Wenn Korruption und Lüge regieren

Intelligente Spannung und drei neue Romane

Weil sie herausfinden will, was mit ihrer Freundin Jooly geschehen ist, reist Maria Brecht nach Haiti – angetrieben von einem schlechten Gewissen, weil sie ihre ehemals beste Freundin vor ein paar Monaten unschön abgewimmelt hatte, und im Auftrag von Joolys Vater. Auf das, was sie auf Haiti erwartet, ist Maria nicht vorbereitet. Vier Jahre nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 hat sich das Land immer noch nicht von der Katastrophe erholt. Städte und Dörfer liegen in Trümmern, die hygienischen Zustände sind unhaltbar, die medizinische Versorgung unzureichend. In Kürze beginnt die Regenzeit, und der Ausbruch von Seuchen ist absehbar. Es gibt zwar zahllose Entwicklungshilfeprojekte, doch die gehen an den tatsächlichen Erfordernissen vorbei, Gelder versickern, die Politik ist gesteuert von ausländischen Interessen und Korruption.

Wer in dieses Land kommt, hat eigene Interessen im Blick: Entweder geht es um Bereicherung, Machtzuwachs oder darum, sich von einer Schuld reinzuwaschen. Kai Hensel beschreibt in seinem Kriminalroman »Sonnentau« die zynische Verquickung unterschiedlichster Intentionen. Vordergründig wird Hilfe versprochen, doch letztlich verfolgen alle Beteiligten ihre eigenen Vorteile, was zu Lasten der einfachen Bevölkerung Haitis geht – eines der ärmsten Länder der westlichen Welt. »Sonnentau« ist ein engagierter Kriminalroman, der einfache Antworten vermeidet und keine Lösungen bietet, aber doch eine klare Haltung einnimmt.

Manipulation und Zerstörung

Seit den Anschlägen vom 14. Februar ist New York zerstört. Die Stadt ist weitgehend entvölkert, die Stadtverwaltung, soweit vorhanden, korrupt. Was da 2/14 geschehen ist, bleibt unklar, ebenso die Gründe dafür. Der Erzähler, gleichzeitig die Hauptfigur, spricht nur vage von der oder den Valentinstag- Begebenheit(en) – wie er selbst vage bleibt. Er lebt in der New York Public Library und sortiert dort die Bücher neu. Früher war er Soldat. Heute ist er als Auftragskiller für den District Attorney tätig. Mehr ist nicht klar. Denn vermutlich wurden seine Erinnerungen manipuliert: einiges gelöscht, anderes implantiert – vielleicht. Nicht einmal seinen Namen kennt er. Er nennt sich Dewey Decimal – nach einem Ordnungssystem für Bibliotheken.

Die Hauptfigur macht es einem nicht einfach – tablettenabhängig, psychisch mehr als instabil, Moralist –, ist es aber sehr überzeugend und in sich stimmig. Als Decimal auf einen Mann angesetzt wird, der dem District Attorney ein Dorn im Auge ist, beginnt eine zwar taumelnde, aber schnelle Jagd durch die in jeder Hinsicht heruntergekommene Stadt in einer heruntergekommenen Welt.

Das Debüt von Nathan Larson, bislang vor allem bekannt als Musiker, ist düster und konsequent. Ein intelligenter Noir, sperrig und mitreißend.

Mörderischer Zweifel

Eben noch saßen drei Menschen auf dem Dach gegenüber, plötzlich sind es nur noch zwei. Lena ist sich nicht sicher, ob sie ein Verbrechen oder einen Unfall beobachtet hat oder ob sie sich etwas einbildet. Vorsichtig und unaufdringlich beginnt sie, nachzufragen und nachzuforschen. Doch kaum jemand glaubt ihr. Auch nicht ihr neuer Freund, der in dem Haus wohnt, auf dessen Dach sich der Vorfall ereignete, und dessen Nachbarin seit einiger Zeit verschwunden ist.

Ruhig und unaufgeregt beschreibt Anne Goldmann in »Lichtschacht« Lenas Suche nach der Wahrheit – abwechselnd aus Sicht der jungen Frau und der des Täters. Anne Goldmann hält dabei eine zurückhaltende Distanz zu ihren Figuren ein, die weder kühl noch desinteressiert ist, sondern unvoreingenommen beobachtend. So wird bald klar, dass Lenas Sicht der Dinge nicht die einzige bleiben muss. Das gibt dem gut geplotteten Krimi eine zusätzliche Spannung, da Gewissheiten versickern. Ein leiser, spannungsreicher und glaubwürdiger Krimi.

Kirsten Reimers

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Kai Hensel: Sonnentau
Frankfurter Verlagsanstalt 2014
kart., 444 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-627-00205-3
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Nathan Larson: 2/14
(The Dewey Decimal System, 2011)
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf
Diaphanes 2014
Tb., 255 Seiten, 17,95 Euro
ISBN 978-3-03734-654-9
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Anne Goldmann: Lichtschacht
Ariadne/Argument 2014
Tb., 284 Seiten, 12 Euro
ISBN 978-3-86754-220-3

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse