Tomatenrot, in dieser Farbe leuchten Jamalees Haare – der Versuch, sich abzugrenzen und aus dem Elend auszubrechen: dem White-Trash-Milieu in Venus Holler, dem Viertel auf der falschen Seite der Bahngleise von West Table in den Ozarks, Missouri. Ihr Bruder Jason soll ihr dabei helfen, die Hoffnungslosigkeit hinter sich zu lassen: Mit seiner Schönheit soll er reiche verheiratete Frauen verführen, damit Jamalee sie erpressen kann.
Hilfe erhofft sie sich außerdem von Sammy Barlach, aus dessen Sicht das Geschehen geschildert wird: ein junger Loser ohne Bildung, ohne Familie, ohne Hoffnung, ohne Ehrgeiz, jedoch mit der Sehnsucht nach Geborgenheit. Aber Jamalee hat nicht nur Ehrgeiz genug für sie alle, sondern auch eine tiefe, antreibende Wut. Doch die Wut bringt sie nicht heraus aus diesem Sumpf der Verzweiflung, der noch größer wird, als man Jason ermordet auffindet.
»Tomatenrot« ist eines der früheren Werke von Daniel Woodrell. Es hat noch nicht die Dichte und Intensität wie »Winters Knochen« (Verfilmung 2010), verfügt aber über eine große, sehr düstere Schönheit und über eine verzweifelte, schmerzhafte Poesie.
Flucht vor Terror und Krieg
Acht Menschen – zwei Frauen, sechs Männer – auf der Flucht aus Tripolis, vor Gaddafi, vor dem Bürgerkrieg, vor Terror, Tod und Korruption, das ist die Ausgangssituation »Exodus aus Libyen« von Tito Topin. Die Beweggründe der Flüchtenden sind höchst unterschiedlich, ihre Herkunft auch, ebenso ihre religiösen Überzeugungen. Eine Notgemeinschaft, die nur die Verzweiflung zusammenhält.
Ihr Ziel ist Tunesien, das sie mit einem Land Cruiser erreichen wollen, quer durch die Wüste in sengender Hitze und steter Angst vor Be- schuss. Wegen einer Reifenpanne sind sie jedoch gezwungen, in einem Hotel unterzukommen, in dem sich schon ein Kommandant der Regierungstruppen einquartiert hat. Eine Konfrontation mit dem Feind – im außen, im anderen, in sich selbst.
Knappe Rückblenden zeigen, warum diese Acht haben flüchten müssen, und werfen gleichzeitig Schlaglichter auf das Leben unter dem Druck der Diktatur, auf eine patriarchale Gesellschaft, auf Fremdenhass, religiösen Fanatismus und Frauenfeindlichkeit. Ein Kammerspiel, düster, politisch, explosiv – und ohne Abstriche übertragbar auf die gegenwärtige Situation im Irak oder in Syrien.
Dicht und stringent, fast filmisch erzählend, zeigt Tito Topin die Gnaden- und Sinnlosigkeit von Kriegen. Die Übersetzung ist zwar ungelenkt, was durchaus stört, kann aber der Kraft und Eindringlichkeit des Romans nichts anhaben.
Düsteres Endzeitszenario
Eine tödlich verlaufende Virusinfektion überrollt die Erde. Staatliche Kontrollorgane versagen, die dünne Schicht der Zivilisation zerreißt angesichts der tödlichen Bedrohung. Und mitten in diesem Chaos stellt Fernsehmoderatorin Stevie Flint fest, dass ihr Freund Simon ermordet wurde. Ein Toter unter Millionen. Das kümmert nieman- den außer Stevie. Sie ist eine der wenigen Über- lebenden der Viruserkrankung. Offenbar immun gegen eine erneute Infektion macht sie sich in London auf die Suche nach dem oder den Mördern. Eine Odyssee durch Zerstörung und Verfall, durch Angst und Verzweiflung.
Dicht und beunruhigend beschreibt Louise Welch in »V5N6 – Tödliches Fieber«, wie die öffentliche Ordnung und mit ihr die Menschlichkeit zerbricht – ein düsteres Endzeitszenario. Stevies Suche nach den Ursachen von Simons Tod – ihr Freund war Arzt und arbeitete mit Kollegen an der Entwicklung eines neuen Medikaments – zeigt, wie fragil soziale Konstruktionen sind, wie schnell der Überlebenswille zu Aggressionen und Konkurrenzkampf führt. Und dass niemand dagegen immun ist. Wie immer bei Louise Welsh ist die Hauptfigur keine selbstlose Heldin, sondern ein Mensch mit Ecken und Kanten. Das macht einen großen Teil der Qualität der Romane von Welsh aus.
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Daniel Woodrell: Tomatenrot
(Tomato Red, 1998)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind 2016
geb., 222 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-95438-060-2
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Tito Topin: Exodus aus Libyen
(Libyan Exodus, 2013)
Aus dem Französischen von Katarina Grän
Distel Literaturverlag 2015
kart., 233 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-923208-90-6
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Louise Welsh: V5N6 – Tödliches Fieber
(A Lovely Way to Burn, 2014)
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Kunstmann 2016
kart., 352 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-95614-090-7
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der
Frankfurter Neuen Presse