Jenseits der Propaganda

Ein historischer Roman mit einer Mission – kann das gut gehen?

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brennt der Reichstag in Berlin. Als Schuldiger wird noch vor Ort der Holländer Marinus van der Lubbe verhaftet, der von der NSDAP sofort als Kommunist gebrandmarkt wird. Schon am 28. Februar 1933 tritt die Reichstagsbrandverordnung – »zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte« – in Kraft, durch die die Grundrechte der Weimarer Verfassung weitgehend außer Kraft gesetzt werden. Einer der zentralen Schritte zur Abschaffung des Rechtsstaats.

In Robert Bracks Roman schickt in dieser Situation die Komintern die Kommunistin Klara Schindler mit falschen Papieren nach Berlin. Sie soll die Hintergründe des Brandes klären und möglichst viel über den Brandstifter herausfinden. Der Journalistin wird bald klar, dass es auch der KP nicht um die tatsächliche Wahrheit geht, sondern darum, den mutmaßlichen Attentäter als Werkzeug der Nazis dazustellen. Dem widersetzt sich Schindler, da sie auf Ungereimtheiten und Widersprüche stößt.

Bis heute ungeklärte Widersprüche

Wie Brack im Nachwort schreibt, geht es ihm in diesem Roman vor allem um die Person Marinus van der Lubbes und dessen Beweggründe. Dafür hat Brack sorgfältig recherchiert und die inzwischen bekannten Fakten – mehr Indizien als Beweise – zusammengetragen. Bis heute sind Tathergang und Motive weitgehend unbekannt. Ja, nicht einmal die Täterschaft steht mit Sicherheit fest: Nach den gängigen Theorien war der Holländer entweder ein wirrer, nahezu debiler Einzeltäter oder ein Werkzeug der KP beziehungsweise NSDAP – je nach Standort des Theoretikers –, der nur mit tatkräftiger und sorgfältig vorbereiteter Unterstützung einer der Organisationen den Reichstag in Brand setzen konnte.

Brack versucht, hinter die Propaganda von welcher Seite auch immer zu blicken. Dafür lässt er seine Journalistin kurz nach dem Anschlag durch Berlin streifen und mit den unterschiedlichsten Leuten sprechen. Jeder ihrer Gesprächspartner zeichnet ein anderes Bild van der Lubbes, mal wirkt der Holländer ungestüm, mal durchdacht, mal dumm, mal wie ein Aufrührer, mal wie ein Stratege – Fragen bleiben offen, Widersprüche ungelöst. Das ist gut gemacht, denn ohne eindeutige Beweise, nur allein auf Indizien gestützt, gibt es kein konsistentes Bild des mutmaßlichen Attentäters. Brack vermeidet auf diese Weise, etwas in den Holländer hineinzuinterpretieren und ihn in eine bestimmte Richtung zu drängen.

Fakten und Fiktionen

Klara Schindler begegnet bei ihren Recherchen historischen wie fiktiven Figuren, sie diskutiert mit Kommunisten ebenso wie mit Anarchisten und Syndikalisten und stößt sogar auf Vertreter einer vorgeblich antikapitalistischen Strömung innerhalb der NSDAP. Dabei werden nicht nur verschiedene Widerstandsstrategien gegeneinander abgewogen, es zeigt sich auch die Zersplitterung der Linken Anfang der dreißiger Jahre und ihre Konzeptlosigkeit angesichts von Hitlers Machtübernahme.

Hinsichtlich der Konstruktion ist der Roman durchaus ein wenig verkopft, doch Brack gelingt es, seine Figuren zu lebendigen Vertretern von Überzeugungen zu formen. So bleiben Diskussionen und Handlungen realistisch und lebendig, trockene Belehrungen werden vermieden. Die Gefahr – wie es gewesen sein muss, sich als Nazigegner im Berlin Anfang 1933 zu bewegen – bleibt stets spürbar. So legt Brack einen – spannenden – historischen Roman vor, der auf Fakten basiert und nicht nur von einer guten Absicht getragen, sondern zudem auch noch gut gemacht ist.

 

Kirsten Reimers

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Robert Brack: Unter dem Schatten des Todes
Edition Nautilus 2012
Tb., 221 Seiten, 13,90 Euro
ISBN 978-3-89401-752-1
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Diese Rezension ist zuerst erschienen im CrimeMag