Eigentlich soll Lila in Bielefeld aus dem Zug steigen. Ihr Vater hat alles arrangiert: Jura-Studium, obwohl die Abinote dafür nicht reicht, ein kleines Apartment, eine sichere Karriere nach dem Staatsexamen, ganz egal wie der Abschluss ausfallen wird, denn Papa hat als Oberstaatsanwalt
so seine Beziehungen. Doch Lila Ziegler muckt auf. Statt wie vorgegeben in Bielefeld verlässt sie erst in Bochum den ICE. Allein im Regen, bald ohne jeden Cent, sieht die Freiheit zunächst etwas trübe aus, doch die selbstbewusste Gewohnheitslügnerin ermogelt sich ziemlich frech einen Schlafplatz beim bärbeißigen Privatdetektiv Ben Danner und ergattert auch fix einen Job in der Kneipe im gleichen Haus beim gutmütigen Wirt Molle.
Da Lila sehr neugierig ist, findet sie sich bald als Hilfsermittlerin für Danner wieder. Der ist zur Zeit dem Tod einer jungen Schülerin auf der Spur. Die oberen Polizeiränge möchten das als Selbstmord zu den Akten legen, doch Kriminalkommissar Staschek, dessen Tochter mit dem toten Mädchen eng befreundet war, zweifelt an dieser einfachen Lösung. Darum hat er seinen Freund und Exkollegen Danner mit den Ermittlungen beauftragt. Lila, die mit ihren zwanzig Jahren ausreichend jung wirkt, wird als neue Schülerin eingeschleust und kann auch bald erste neue Erkenntnisse beitragen, die die schlichte Selbstmordthese tatsächlich zweifelhaft erscheinen lassen.
Lucie Klassens Debüt ist ein sehr frischer, mitunter sehr witziger und recht charmanter Krimi. Besonders angenehm und überzeugend ist das Figurenensemble – warmherzig gezeichnet, etwas schräg mit Ecken und Kanten. Und ganz großes Plus ist die Unverkrampftheit, mit der Klassen schreibt und ihr Personal agieren lässt. Sechzehnjährige wirken tatsächlich wie Teenager, ohne dass deren Gespräch und Verhalten in irgendeiner Form gekünstelt scheinen. Die miefige Atmosphäre eines Gymnasiums mit überalterter und resignierter Lehrerschaft ist auch prima eingefangen. Ebenso problemlos gelingt der Brückenschlag zwischen der jungen Lila und ihrer neuen Wahlfamilie, der Männerrunde Anfang vierzig aus Danner, Molle und Staschek. Und obwohl die Geschichte in Bochum spielt, ist der Regionalbezug nicht überreizt. Das ist entspannend, denn Ruhrpottkrimis gibt es schließlich schon genug.
Könnte also ein rundum toller, unbekümmerter und intelligenter Krimi sein. Doch leider gibt es ein paar Dinge, die das verhindern. Teil eines erfolgreichen deutschen Krimis muss wohl das eigenwillige, unkonventionelle Ermittlerteam mit Serienpotenzial sein. Okay, das ist hier sehr angenehm gelungen. Aber leider sind ein paar Klischees zu viel hineingemischt, die einfach stören. Warum muss es zum Beispiel eine Liebesgeschichte zwischen Lila und Danner geben? Ist es wirklich glaubhaft, dass eine selbstbewusste junge Frau, die sich gerade aus der familiären Umklammerung befreit hat, ein kuscheliges Heim bei einem Vaterersatz sucht? Eine männliche Mutter, die kocht, umsorgt und Kleidung kauft, bekommt sie gleich noch obendrauf.
Außerdem verbirgt Lila eine dunkle Seite ihrer Vergangenheit: vom Vater regelmäßig verprügelt, hat sie sich zur Rebellin entwickelt und einige recht wilde Sachen gemacht – aber diese Einschübe, Erinnerungen und Erklärungen wirken aufgesetzt und unecht. Und außerdem: Rebelliert ein Teenager nur gegen die Eltern, wenn er extreme Gewalt erfährt? Dazu kommen einige Überkonstruiertheiten, die die Lesefreude zusätzlich trüben, besonders wenn es um die Exfreundin von Danner geht, die dem damaligen Kriminalbeamten das Herz brach, weil sie mit einer Intrige auf seine Kosten Karriere machte. Natürlich ist Danner seitdem beziehungsgeschädigt, ruppig und hat nur noch häufig wechselnde, oberflächliche Affären. Damit entspricht er dem typischen Bild des einzelgängerischen Privatermittlers. Und Lila scheint zu der Frau zu werden, die sein Misstrauen heilt und ihm wieder Zuversicht in die heterosexuelle Zweierbeziehung gibt.
Gut, trotz dieser Nervigkeiten lässt sich das Buch schön runterlesen, es bringt auch Spaß und hinterlässt keine bleibenden Schäden. Das kann man nicht von jedem Krimi sagen.
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Lucie Klassen: Der 13. Brief
Grafit Verlag 2008, 345 Seiten, 9,95 Euro
ISBN: 978-3-89425-349-3
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
Diese Besprechung ist auch erschienen auf satt.org



Der Ausgangspunkt: Die junge Rumänin Milena – ehemals eine Hure, inzwischen Bankiersgattin in den gehobenen Turiner Gesellschaftskreisen – wird aufreizend bekleidet in einem Graben am Stadtrand von Turin gefunden. Ein Racheakt des ehemaligen Zuhälters? Die Verzweiflungstat eines abgewiesenen Liebhabers? Aus den inneren Monologen, den Aussagen und Selbstgesprächen von acht Frauen, die etwas zur Tat zu sagen haben, schält sich nach und nach die Wahrheit heraus, die eine vertrackte Intrige, verzweifelte Einsamkeit und tiefe Rachegefühle offenbart.
Der „Kiezkrimi“ (so die Zusatzkategorisierung des Verlags) spielt – wie kann es anders sein – in St. Pauli und bietet die entsprechende Atmosphäre. Ein Serienmörder meuchelt und skalpiert junge Tänzerinnen aus dem Rotlichtmilieu. In die Ermittlungen mischt sich verkatert, aber tatkräftig die Hauptfigur des Buches ein: Staatsanwältin Chastity Riley, fast vierzig, trinkfreudig, Single, aktiver Fan des FC St. Pauli. Großes Plus des Buches ist das Figurenensemble – klischeelastig, aber herzlich gezeichnet -, allen voran die Staatsanwältin, endlich mal ein adäquates Identifikationsangebot für weltoffene Frauen Ende dreißig. Die Charaktere haben Ecken und Kanten, sind nett schrullig, die Dialoge sind schnodderig-bunt und witzig. Die Handlung bietet nichts wirklich Neues, ist aber über weite Strecken recht spannend, wenn auch mit Zufällen überladen. Nur gegen Ende wird es dann auf einmal arg hastig, und alles, aber auch wirklich alles muss küchenpsychologisch-lebensgeschichtlich ausgedeutet werden. Aber vielleicht gibt es einen Nachfolgeband, der diese Scharten auswetzt. Die Figuren wären es wert, und die Autorin kann unterhaltsam schreiben.
Gigolo Joe Marlin an. Bald ist klar: Mona will das Geld und den Jüngeren (das behauptet sie zumindest), eine Scheidung kommt nicht in Frage, denn wir befinden uns in den späten 50er Jahren und im gnadenlosen Milieu des Drogen- handels. Die Lösung? Eindeutig: Der Alte muss fort, und zwar endgültig. Die Schmutzarbeit übernimmt Marlin. Es kommt, wie es kommen muss: Mona hat ihren Lover nur benutzt und lässt ihn eiskalt fallen. So weit, so gut, so bekannt. Aber dieser derart oft durchgenudelte Plot gewinnt bei Block eine neue Qualität. Denn wer die Dynamik dieses Beziehungsgeflechts wirklich zu Ende denkt, so wie es die Hauptfigur des Romans macht, der weiß, was wirklich zu tun ist. Was auf den ersten Blick so konventionell wirkt, entwickelt sich zu etwas beunruhigend Abgründigem. Hoffnungen, Enttäuschungen, Konsequenzen, Leidenschaften – und doch bleibt der Ton des Romans elegant, durchdacht, geradezu höflich. Ein wunderbares Werk.
Ken Bruen und Jason Starr wählen eine andere Variante der Geschichte. In ihrem Roman „Flop“ (Originaltitel: „Bust“, von 2006) ist es Max Fisher – reich, alt, schmierig -, der für seine Geliebte – jung und heiß – die Ehefrau – alt und störend – los werden will. Also engagiert er einen Killer. Dumm nur, dass dieser ein unkontrollierbarer Psychopath und der Geliebte der Geliebten ist. Um das Kleeblatt perfekt zu machen, kommt ein Erpresser mit geheimnissprengenden Fotos hinzu. Alle vier verfolgen ein Ziel: Geld. Und sie haben keine Skrupel, sich gegeneinander auszuspielen – am besten hübsch endgültig. Das ist alles sehr schön überspannt, fast bis zur Hysterie ausgereizt. Die Figuren sind prall lebendig, eine unmoralischer, skrupelloser und hinterhältiger als die andere, dass es eine wahre Lust ist, diesen wunderbar witzigen, respektlosen und beißenden Roman mit einer geradezu widerwärtigen Freude zu lesen. Spitzenschund!
jede Menge zu tun und muss sich gegen verschiedene Seiten verteidigen. Die Hauptfigur ist nicht uninteressant: Joe Hope hat mal studiert, bevor er für seinen Freund Cooper zum Baseballschläger schwingenden Schuldeneintreiber wurde. Darum ist da eine Restintelligenz und Reflexionsfähigkeit, die ungewöhnlich für das Figurenklischee ist. Aber das hilft leider nicht viel. Denn es gibt andere Stereotype, die viel zu ungebrochen bedient werden und die viel zu kuschelig sind für diese harte Reihe. Da ist die Hure mit dem goldenen Herzen, da ist der raubeinige Kerl, der im weichen Kern doch eine Menge Sensibilität versteckt hält – und letztlich wird dann doch fast alles gut. Obendrein weiß man schon verhältnismäßig bald, worauf das hinausläuft und wie alles zusammenhängt. Der Roman ist nicht schlecht, doch im Rahmen dieser Reihe ist das Kriminellenmilieu, in dem die Geschichte spielt, viel zu heil und restmoralisch. Hier fehlt der Abgrund, der die beiden anderen Romane zu virtuosen Seiltänzen verführt. Hier ist das Land platt. Schade.