Die dunkle Seite des Reichtums

Hopetoun in Westaustralien. Bis vor kurzem noch ein unbedeutendes Kaff am Südpolarmeer, jetzt eine Boomtown dank der Nickelminen, die ganz in der Nähe betrieben werden. Gesichtslose Siedlungen, Gewerbegebiete, neue Restaurants: Das neue Geld hinterlässt seine Spuren. Und der Wohlstand hat seinen Preis: wachsende Kriminalität, Drogen, Korruption, Filz, Rassismus. Als am Strand ein kopfloser Torso gefunden wird, scheint dies die Chance für den zum Viehdezernat strafversetzten Detective Philip »Cato« Kwong zu sein, sich wieder zu rehabilitieren.

Parallel dazu nimmt der Ex-Detective Stuart Miller die Spur eines alten Falles wieder auf, der ihm nie Ruhe gelassen hatte: Vor 35 Jahren ermordete in England ein Mann seine schwangere Frau und seinen kleinen Sohn und verschwand spurlos. Nun gibt es Anzeichen, dass er nach Australien geflohen ist und dort weitere Morde beging. Beide Fälle überschneiden sich, als in Hopetoun erneut ein Mord geschieht.

»Prime Cut« ist der erste Roman des seit vielen Jahren in Australien lebenden Engländers Alan Carter. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise des Jahres 2008 zeichnet er ein vielschichtiges Porträt einer Stadt im Goldrausch: Die Aussicht auf Reichtum lockt viele Menschen an – doch wirklich profitieren vom Boom nur die, die ausreichend Geld, Kontakte und Skrupellosigkeit besitzen, und dies auf Kosten derjenigen, die gar nichts haben. Der Krimiplot mag an der einen oder anderen Stelle etwas holprig sein, doch Carter gelingen stimmige Charaktere in einer beeindruckenden Landschaft, geschrieben mit trockenem Humor und einem klaren Blick für gesellschaftliche Verhältnisse.

Zwischen Fiktion und Dokumentation

Ein Kreuzfahrtschiff, ein Containerschiff, ein Schlauboot mit Flüchtlingen aus Algerien – im Mittelmeer kreuzen sich ihre Wege. Für manche bringt diese Begegnung eine entscheidende Wende im Leben, manche finden den Tod, andere ein neues Leben. Unberührt lassen diese zwei Nächte und ein Tag niemanden – auch die Leser nicht.

»Havarie« von Merle Kröger ist ein vielschichtiger Roman. Über die Begegnung der Schiffe hat die Autorin ebenfalls einen Film gedreht, der unter dem gleichen Titel 2016 erscheinen wird. Die Filmidee hat Spuren im Buch hinterlassen: knappe Kapitel, klare Schnitte, kurze Passagen wie aus einem Drehbuch – die reine Erzählform wird aufgebrochen. Es gibt keine Hauptfigur, sondern viele gleichberechtigt nebeneinander auftretende Personen, deren Geschichten jeweils in kurzen Episoden erzählt werden. Erinnerungen, Träume und Rückblenden geben Einblicke in ihre Vergangenheit.

Sie alle haben Krieg, Gewalt, Flucht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlebt – und zwar aus den unterschiedlichsten Perspektiven: als Täter, als Opfer, als Mitläufer. Keiner ist hier ohne Schuld, niemand nur Opfer. Merle Kröger erzählt die Schicksale, ohne zu verurteilen oder zu erhöhen. Gut oder böse – das ist unwichtig, jede und jeder hat Gründe für ihr bzw. sein Handeln. So überschreitet der Roman die Grenze zur Dokumentation, bleibt doch rein fiktiv – ein facettenreicher, kluger, mutiger und komplexer Roman.

Abstieg in die Hölle

New York in den fünfziger Jahren. Es beginnt wie in so vielen Krimis mit Privatdetektiven: Jemand wird beauftragt, jemanden zu finden – eigentlich keine große Sache. Und wie so oft entpuppt sich der Auftrag als fingiert: Dahinter steckt etwas völlig anderes. Diese Grundidee behält Sara Gran in »Dope« bei, um dann etwas sehr Eigenes daraus zu formen. Der Privatdetektiv ist in diesem Fall eine Frau, und zwar eine ehemalige Heroinabhängige. Sie soll ein junges Mädchen aus gutem Haus suchen, das in der Drogenszene verschollen ist. »Dope«, das steht in diesem Buch für Heroin. Josephine »Joe« Flannigan ist zwar schon seit geraumer Zeit clean, aber sie kennt noch die Plätze, an denen Drogen verkauft werden, sie hat noch die entsprechenden Kontakte, um sich in der Drogenszene umzusehen. Deshalb wird sie engagiert. Und weil der Auftrag sehr gut bezahlt ist, nimmt sie ihn an.

Joes Suche ist eine Reise in ihre eigene Vergangenheit und ein Abschreiten der Stationen, die einer herionabhängigen Frau bevorstehen, die sich für Dope prostituiert: von schicken Bars über zwielichtige Etablissements, auf die Straße und bis zum letzten Höllenkreis, ein mit Laken abgetrenntes Kabuff im Keller von Jezebel, ein Ort, den die Frauen nur selten von sich aus verlassen, sondern entweder im Kranken- oder im Leichenwagen. Eine Welt voller Misstrauen und Einsamkeit, nur erfüllt von der Suche nach dem nächsten Schuss, mit einer eigenen Topographie, die nur wenig mit der schillernden Fassade des Big Apple zu tun hat.

Von Sara Gran sind in den letzten Jahren zwei Kriminalromane um die eigenwillige Privatdetektivin Claire DeWitt erschienen. »Dope« ist ihr Krimidebüt, das erst jetzt ins Deutsch übersetzt wurde. Es ist etwas konventioneller als die späteren Romane, aber doch von großer Kraft und Unmittelbarkeit. Und bereits mit einer sehr eigenen Handschrift.

Kirsten Reimers

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Alan Carter: Prime Cut
(Prime Cut, 2011)
Aus dem Englischen von Sabine Schulte
Edition Nautilus 2015
kart., 368 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-89401-812-2

Merle Kröger: Havarie
Ariadne/Argument 2015
geb., 227 Seiten, 16 Euro
ISBN 978-3-86754-224-1
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Sara Gran: Dope
(Dope, 2006)
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Droemer 2015
Tb., 252 Seiten, 12,99 Euro
ISBN 978-3-426-30445-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Dieser Beitrag erschien zuerst in der
Frankfurter Neuen Presse