Schlachtplatte mit Beilage

Serienkillerjagd angereichert mit juristischen Aspekten

Als Elaine von ihrer Mutter vermisst gemeldet wird, ist das 13-jährige Mädchen schon seit fast zwei Tagen verschwunden. Da die Familienverhältnisse instabil sind und Elaines ältere Schwester schon mehrfach ausgerissen ist, geht die Polizei zunächst davon aus, dass auch Lainey, wie das Mädchen genannt wird, lediglich bei einer Freundin untergetaucht ist und bald wieder nach Hause zurückkehrt. Dass Bobby Dees vom Crimes Against Children Squad, dem Dezernat für Verbrechen an Kindern, hinzugerufen wird, ist eine reine Formsache, denn Hinweise auf eine Straftat gibt es nicht. Nur ein ungutes Gefühl – und allein aus diesem Grund gräbt Dees ein wenig tiefer. Tatsächlich stößt er auch auf Ungereimtheiten, und wenig später wird es mit Macht offensichtlich: In Miami und Umgebung geht ein Serienmörder um, der es offenbar auf junge Ausreißerinnen abgesehen hat (im Original heißt das Buch »Pretty Little Things«, erschienen 2010).

Jetzt einfach zu sagen, dass alles Nachfolgende die sattsam bekannte Serienkillerjagd mit hilfreichen Hinweisen des medienversessenen Täters ist, wird dem Buch nicht gerecht. Natürlich passiert dies nun durchaus, aber Jilliane Hoffman richtet keine einfach strukturierte Schlachtplatte an. Das Blut ist bereits geronnen, und die grausam zugerichteten Leichen müssen etwas beiseite rücken, um noch anderen Aspekten Platz zu machen.

Denn Jilliane Hoffman war lange Jahre Staatsanwältin in Florida und unterrichtete außerdem im Auftrag des Bundesstaates die Spezialeinheiten der Polizei in allen juristischen Belangen. Deshalb nehmen straf- und prozessrechtliche Fragen in ihren Romanen immer einen gewissen Raum ein. So auch diesmal: Souverän eingebettet in die Handlung beschreibt Hoffman, wie die Ermittlungsbehörden vorgehen, sobald ein Kind vermisst wird, welche Aktionen ihnen erlaubt sind und welche nicht, und warum zum Beispiel nicht sofort in jedem Fall ein »Amber-Alarm«, ein Großeinsatz mit intensivem Einbezug der Medien, ausgelöst wird.

Klarer Blick, vom Blut verschleiert

Mit ihrem diesmaligen Ermittler Bobby Dees nimmt die Autorin zudem die betroffenen Eltern in den Blick, denn Dees‘ Tochter im Teenagealter verschwand vor einem Jahr. Seitdem leben die Eltern im Ungewissen, schwankend zwischen Verzweiflung und Hoffnung, während die Ehe darüber zerbricht. Überhaupt schaut Hoffman genau hin und zeigt die psychische Belastung der Ermittler, die Sensationsmache der Presse, die unterschiedlichen Wege der Eltern, mit dem Verlust und der vollkommenen Hilflosigkeit umzugehen.

Klar, eine Handlung, so wahrscheinlich wie das Jüngste Gericht. Aber angesichts dieses klaren Blicks ist es regelrecht schade, dass Jilliane Hoffman ihre Bücher mit grausamen Morden aufmotzt. Denn all die Fragen, die sie am Rande aufwirft, und all die Figuren fern vom Klischee verlieren an Gewicht, sobald die nächste Leiche um des Effekts willen dramatisch inszeniert wird.

Kirsten Reimers

Jilliane Hoffman: Mädchenfänger
Aus dem amerikanischen Englisch von Sophie Zeitz
Wunderlich 2010
geb., 459 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-8052-0892-5
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