Die hässliche Wahrheit

Die eigenwilligste Privatdetektivin der Welt

Rund anderthalb Jahre, nachdem Hurrikan Katrina New Orleans zerstört hat, erhält die Privatdetektivin Claire de Witt den Auftrag, den bekannten Staatsanwalt Vic Willing zu suchen. Kurz vor dem Hurrikan hatte er noch mit seinem Neffen telefoniert, seitdem fehlt jede Spur. Mit Claire deWitt hat Willings Neffe nicht irgendeine Privatdetektivin engagiert, sondern – wie sie gern belegt – die beste der Welt. Und auch die vermutlich schrägste. Sara Gran hat mit deWitt eine der ungewöhnlichsten Ermittlerinnen der Kriminalliteratur geschaffen: gewaltbereit, schroff, beinhart, sarkastisch und gleichzeitig zerbrechlich und schutzlos, ohne einen Hauch zart oder weich zu sein.

Drogen, Logik und Visionen

DeWitt vertraut ihrer Intuition und ihrer messerscharfen Logik ebenso wie ihren Träumen und Visionen. Da sie sehr offen für halluzinogene Drogen und Alkohol ist, sind diese auch nicht selten. Außerdem befragt die Detektivin das »I Ging«. Ihr wichtigstes Werkzeug jedoch ist das Handbuch »Détection« des mysteriösen französischen Detektivs Jacques Silette aus dem Jahr 1959: ein seltsam vages, in sich widersprüchliches Kompendium, dessen Anhänger sich gegenseitig erkennen, da sie alle auf der Suche nach der hässlichen Wahrheit sind.

»Niemand wird dem Detektiv für seine Arbeit danken«, schrieb Silette. »Man wird ihn verachten, in Frage stellen, verabscheuen, bespucken. (…) Sein Lohn ist nichts als die hässliche, unerträgliche Wahrheit. Genügt ihm das nicht, hat er den falschen Beruf gewählt und sollte seine Berufung überdenken.«

Held und Monster

Um die hässliche Wahrheit geht es auch im Fall des ver- schwundenen Staatsanwalts. Der war einer der wenigen, die sich in New Orleans gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stark machten, bekannt als aufrechter Vertreter seines Berufsstandes. Einer der Guten also? Doch so einfach ist es nicht. Keine der Figuren bei Gran ist entweder gut oder böse – oder irgendwie ein bisschen was von beidem. Die Wahrheit ist, dass jeder bewundernswert und abstoßend ist, Held und Monster, gleichzeitig und ohne Abstriche.

Jenseits jeglicher Klischees

»Die Stadt der Toten« ist als Auftakt einer Serie gedacht – und die verspricht viel. Denn Gran legt einen atemberaubenden Roman vor: von großer Komik, beißendem Sarkasmus, knacktrockener Ironie, unerträglicher Wahrheit und schmerz- hafter Zerbrechlichkeit.

»Also gut«, sagte ich, »wann haben Sie Ihren Onkel das letzte Mal getroffen?«

»Getroffen?«, sagte Leon. »Getroffen?« Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie er seinen Onkel mit einer Axt traf und in zwei Teile hieb.

Jenseits jedes New-Orleans-Klischees zeigt Gran die tiefen Wunden, die der Hurrikan, der versagende Katastrophenschutz und das fatale Missmanagement der Stadt und den Menschen geschlagen hat und die längst noch nicht verheilt sind: die immer noch verwüsteten Straßenzüge, den Immobilienwucher, die Bandenkriminalität. In diesem Chaos eine Person zu finden, die schon seit so langer Zeit verschwunden ist, scheint ein hoffnungsloses Unterfangen – und doch entdeckt Claire deWitt weit mehr, als sie je erwartet hätte. Aber das bedeutet nicht, dass am Ende alles gut ist.

Der Auftraggeber kennt die Lösung des Rätsels bereits. Aber er sträubt sich dagegen. Er beauftragt den Detektiv nicht, um das Rätsel zu lösen. Er beauftragt ihn, um sich bestätigen zu lassen, dass es keine Lösung gibt.

Ein ganz grandioser, eigenwilliger und intelligenter Krimi.

Kirsten Reimers

Sara Gran: Die Stadt der Toten
(Claire deWitt and the City of the Dead, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Droemer 2012
Brosch., 361 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-426-22609-4
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

 Diese Besprechung ist zuerst erschienen auf hr-online.


Schwarzer Sommer

Neue Kriminalromane von Adrian McKinty, Émilie de Turckheim und Peter Temple

Killian ist ein Mann fürs Grobe, ohne wirklich grob werden zu müssen. Für seine Auftraggeber spürt er Menschen auf, die sich lieber versteckt halten, weil sie jemandem etwas schulden, meist viel zu große Geldsummen. Ohne Gewalt tatsächlich anwenden zu müssen, schafft Killian es stets, sein Gegenüber zu überzeugen, dass es doch besser wäre zu zahlen. Aber nach all den Jahren reicht es ihm. Killian will sich zur Ruhe setzen, etwas völlig anderes machen, sein Architekturstudium beenden. Da wird ihm ein letzter Job angeboten: Für eine halbe Million Pfund soll er die Exfrau eines millionenschweren Unternehmers finden. Damit hätte Killian ausgesorgt. Aber wie es so ist bei letzten Jobs: Alles verläuft vollkommen anders als geplant.

Adrian McKinty spielt in seinem schnellen und schwarz-humorigen Gangsterroman »Ein letzter Job« mit literarischen wie filmischen Zitaten und flechtet geschickt Überlegungen zu Architektur und Philosophie ein. Zwar wird es mitunter ein wenig pathetisch, und ein paar Längen gibt es auch – doch alles in allem gelingt McKinty ein unterhaltsamer, spannender Krimi im Stil des brit noir.

Charmante Boshaftigkeit

Ebenfalls bezaubernd schwarz ist der Roman »Im schönen Monat Mai« von Émilie de Turckheim: Auf einem Landsitz kommen fünf Personen zusammen, die auf den ersten Blick nichts gemein haben, abgesehen davon, dass sie zur Testamentseröffnung des vor kurzem verstorbenen Monsieur Louis geladen sind. Und wie es sich gehört für Geschichten, die auf abgelegenen Anwesen spielen, wird die Besucherschar nach und nach dezimiert. Erzählt wird die Begebenheit von Aimé, dem unbedarften Hausknecht, der in seiner naiven Sprech- und Sichtweise die Doppelmoral der besseren Gesellschaft entlarvt, ihre Gier und Lächerlichkeit, ihre Überheblichkeit und ihren Egoismus.

Hochcharmant mit tiefschwarzem Humor, feiner Ironie und scharfzüngiger Gnadenlosigkeit legt Émilie de Turckheim die Abgründe hinter der gutbürgerlichen Fassade frei. Und erst ganz am Ende werden die Zusammenhänge und der perfide Plan hinter den Ereignissen sichtbar – hoch bezaubernd und wundervoll böse!

Tödliche Informationen

Von ganz anderer Dunkelheit ist Peter Temples Thriller »Tage des Bösen«. Zwar ist er im Original bereits 2002 erschienen und erst jetzt übersetzt worden, doch diese zehn Jahre merkt man dem Buch in keiner Weise an. Kühl, lakonisch und mit bitterem Witz zeichnet Temple eine Welt, in der Informationen das wertvollste Gut sind. Die Firma W & K in Hamburg hat sich darauf spezialisiert, Informationen zusammenzutragen, egal aus welcher Quelle, egal für welchen Auftraggeber, egal für welchen Zweck. Gleichgültig auch die Frage nach der Legalität. Ungestellt ebenso die Frage, welche Konsequenzen sich aus den gelieferten Informationen ergeben – bis ein brisantes Video auftaucht, für das dubiose Organisationen zu töten bereit sind.

Vielleicht nicht ganz so herausragend wie Temples Thriller »Wahrheit«, ist »Tage des Bösen« ein grandioser Politthriller, der durch seine komplexe Dichte und meisterhafte Struktur begeistert. Kein fahrlässiger Satz, keine überflüssige Szene. Einer der besten Thriller dieses Jahres!

Kirsten Reimers

Adrian McKinty: Ein letzter Job
(Falling Glass, 2011)
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Suhrkamp 2012
ISBN 978-3-518-46372-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Émilie de Turckheim: Im schönen Monat Mai
(Le Joli Mois de mai, 2010)
Aus dem Französischen von Brigitte Große
Wagenbach 2012
ISBN 978-3-8031-2688-7
auch erhältlich als eBook (hier klicken)

Peter Temple: Tage des Bösen
(In the Evil Day, 2002)
Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke
Bertelsmann 2012
ISBN 978-3-570-00999-4
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch (hier klicken)

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Frankfurter Neuen Presse


Gefühliger Psychoquark

Schockstarre in Shipcott, einem kleinen Dörfchen in der englischen Grafschaft Somerset: Ein brutaler Mörder geht um. Er hat sich auf hilflose Personen spezialisiert, die er zunehmend bestialischer abschlachtet, und hinterlässt hämische Botschaften. Und das Schrecklichste: Es muss einer aus dem Örtchen sein – »Einer von uns!!« –, denn Shipcott ist wegen starken Schneefalls von der Außenwelt abgeschnitten.

Klingt wie aus dem Setzkasten für Whodunits mit Serienkilleranteilen, nicht wahr? Aber nicht nur der Plot ist abgedroschen (natürlich ist die unverdächtigste Person der Mörder), auch die Figurenkonstellationen wirken wie von der Stange: Da ist zum Beispiel der herzensgute, hilfsbereite und verantwortungsbewusste Dorfpolizist – natürlich intelligent und clever, dazu ein hingebungsvoller Ehemann, der seine vielversprechende Karriere bei einer Eliteeinheit der Polizei geopfert hat, um seine totkranke Frau zu pflegen –, und ausgerechnet dieser grundgute Mensch wird von den arroganten Stadtcops (die gerade noch rechtzeitig vor dem großen Schnee eingetroffen sind) unterschätzt und ganz, ganz gemein schikaniert. Dorf vs. Stadt, gewissenhaft vs. karrieregeil, liebevoll vs. selbstbezogen. Ganz fürchterlich ist, dass der Dorfpolizist lieber auf seine Gefühle hört, statt auf Verstand zu setzen: Er schließt Verdächtige aus, weil er einfach spürt, dass sie es nicht waren. So sieht verantwortungsvolle Polizeiarbeit aus.

Zwei der Stadtcops sind allerdings gut gelungen: DCI Marvel ist ein überhebliches, versoffenes Arschloch, das die Taten auf Biegen und Brechen dem erstbesten Verdächtigen anhängen will; und sein DS ist ein hinterhältiger Kriecher, der Beweise gegen seinen Chef sammelt, um dessen Posten zu ergattern. Schön ist, dass die Charakterisierung nicht durch Zuschreibungen erfolgt, sondern darüber, wie andere auf die Figuren reagieren und wie die Figuren sich selbst und ihre Mitwelt sehen. Dank konsequent durchgehaltener Perspektivwechsel setzt sich so erst nach und nach ein vollständiges Bild der Personen zusammen, die zugleich als unzuverlässige Beobachter entlarvt werden.

Doch diese netten beiden Unsympathen können leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rest großer Mist ist: belanglos, hanebüchen, überkonstruiert und mit dem üblichen Zutaten Kindesmissbrauch und unverdaute Traumata zu einem albernen Psychoquark vermengt.

Kirsten Reimers

Belinda Bauer: Der Beschützer
(Darkside, 2011)
Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger
Manhattan 2012
brosch., 383 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-442-54701-2
auch erhältlich als eBook (hier klicken)
auch erhältlich als Hörbuch-Download (hier klicken)

Diese Besprechung ist zuerst erschienen im CrimeMag


Im eiskalten Haifischbecken

Fragwürdige Moral, handfeste Probleme

Viel tiefer geht’s nicht: Detective Constable Nick Belsey erwacht verkatert, dreckig und blutig zerkratzt im Hampstead Heath, einem Park im Norden Londons. Auf dem Parkplatz steht der Streifenwagen, den er am Abend zuvor im Vollrausch gestohlen und zu Schrott gefahren hat. Nach Jahren der Spielsucht und dank eines ausgewachsenen Alkoholproblems ist der Polizist nun so pleite, dass er sogar aus der heruntergekommenen Absteige, in der er zuletzt gewohnt hat, hinausgeworfen wurde. Eigentlich ist er vom Dienst suspendiert, doch bislang konnte er das vor seinen Kollegen und sogar vor seinem direkten Vorgesetzten verbergen.

Als die Meldung hereinkommt, dass ein russischer Milliardär vermisst wird, ergreift Belsey die Chance: Er nimmt die Identität des Vermissten an, schläft in dessen Haus und versucht, dessen Konten zu plündern, um sich ins Ausland abzusetzen – und zwar in ein Land ohne Auslieferungs- abkommen mit Großbritannien. Seine Kenntnisse als Polizist und seine Kontakte zu verschiedenen Ermittlungseinheiten sind ihm bei seinem Vorhaben eine große Hilfe. Doch Belsey muss feststellen, dass er nicht der Einzige ist, der sich für den verschwundenen Oligarchen interessiert – und dass der Milliardär offensichtlich in reichlich krumme Geschäfte verwickelt war.

Schnell, schwarz, abgründig

»London Killing« ist das überraschende Debüt von Oliver Harris – schnell, unvorhersehbar, unverfroren und schnoddrig, mit einer großen Portion schwarzer Ironie. Mit wenigen Worten zeichnet Harris atmosphärisch dichte und aussagekräftige Bilder der City of London und seiner geldgetriebenen Gesellschaft. Seine Hauptfigur ist kein charmantes Schlitzohr, sondern ein abgewrackter Kerl mit fragwürdiger Moral und handfesten Problemen. Allerdings ist er nicht korrupt wie viele andere in Polizeiapparat und Stadtverwaltung. Belsey nimmt nur Geld von Menschen, denen das nicht weiter wehtut. Darin wirkt er fast rührend naiv, denn seine Gegenspieler sind um Längen skrupelloser. Im eiskalten Haifischbecken des internationalen Finanzplatzes London ist Belsey nur ein kleiner, unerfahrener Fisch – allerdings ein ziemlich dreister.

In der Ich-Perspektive geschrieben, werden Belseys Betrügereien weder entschuldigt noch verurteilt. Das verleiht dem Buch eine grandiose Abgebrühtheit, einen sehr lakonischen Ton und einen scharfzüngigen Witz. In seinem Bemühen, verborgene Konten aufzuspüren und Kapital aus dem aktuellen Großprojekt des Milliardärs zu schlagen, deckt Belsey nach und nach – und eher ein wenig unwillig – die Hintergründe eines riesigen Betrugs auf, in den russische wie chinesische Glücksspielkartelle, saudische Prinzen, das FBI sowie Londoner Honoratioren und Banker verwickelt sind. Ein komplexes Konstrukt, in dessen Herz sich aber doch sehr menschliche Sehnsüchte finden: Gier und der Wunsch nach Anerkennung. Damit ist Oliver Harris’ Kriminalroman auch ein treffender Kommentar zur Finanzbranche und ihren Triebfedern.

Kirsten Reimers

Oliver Harris: London Killing
(The Hollow Man, 2011)
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Karl Blessing Verlag 2012
geb., 480 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-89667-438-8
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Diese Besprechung ist zuerst erschienen auf satt.org


Nur noch herzig

Zerfasert in die Belanglosigkeit

»Der Tote im Eisfach« ist der fünfte Band von Colin Cotterills Reihe um den einzigen und mithin ältesten Pathologen Laos’, den über siebzigjährigen Dr. Siri Paiboun. Siri war aktiv am Kampf gegen den Kolonialherren Frankreichs beteiligt und stand zu dieser Zeit der kommunistischen Partei nah – doch seit Ende 1975 die Laotische Revolutionäre Volkspartei in der kurz zuvor deklarierten Demokratischen Volksrepublik Laos die Macht übernommen hat, ist der Pathologe angesichts der gravierenden Diskrepanz zwischen kommunistischer Proklamation und ihrer Wirklichkeit sowie aufgrund der massiven Kontrolle durch die ideologischen Schwesternstaaten mehr als desillusioniert. Die Ideale des Sozialismus liegen Dr. Siri weiterhin am Herzen, doch die Umsetzung Mitte der siebziger Jahre (zu dieser Zeit spielen Cotterills Krimis) betrachtet er mit großer Skepsis und kommentiert sie zynisch.

Leben im intelligenten Widerstand

Colin Cotterill lebte längere Zeit selbst in Laos, er gab Englischkurse an Universitäten und engagierte sich als Sozial- arbeiter. Mit viel Sympathie für seinen querköpfigen Pathologen und dessen skurrile Helferschar zeichnet er deren warm- herzigen und gewitzten Guerillakampf gegen das System. Dabei entsteht auch stets ein Porträt des Landes, das nicht einfach Kulisse, sondern elementarer Bestandteil der Romane ist: Ein Land, das zwar den Kolonialismus abgestreift hat, aber nun von den kommunistischen Nachbarn gegängelt wird, ein Land zwischen Animismus und Rationalität, bitter verarmt (auch heute noch zählt Laos zu den ärmsten Ländern der Welt) und innerlich zerrissen von Attentaten durch royalistisch-kolonialistische Rebellen und ethnischen Konflikten.

Es ist klar, für wen Cotterills Herz schlägt: für die Underdogs – darin gleicht er seiner Hauptfigur. Für das Leben im intelligenten Widerstand gegen die Unterdrückung im Einparteienstaat. Es schwingt dabei immer ein wenig Enttäuschung mit, dass die ursprünglichen Ideale der antikolonialistischen Bewegung im rigiden Bürokratismus erstarrt sind, die sich in einem sehr schönen subversiven Witz Luft macht. Beziehungsweise normalerweise macht. Oder machte. Diesmal aber nicht.

Mit der besten Absicht …

Dieses Mal liegt es Cotterill besonders am Herzen, auf das Schicksal der Hmong und anderer laotischer Bergvölker hinzuweisen, wie er in einem knappen Vorwort schreibt. Während des Vietnamkriegs, in dem Laos neutral blieb (und trotzdem verheerend verwüstet wurde), rekrutierte die CIA Hmong, um sie im sogenannten geheimen Krieg gegen die Pathet Lao (die laotische Widerstandsbewegung mit kommunistischer Prägung, aus der später die Laotische Revolutionäre Volksarmee hervorging) und die Truppen der südvietnamesischen FNL einzusetzen. Als die Pathet Lao die Macht übernahmen, wurden die Hmong als politische Gefangene in Umerziehungslagern interniert, in denen viele starben. Tausende Hmonmg flohen deshalb ins benachbarte Thailand.

Leider gilt wie so oft: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. So ehrenhaft Cotterills Anliegen ist, so verkrampft ist es ausgeführt. Es gibt zwei unabhängig voneinander verlaufende Stränge: Während Dr. Siri auf einer Dienstreise von einer Gruppe Hmong entführt wird, löst seine muntere Helferschar in Vientiane einen hanebüchenen Mordfall, der überkonstruiert und hastig zusammengeschustert ist. Besonders das Ende dieses Stranges, in dem royalistische Rebellen im Mittelpunkt stehen, ist arg dürftig und krude zusammengezwungen.

Herzige Belanglosigkeit

Der Hauptstrang, der Dr. Siris Bemühungen um eine Dämonenaustreibung in einer abgelegenen Bergregion schildert, verbindet – wie so oft bei Cotterill – Rationales mit Irrationalem. Denn sogar für den Zyniker Siri steht fest, dass es eine Geisterwelt gibt, schließlich wohnt seit geraumer Zeit der Geist eines Schamanen in ihm. Doch trotz eines sehr reizenden Abstechers des Pathologen in die Unterwelt mit Disco-Besuch, um mit den Dämonen zu sprechen, bleibt auch dieser Strang blass, gewollt und zerfasert. Ein paar seltsame europäisch geprägte Einsprengsel (und ich meine nicht den überaus wichtigen Pogo-Stick, sondern zum Beispiel abstruse Pinocchio-Vergleiche) tun ein Übriges, um auch diese Handlung wie Flickwerk erscheinen zu lassen. Der sonst so subversive Witz bleibt in einer harmlosen Herzigkeit stecken, wodurch alles in Belanglosigkeit zerfällt.

Die Zerfaserung macht sich bereits am Titel fest: Im Original heißt der Roman »The Curse of the Pogo Stick« und hebt damit den Hmong-Strang hervor. In der deutschen Fassung wurde der Titel »Der Tote im Eisfach« gewählt, der auf die zweitrangige Krimihandlung verweist. Offensichtbar hat auch der Verlag nicht recht gewusst, wie er das Buch eintüten soll. Bleibt zu hoffen, dass der nächste Band wieder entschiedener und bissiger ist.

Kirsten Reimers

Colin Cotterill: Der Tote im Eisfach
(Curse of the Pogo Stick, 2009)
Aus dem Englischen von Thomas Mohr
Manhattan 2012
geb., 284 Seiten, 17,99 Euro
ISBN 978-3-442-54681-7
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 Diese Rezension ist zuerst erschienen im CrimeMag