Dreimal Langeweile und Vorhersehbarkeit

Kate Parker hat erst ihre Eltern durch einen Unfall, dann ihren Mann bei einem Raubüberfall verloren. Nun ist sie völlig verängstigt und macht mit ihrer übergroßen Angst sich und ihrem Sohn das Leben zur Qual. Sie ist fixiert auf Statistiken: Stets macht sie sich Wahrscheinlichkeiten bewusst, um jedes erdenkliche Risiko so weit wie möglich zu minimieren:

Im Mai sind die Chancen eines Fahrradunfalls höher, weil es Sommer ist, und etwa achtzig Prozent der schweren Unfälle finden bei Tageslicht statt, aber drei Viertel der schweren Unfälle passieren auf Straßenkreuzungen, und wenn ich nicht auf der Straße fahre, kann ich das Risiko stark verringern. Folglich bin ich auf dem Gehweg geradelt. Und weil ich fünfunddreißig bin, ist in Oxfordshire die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls doppelt so groß wie bei einer Zwanzigjährigen, aber mit Helm sinkt das Risiko einer schweren Kopfverletzung um fünfundachtzig Prozent (…). Und beim Radfahren kann ich das Unfallrisiko damit ausgleichen, dass ich mit einer halben Stunde kontinuierlichem Ausdauertraining mein Krebsrisiko senke. Das bedeutete natürlich auch, dass auf dem ruhigen Kanalweg die Gefahr sexueller Übergriffe größer ist, aber da in Oxfordshire die Chancen dafür grob gesagt eins zu tausend stehen, habe ich mir gedacht, das kann ich in Kauf nehmen.

Per Zufall lernt sie den Mathematiker Jago kennen, der ihr einen ungewöhnlichen Vorschlag macht: Mithilfe eines Psychologen will er einen Therapieplan ausarbeiten, damit sie lernt, die Statistiken in ihrem Kopf auszutricksen. Jagos Methoden sind unkonventionell und seltsam – aber sie wirken. Kate gewinnt wieder Mut und Lebensfreude, und in Jago auch eine neue Liebe. Aber dennoch stimmt irgendetwas nicht: Dinge verschwinden aus ihrem Haus, seltsame Geräusche verunsichern Kate und ihren Sohn Jack. Doch niemand glaubt ihr, jeder hält dies für eine Ausgeburt ihrer überspannten Sinne.

Louise Millars »Gefährlich nah« hat ein bisschen was von »Gaslicht«, nur halt in modern und etwas aufgemotzt. Eine verängstigte Frau, unheimliche Geschehnisse, die vielleicht real, vielleicht aber auch nur eingebildet sind. Hysterie vs. Realitätssinn. Soweit ganz nett. Doch je weiter die Geschichte voranschreitet, umso absonderlicher wird es – und die Auflösung macht’s deutlich: Das Ganze ist überkonstruiert und hanebüchen. Und etwas lieblos-ungelenk übersetzt. Was anfängt als Geschichte einer Selbstbesinnung und Bewusstwerdung, verliert sich in überzogenen und unglaubwürdigen Rachefeldzügen.

Selbstbild vs. Fremdbild

Drei britische Paare lernen sich während ihres Urlaubs in Florida kennen. Sie unternehmen einiges zusammen, haben Spaß – und versprechen, sich nach dem Urlaub nicht aus den Augen zu verlieren; wie man das bei Urlaubsbekanntschaften so macht. Wieder zurück in England arrangiert eine der Frauen tatsächlich ein Treffen. Eher widerwillig sehen sich die beiden anderen Paare gezwungen, sich zu revanchieren. So kommt es zu drei Dinnern, bei jedem Paar eins.

Eines der stets wiederkehrenden Gesprächsthemen ist das Verschwinden eines 13-jährigen Mädchens, das ihren letzten Urlaubstag etwas eintrübte. Wir Leser wissen es: Das Mädchen wurde umgebracht, und zwar von jemandem aus dem Freundeskreis (wer es war, wird aber erst am Ende verraten). Während der drei Dinner bröckelt nicht nur die ohnehin ziemlich oberflächliche Urlaubsfreundschaft, auch die heile Welt, die alle drei Paare den anderen vorspielen wollen, erweist sich mehr und mehr als fadenscheinig.

Das ist handwerklich sehr hübsch gemacht: Die Figuren stellen sich einerseits selbst dar, werden aber auch aus der Perspektive der anderen geschildert. Da ist der überhebliche Kerl, der sich selbst für unwiderstehlich hält, von den übrigen aber als erbärmlich durchschaut wird; die hübsche Schauspielerin, die so selbstbewusst wirkt, aber letztlich keine wirkliche Persönlichkeit hat; der Computernerd, der so gern clever wär, aber auf andere völlig verunsichert wirkt.

Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung klaffen also ordentlich auseinander. Eine gute Idee. Im Prinzip. Allerdings sind die Figuren so klischeehaft gezeichnet, dass der schöne Einfall an Mittelmäßigkeit zerschellt. Vielleicht ist die Klischeehaftigkeit gewollt, um zu zeigen, dass sich hinter alltäglichen Typen, hinter Menschen, die man überall treffen kann, düstere Abgründe verbergen. Aber auch dies ist schon wieder ein Klischee in sich. Doch auch ein durchdachtes Konzept schützt vor Langeweile und Vorhersehbarkeit nicht. Und davon gibt es in diesem Krimi einfach zu viel.

Schwungvolle Absicht vs. verklemmte Ausführung

Wie Michal Viewegh im Nachwort schreibt, wollte er mit »Die Mafia in Prag« »eine schwungvolle und witzige Gangstergeschichte« schreiben. Das zumindest ist ihm nicht gelungen. Viewegh hat aus seinen Verbrechern Witzfiguren gemacht, die überzogen gefährlich und dadurch komplett harmlos wirken. Langweilig und vorhersehbar noch dazu. Die Korruption, die Intrigen, die er schildert, mögen nicht weit von der tschechischen Wirklichkeit entfernt sein, doch durch die über-überspitzte Darstellung schwindet jede Glaubwürdigkeit und jeder satirische Ansatz. Der Roman, der laut Verlagswerbung mit »Authentizität, Witz und Pulp-Fiction-Elementen« überzeugen will, wirkt eher albern. Und dass die moralische Verkommenheit eines Mannes dadurch gezeigt werden soll, dass er seidene Damenwäsche trägt, hat etwas Verklemmt-Homophobes; das hinterlässt einen unschönen Beigeschmack.

Kirsten Reimers

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Louise Millar: Gefährlich nah
(Accidents happen, 2013)
Aus dem Englischen von Maria Andreas
Krüger 2014
Tb., 432 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-8105-1152-2
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Mark Billingham: Die Lügen der Anderen
(Rush of Blood, 2012)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Atrium 2014
geb., 413 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-85535-054-4
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Michal Viewegh: Die Mafia von Prag
(Mafie v Praze, 2011)
Aus dem Tschechischen von Eva Profousová
Deuticke 2014
geb., 318 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-552-06258-0
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