Waschen, Schneiden, Morde klären

Mordermittlungen zwischen Glätteisen und Kokosextrakt

Tomas Prinz ist ein Starfrisör. Sein exklusiver Salon liegt im Münchner Glockenbachviertel, seine Kunden rekrutieren sich aus der bayerischen Schickimickiszene, manche kommen sogar extra aus dem Ausland, nur um sich von ihm die Haare machen zu lassen. Als Frisör ist er Vertrauter und Außenstehender zugleich. Bei ihm laufen Klatsch und Tratsch zusammen. Perfekte Ausgangsbedingungen für einen Ermittler – denn das macht Prinz nebenbei auch noch. Eher unabsichtlich. Er rutscht da halt so rein.

Frisch frisiert in den Tod

Der erste Fall, in den er verwickelt wird („Der Frisör“, ist der Mord an einer Beauty-Redakteurin. Alexandra Kaspari leitet das Ressort Kosmetik und Schönheit bei der Frauenzeitschrift „Vamp“. Kurz bevor sie in ihrem Büro erschlagen wird, war sie bei Prinz im Salon.

Die brünetten Haare, sonst kräftig, waren Strippen ohne Spannung und Leben, wie tot.

Prinz bringt ihre Haare in Form und färbt sie weißblond – aber auch das kann nichts mehr retten: Wenige  Stunden später wird sie getötet. Der Frisör nimmt die Ermittlungen auf – eher zufällig, eher zögernd, aber erfolgreicher als die zuständige Kommissarin, denn er – geübt im freundlich-aufmerksamen Geplauder – nimmt sich Zeit, hört zu, hakt nach. Und nie verliert er seinen Blick für Frisuren, Farben, Haarbeschaffenheit. Zum Kopf seines Gegenübers wandert sein erster Blick, darum kreist sein erster Gedanke. Dieser Zugang zum Menschen über die Haare ist wunderbar und sehr überzeugend.

Der Starfrisör – schwul, mit eigener Haarpflegelinie, dem Züricher Geldadel entstammend; die karrierebewusste Beauty-Redakteurin – zickig und nicht zimperlich im Umgang mit Konkurrentinnen; das lädt regelrecht ein zu Mauscheleien und einem Klischeebombardement. Doch Christian Schünemann lässt sich nicht beirren und weicht diesen Fallen geschickt aus. Seine Figuren bleiben lebendig, wohlfrisiert und weit entfernt von Abziehbildern, unprätentiös und elegant von Schünemann in Szene gesetzt.

„Der Frisör“ ist Schünemans Debüt, charmant und nett – doch auch mit den Kinderkrankheiten eines Erstlings befallen: dem Zuviel und den nicht notwendigen Abschweifungen; das stört mitunter. Sein zweiter Roman, „Der Bruder“, ist sehr viel stringenter. Gibt es hier einen Seitenweg, dann hat er in irgendeiner Form mit dem Fall zu tun. Das ist prima und macht beim Lesen viel Freude.

Unerwartete Extensions

Der zweite Fall geht Tomas Prinz sehr viel näher: Vor ihm steht unerwartet ein Mann, der behauptet, sein Halbbruder zu sein, Frucht einer verschwiegenen Liaison von Vater Prinz mit einer ehemaligen Angstellten. Und kaum hat sich der Frisör mit der Idee, einen Bruder zu haben, angefreundet, ist der auch schon tot. Doch der Reihe nach.

Jakob Zimmermann, so heißt der Halbbruder, ist Künstler, Maler, doch leider erfolglos, darum verdingt er sich als Anstreicher. Tomas‘ Schwester Regula ist sofort begeistert von ihm, doch der Frisör bleibt skeptisch: Sind sie wirklich miteinander verwandt oder will der Kerl nur ans – nicht unerhebliche – Prinz’sche Erbe? Doch auch Mutter Prinz gibt nach und nach zu, dass da mal etwas war, eine Affäre ihres Mannes, die sie verdrängt hatte. Sie willigt ein, den jungen Mann kennenzulernen. Gleichzeitig gelingt es durch die Vermittlung von Aljoscha, Tomas Prinz‘ Lebenspartner, der in einer Moskauer Galerie arbeitet, sämtliche Bilder von Jakob Zimmermann an einen reichen russischen Fischhändler zu verkaufen.

Jetzt könnte alles gut werden. Doch das wird es nicht.

(…) im ersten Moment dachte ich, er treibe einen Scherz. Jakob kniete vor einem Farbeimer,  merkwürdig x-beinig, die Arme hingen kraftlos zu den Seiten. Mit dem Kopf aber steckte er, als wäre es ein altmodisches Waschbecken für eine Haarwäsche, vornübergebeugt im Eimer. Mit drei Schritten war ich bei ihm.
„Jakob, was tust du denn da?,“ rief ich.

Doch zu spät. Jakob Zimmermann ist tot. Ertränkt. In Farbe.

Vielleicht doch lieber Strähnchen?

Deutlich geschickter als im ersten Buch verwebt Schünemann Themen und Handlungen, auch Seitenstränge führen wieder zum Eigentlichen zurück. Das ist sehr schön zu lesen, sehr konzentriert, sehr gelungen, denn es wirkt auch nicht zu zielfixiert. Wie im ersten Krimi vermeidet Schünemann platte Klischees, obwohl auch diesmal die Eisdecke sehr dünn ist: der neureiche Fischhändler mit schlechtem Haarschnitt und dem rein finanziellen Interesse an Kunst; die gierige Galeristen, die ihre Künstler ausbeutet; überhaupt die Kunstszene in München oder auch Moskau. Doch Christian Schünemann und mit ihm Tomas Prinz bleiben bescheiden und freundlich. Prinz macht Aljoschas alter Babuschka im Moskauer Plattenbau genauso sorgfältig die Haare wie einer bekannten Schauspielerin in München. Und Schünemann verhält sich zuvorkommend gegenüber seinen Figuren: Sie dürfen Menschen sein, werden nicht zu Pappfiguren degradiert

Und doch, bei aller Freundlichkeit, Stringenz und Durchdachtheit: Es fehlt etwas, es bleibt ein Gefühl der Leere und Blutlosigkeit zurück. Vielleicht ist das alles zu artig, vielleicht fehlen ein paar grelle Klischees, ein paar überdrehte Fiesheiten. Denn obwohl die Romane solide Whodunits sind und eine bodenständige Spannung liefern – ein bisschen langweilig sind sie schon.

Kirsten Reimers

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Christian Schünemann: Der Frisör
Diogenes Verlag 2006, 253 Seiten, 11 Euro.
ISBN: 978-3-257-23509-8
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Christian Schünemann: Der Bruder. Ein Fall für den Frisör
Diogenes Verlag 2008, 288 Seiten, 8,90 Euro
ISBN: 978-3-257-23723-8
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Diese Besprechung ist auch erschienen auf satt.org