Gleich drei explosive Schriftstücke verwirren Kommissarin Bettina Boll
In einer Fernseh-Talkshow sieht die Ludwigshafener Kriminalkommissarin Bettina Boll ihn zum ersten Mal: den Buchwissenschaftler Dr. Gregor Krampe. Er ist elegant, gepflegt, melancholisch, intelligent und kettenrauchend, und er gefällt Bettina Boll ganz ungemein. Gregor ist nicht nur der Sohn des bekannten Spionageromanautors Georg Krampe, sondern auch der wissenschaftliche Leiter einer hochmodernen Bibliothek, die für ein einziges Buch erbaut zu sein scheint: für eine Handschrift von Ovids »Ars amatoria«, der »Liebeskunst«. Es ist die wohl älteste erhaltene Handschrift des Textes, mit expliziten und exquisiten Zeichnungen versehen und versteckt in einem Psalter. Die wissenschaftliche Sensation daran: Das Büchlein könnte Hinweise geben auf die verschollene Medea-Tragödie von Ovid.
Allerdings ist die Herkunft des Bändchens eher ominös, es wurde der Bibliothek anonym zugesandt. Inzwischen gibt es zahllose diplomatische Anfragen wegen der Handschrift, denn womöglich wurde sie aus einer anderen Sammlung gestohlen. Schon vor geraumer Zeit hat das BKA darum die Sonderkommission »Ovid« gegründet, der auch Bettina Boll angehört, da die Beamten in Ludwigshafen die Organisation der Ermittlungen vor Ort übernehmen sollen. Und der Hauptverdächtige ist ausgerechnet jener attraktive Gregor Krampe.
Ein Leitfaden zur Mädchenherzgewinnung
Bislang hatte die SOKO Ovid wenig zu tun, doch nun gewinnen die Ereignisse an Dramatik: Krampes Mutter wird durch eine Briefbombe schwer verletzt, eine Hellseherin bringt einen Roman heraus, den ihr angeblich der vor zwei Jahren verstorbenen Georg Krampe aus dem Jenseits diktiert hat, und die Ovid-Handschrift ist in Gefahr, gestohlen zu werden – bevor das Buch auf Jahre in der Faksimilisierung verschwindet, soll es im Rahmen einer kleinen Feier ausgestellt werden, die beste und die letzte Gelegenheit für einen Diebstahl.
»Ein Buch ist ein Gedankengebäude«, sagte Marny in heiligem Ernst.
»Das Sie mit vier realen Schlössern sichern«, erwiderte Bettina.
Darauf grinste Marny, ihre kleine Nase kräuselte sich lustig, und Bettina fragte sich plötzlich, wofür diese Frau bezahlt wurde. Sie sah selbst aus, wie ein Liebhaberobjekt, charmant, gebildet, aber nicht den ganzen Raum füllend, ein Mensch mit Platz für andere, für Rätsel. »Sie haben recht«, sagte sie, »aber dieses Buch ist wirklich was Besonderes. Und jetzt, wo bald jeder seine Schönheit sehen kann und soll, da muss es geschützt werden. Inzwischen würde es vermutlich einen angemessenen Preis erzielen. Es hat das Zeug zum Star.« Wieder zog sie die Nase kraus. »Es ist sexy.«
Dank ihrer Zugehörigkeit zur SOKO ist Bettina Boll beinah im offiziellen Auftrag auf der privaten Feier anwesend und kommt dem Hauptverdächtigen sehr nah. Zu nah. Denn in dieser Nacht wird der Ovid tatsächlich geraubt, und Bettina Boll liefert Gregor Krampe das beste Alibi, das der sich wünschen kann.
Leichtfüßig und bissig, spannend und elegant
Kommissarin Bettina Boll gehört zu den wunderbar unprätentiösen und unverwechselbaren Ermittlergestalten der deutschen Krimilandschaft. Immer ein bisschen desorganisiert, immer etwas in Zeitnot, immer ein wenig chaotisch, nimmt sich die inzwischen halbtags arbeitende Kommissarin – die die beiden kleinen Kinder ihrer verstorbenen Schwester zu sich genommen hat -, selten Zeit, in die Tiefe eines Falles zu gehen. Dafür hat sie die Oberfläche gut im Blick und entdeckt auf diese Weise Zusammenhänge, die anderen entgehen. Dabei wirkt sie mitunter so naiv und kindlich-staunend, dass ihre Gesprächspartner sie schnell unterschätzen. Zu schnell.
»Die Herzen aller Mädchen« ist das fünfte Buch von Monika Geier um die Ludwigshafener Kommissarin, und es ist eines ihrer besten – obwohl eigentlich alle ihre Kriminalromane ganz wunderbar sind. Geier schreibt elegant und leichtfüßig, mit gekonnt gesetzter, bissiger Komik, unhysterisch, intelligent und äußerst lebendig. Ihre Figuren sind komplex und plastisch, denn Geier spielt versiert mit Klischees, die schließlich herrlich unterlaufen werden. Spannend und ungemein glaubwürdig sind die Krimis obendrein. Das macht Monika Geier zu einer der besten deutschen Krimiautorinnen.
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Monika Geier: Die Herzen aller Mädchen
Ariadne Krimi, Argument Verlag 2009
brosch., 351 Seiten, 11,00 Euro
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Diese Rezension ist auch erschienen auf satt.org