Altmodische Verbrechen

Offene Gullydeckel, viktorianische Pornografie und Verbrecher der alten Schule

Endlich wieder ein neuer Fall für Bettina Boll, die vermutlich einzige Teilzeitkommissarin der deutschen Krimilandschaft: »Die Hex ist tot« von Monika Geier. Zunächst scheint es sich eigentlich gar nicht um einen Fall zu handeln: aufgestemmte Gullydeckel in Ludwigshafen und Lautringen. Nichts, womit sich eine Kriminalkommissarin auseinandersetzen müsste. Das gewinnt erst an Brisanz, als eine Leiche kopfüber in einem der Schächte steckt. Und es wird nicht die letzte Leiche sein.

Das klingt zunächst nach einem absonderlichen Serienkillerthriller, ist aber zum Glück ganz anders. Monika Geier legt erneut einen intelligenten Kriminalroman vor, der ebenso alltagsnah wie von speziellem feinem Witz ist. Wohl nur Monika Geier gelingt dieser absolut überzeugende Spagat zwischen fluffig klug-naiv und scharfsinnig. Dieses Mal stehen Schlankheitswahn und Mütterideal im Mittelpunkt neben der Frage, was Eltern, insbesondere Mütter, ihren Kindern absichtsvoll und unbewusst antun – aus Liebe, aus Fürsorge, aus Angst, aus Überforderung und diversen anderen Gründen. Ein ganz wundervoller, jenseits jedes Mainstream angesiedelter Kriminalroman.

Viktorianische Pornografie

Gary Dexters »Der Marodeur von Oxford« führt zurück ins London von 1892. Hier klären Dr. Henry St. Liver und Olive Salter, des Doktors Vertraute und zugleich seine Chronistin, mehrere mysteriöse Vorfälle auf. Das erinnert an den Meisterdetektiv Sherlock Holmes und seinen Sozius Dr. Watson – und genau das ist auch beabsichtigt.

Doch es gibt auch we- sentliche Unterschiede: Das Spezialgebiet von Dr. St. Liver ist die »Psychopathia sexualis«, und die Fälle, mit denen sich Dr. St. Liver und Salter beschäftigen, sind keine wirklichen Verbrechen: versuchte Erpressung, vielleicht ein Diebstahl, ungebührliches Verhalten und Ähnliches. Die Ursache liegt stets in einer ungewöhnlichen sexuellen Vorliebe, sodass am Ende keine Schuldigen gebrandmarkt, sondern Menschen mit speziellen Neigungen ein Weg aufgezeigt wird, diese Neigungen auszuleben ohne sozial allzu auffällig zu werden.

Gary Dexter verbindet auf diese Weise die Detektivgeschichte mit dem viktorianischen Porno – und unterläuft gleichzeitig beides. Das Ergebnis ist sehr vergnüglich: klug, manchmal derb, in ein Netz aus literarischen Anspielungen eingebunden und immer unbekümmert subversiv.

Berufsverbrecher der alten Schule

Gut vernetzt mit vielen (kriminal-)literarischen Anspielungen ist auch Garry Dishers »Dirty Old Town«. Nach einer Auszeit von rund 13 Jahren legt der Australier nun wieder einen Kriminalroman um den Berufsverbrecher Wyatt vor. Nachdem er mehrere Jahre abgetaucht war, kehrt Wyatt nach Melbourne zurück. Der Profi mit legendärem Ruf muss erkennen, dass sich die Zeiten verändert haben: Verbrechen ist nicht mehr so einfach in einer Welt, die weitgehend digital funktioniert. Wenn man sich damit nicht gut genug auskennt, bleibt nur der Diebstahl von Juwelen und Gemälde – beides nicht einfach wieder abzusetzen. Ohne Kontakte ist man aufgeschmissen – und mit Komplizen aber auch. Eine Welt, in der jeder den eigenen Vorteil sucht und Vertrauen tödlich endet.

»Dirty Old Town« ist ein schnörkelloser rauer Gangsterroman der alten Schule, schnell und cool. Wie seine Hauptfigur: kein Psychopath, kein Robin Hood, sondern ein kühler Profi durch und durch, der Gewalt nicht um ihrer selbst anwendet, sondern nur dann, wenn sie notwendig ist – dann aber auch ohne zu zögern. Ob man die früheren Wyatt-Romane (wie zum Beispiel »Gier«) kennt, ist unerheblich: »Dirty Old Town« funktioniert aus sich heraus – und das richtig gut.

Kirsten Reimers

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Monika Geier: Die Hex ist tot
Ariadne/Argument 2013
Tb., 363 Seiten, 12 Euro
ISBN 978-3-86754-216-6
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Gary Dexter: Der Marodeur von Oxford
(The Oxford Despoiler, 2009)
Aus dem Englischen von Zoë Beck
Diaphanes 2013
Tb., 283 Seiten, 16,95 Euro
ISBN 978-3-03734-424-8
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Garry Disher: Dirty Old Town
(Dirty Old Town/Wyatt, 2010)
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Pulpmaster 2013
Tb., 322 Seiten, 13,80 Euro
ISBN 978-3-927734-46-3
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in:
Frankfurter Neue Presse