Ein Geisterheer in der Normandie
Fred Vargas ist die meistgelesenste Krimiautorin Frankreichs, und nicht nur dort wird sie geliebt: In mehr als vierzig Sprachen wurden ihre Werke übersetzt. Auch bei uns erstürmen ihre Kriminal-romane regelmäßig die Bestsellerlisten. Ihr Krimi »Fliehe weit und schnell« wurde 2004 mit dem Deutschen Krimipreis (Kategorie international) ausgezeichnet, im gleichen Jahr errang »Der vierzehnte Stein« den dritten Platz der Jahres-Bestenliste der Krimi-Welt. Seit kurzem liegt Fred Vargas aktuellster Roman auf Deutsch vor: »Die Nacht des Zorns«. Es ist der siebte Kriminalroman mit Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg.
Ein Gespür für Untertöne und verborgene Zusammenhänge
Wer einen Krimi von Fred Vargas aufschlägt, stellt schnell fest, dass er eine eigene Welt betritt. Hochtechnisierte Ermit- tlungsmethoden à la CSI sucht man hier ebenso vergeblich wie Action-geladene Verfolgungsjagden. Kommissar Adamsberg ermittelt vollkommen anders: Er geht assoziativ vor, mit einem feinen Gespür für Untertöne und Zusammenhänge, die anderen entgehen – dabei ist er stur, eigensinnig und ohne größeren Pragmatismus.
Unterstützt wird der Chef der Pariser Brigade criminelle, der sich keine Namen merken kann und der mit einem »wie ertrunkenen Blick ohne Glanz noch Schärfe« durch das Leben geht, von einer Schar nicht weniger eigenwilliger Ermittler: Sein Stellvertreter Danglard hat nicht nur ein großes Alko- holproblem, sondern auch ein schier unermessliches kultur- geschichtliches Wissen, aus dem er beständig und verlässlich schöpft; Adamsberg Freund und Kollege Veyrenc spricht unvermittelt in Hexametern; ein weiterer Polizist ist ein Fischexperte, ein anderer neigt zu plötzlichen Schlafattacken, und Lieutenant Violette Retancourt ist trotz ihres zarten Namens so unfassbar stark und groß, dass Adamsberg sie eine Göttin nennt.
Poetisch und skurril, aber logisch und rational
Poetisch und skurril ist die Welt, die Fred Vargas entwirft, von feiner Ironie durchzogen. Nie kippt sie ins Klamaukige, Laute oder Schrille, stets bleibt sie elegant, versponnen, mehrbödig und warmherzig mit großer Liebe zum absonderlichen Detail. Wie Fred Vargas in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt, hat Literatur in ihren Augen nicht die Aufgabe, das Leben einfach abzubilden, sondern es neu zu erfinden. Und so schafft Vargas eine Realität eigener Prägung, ein wenig surreal, verschoben und doch zwingend, denn wie Vargas im gleichen Interview ausführt: »Poesie ist dazu da, die Dinge komplizierter zu machen, aber – und das ist das Paradoxe – vielleicht versteht man sie dadurch besser.«
Doch bei aller traumartiger Verschrobenheit: Stets bleibt die Handlung glaubwürdig, und die Auflösung, die die Französin für ihre obskuren Kriminalfälle findet, folgt ganz den Gesetzen von Logik und Rationalität. Alle Fragen werden am Ende geklärt. Die duftig-beschwingte Verbindung von Surrealem und Greifbaren macht sicherlich einen großen Teil des Zaubers der Kriminalromane von Fred Vargas aus.
Dass ihr diese Gradwanderung gelingt, liegt vielleicht auch daran, dass die Autorin Wissenschaftlerin ist: Frédérique Audoin-Rouzeau, wie sie eigentlich heißt, ist Historikerin und Archäologin mit dem Spezialgebiet Archäozoologie (Schwer- punkt Mittelalter). Bis 2004 hat sie am staatlichen Forschungsinstitut CNRS, dem Centre national de la recherche scientifique, gearbeitet. Ihr erster Roman erschien 1986, bereits für ihn wählte sie ihr Pseudonym, das sich von der Figur Maria Vargas aus dem Film »Die barfüßige Gräfin« ableitet.
Die Wilde Jagd im 21. Jahrhundert
Wie schon in früheren Romanen greift Fred Vargas auch in ihrem aktuellsten Krimi einen mittelalterlichen Mythos auf: das Wütende Heer. Diese Sage verwebt Vargas mit der Struktur eines Whodunit. Die Geisterarmee ist bei uns bekannt als die Wilde Jagd, in Frankreich wird sie auch Mesnie Hellequin genannt. Sie führt Kommissar Adamsberg in die Normandie, zum Pfad von Bonneval in der Nähe des Örtchens Ordebec, wo schon 1091 ein normannischer Priester die L’Armee furieuse (so lautet auch der Originaltitel des Buches) sah und das erste schriftliche Zeugnis davon niederlegte. Der Sage nach reißt die Wilde Jagd Menschen mit sich, die Schuld auf sich geladen haben. Lina, eine junge Frau aus Ordebec, erkennt in einer Vision, wie die Mesnie Hellequin vier Dorfbewohner verschleppt. Drei von ihnen kann Lina mit Namen benennen. Als der Erste von ihnen stirbt, ist der Aufruhr und die Beunruhigung in Ordebec groß, denn laut Überlieferung kann man sich von seiner Schuld befreien und dem Wilden Heer entkommen, indem man einen der anderen »Ergriffenen« tötet. Wer ist also verantwortlich für den ersten Mord, dem weitere folgen sollen: der Seigneur Hellequin? Oder gibt es ganz handfeste Motive und einen vollkommen unmythischen Täter?
Fred Vargas: Die Nacht des Zorns
Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze
Aufbau 2012
geb., 453 Seiten, 22,99 Euro
ISBN 978-3-351-03380-4
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch-Download (hier klicken)
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Frankfurter Neuen Presse.


heruntergekommenen Unterkunft geworfen wird. Die Dienstaufsicht ist ihm auf den Fersen, und eigentlich ist er vom Polizeidienst suspendiert. Als die Meldung hereinkommt, dass ein russischer Milliardär vermisst wird, sieht Belsey seine Chance gekommen: Er nimmt die Identität des Vermissten an, schläft in dessen Haus und versucht, die Konten des russischen Oligarchen zu plündern, um sich ins Ausland abzusetzen. Allerdings muss er feststellen, dass er nicht der Einzige ist, der sich mit dem verschwundenen Milliardär beschäftigt. Und die Gegenseite ist weitaus skrupelloser als er.
engagierte Einheit bei Europol, die probeweise und im Geheimen operativ tätig wird (bislang ist Europol in erster Linie koordinierend tätig). Dabei erhält sie Unterstützung von allen euro- päischen Ländern. Entsprechend international ist sie bestückt, zudem geschlechtermäßig bewusst paritätisch besetzt. Arne Dahl hat in dieser Gruppe außerdem mehrere Mitglieder seines A-Teams, seiner bisherigen Ermittlereinheit, untergebracht.
Arbeit mit Sozio- beziehungsweise Psychopathen, seinen ersten Auftritt. McDermid erhielt für ihren Roman den Gold Dagger der britischen Crime Writers’ Association. Es war der Auftakt zu einer bis heute in lockeren Abständen erscheinenden Romanserie. Im Mittelpunkt steht dabei stets der Psychologe Hill, der die Polizei der fiktiven mittelgroßen Stadt Bradfield beim Aufspüren von Serienmördern unterstützt.
bleiben so zum Glück weitgehend außen vor. Weit wichtiger ist immer die Frage, wie der Täter tickt. Hill versucht sich intensivst in den Täter hineinzudenken, um zu erkennen, was der Mörder mit seinen Taten erreichen will: Was geben ihm Mord und/oder Folter? Worin liegt der Sinn der Tat? Hill nähert sich dem mit einer interessierten Aufgeschlossenheit, ohne Entsetzen oder Mitgefühl, weit stärker ist die Faszination für die Taten. Natürlich wird dabei immer noch stark vereinfacht. Aber etwas Bemerkenswertes geschieht: Der Täter bleibt auf diese Weise Mensch. Er – in sehr seltenen Fällen ist es eine Täterin – wird weder zum reflexhaft zurückschlagenden Opfer noch zum wahnsinnigen Monster. Hinter den Taten steht eine eigene Logik, ein Bedürfnis, keine tierhafte Bestie. Na ja, zumindest ist dies bei der TV-Serie anfangs der Fall. Im Laufe der sechs Staffeln lässt das deutlich nach.

