des politischen Veganismus –, wechselt Lisa Nerz die Seiten. Fortan lebt sie vegan, um die Herausgeberin eines Weblogs aufzuspüren, die ein »Menschenschlachthaus« propagiert.

Wie stets trifft Christine Lehmann mit Thema und Ton ins Schwarze. Mit subtilem und subversivem Witz rumpelt sich Lisa Nerz impulsiv und einfühlsam durch Aktivistengruppen, Tierbefreiungen und ernährungspolitische Extrempositionen. Dabei wird klar: Radikalismus führt auf allen Seiten zu Gewalt – und ein Richtig oder Falsch, Gut oder Böse, Schwarz oder Weiß gibt es nicht. Mit ihrer einzigartigen Sprache, dicht und treffend, schafft Lehmann neue Bedeutungszusammenhänge und legt einen klugen, spannenden und provozierenden Krimi vor.

Kirsten Reimers

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Olen Steinhauer: Der Anruf
(All the Old Knives, 2015)
Aus dem Englischen von Friedrich Mader
Blessing 2016
geb., 267 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-89667-554-5
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Chloe Hooper: Der große Mann. Leben und Sterben auf Palm Island
(The Tall Man, 2008)
Aus dem Englischen von Michael Kleeberg
Liebeskind 2016
geb., 361 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-95438-057-2
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Christine Lehmann: Allesfresser
Ariadne/Argument 2016
kart., 252 Seiten, 12 Euro
ISBN 978-3-86754-211-1
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse